Deutsche Aidshilfe fordert mehr Einsatz im Kampf gegen HIV: „Erfolge der letzten Jahrzehnte in Gefahr“

Durch die Corona-Pandemie ist die Krankheit Aids mit all ihren Gefahren in den Hintergrund gerückt. Experten fordern nun, das wieder zu ändern.
HIV, nimmt man dagegen nicht einfach eine Tablette und gut ist es? Ganz so einfach ist der Umgang mit der Viruserkrankung bis heute nicht, auch wenn sich in den vergangenen Jahren wesentliche Fortschritte gerade bei der Therapie und den Behandlungsmöglichkeiten abgezeichnet haben. Erstmals in der Geschichte der Krankheit ist es heute möglich, auch als Mensch mit HIV ein normales Lebensalter zu erreichen, vorausgesetzt, die Infektion wird rechtzeitig erkannt und eine schnell startende Therapie kann die Viruslast dauerhaft unterhalb der Nachweisgrenze halten. Dabei zeigen Studien der letzten Jahre allerdings auch, dass es immer mal wieder trotzdem zu Komorbiditäten kommt, also das HI-Virus andere Krankheiten wie beispielsweise Herzerkrankungen negativ begünstigt.
Für HIV-Patient:innen ist es also sehr wichtig, die eigene Gesundheit allumfassend im Blick zu haben, die Einnahme der berühmten Tablette einmal am Tag reicht da nicht aus. Für die rund 90.000 HIV-Positiven in Deutschland ist die Versorgungslage dabei eine sehr gute, ganz im Gegenteil zu vielen anderen Ländern. Ein Problem betrifft allerdings alle Länder: Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist die HIV-Forschung massiv ins Stocken geraten. Viele Kliniken konzentrierten sich vermehrt auf die Bekämpfung und Eindämmung von Covid-19, das HI-Virus trat in den Schatten.
Welt-Aids-Konferenz soll HIV wieder in den Fokus rücken
Bei der 24. Welt-Aids-Konferenz im kanadischen Montréal sollte im August nun die Trendwende gelingen und HIV wieder im Fokus der Forschung stehen. Mit vor Ort war auch Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe (DAH). Er erklärte gegenüber Buzzfeed News Deutschland: „Die Konferenz hat hier ein starkes Signal gesendet, das hoffentlich gehört wird. Die Bundesregierung sollte jetzt ein gutes Beispiel geben, indem sie die deutschen Beiträge auf 1,8 Milliarden Euro erhöht. Das wäre der deutschen Wirtschaftskraft angemessen, und das Geld wird dringend gebraucht nach der Covid-Krise und insbesondere auch mit Blick auf die Situation in der Ukraine.“
Kernaspekt bei der Finanzierung ist die im September stattfindende, sogenannte Wiederauffüllungskonferenz des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) in New York – der Fond finanziert zahlreiche Programme zur HIV-Intervention in wirtschaftlich schwächeren Ländern. Alle drei Jahre muss der Fond neu finanziert werden, benötigt werden dafür rund 18 Milliarden US-Dollar. Zuletzt hatte Deutschland eine gute Milliarde Euro beigesteuert – die DAH erhofft sich nun eine Verdopplung der Leistungen. Wie wichtig das ist, bekräftigte auch Sylvia Urban vom Vorstand der DAH: „Die Erfolge der letzten Jahrzehnte sind in Gefahr – und damit Leben und Gesundheit von Millionen Menschen!“
Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs ist die Versorgung mit HIV-Medikamten zusammengebrochen
Eines sollten wir spätestens seit Covid gelernt haben – komplexe Krankheiten und Pandemien können in einer globalisierten Welt nicht mehr lokal betrachtet werden. Verschlimmert sich die HIV-Situation beispielsweise dramatisch in Afrika, wirkt sich das am Ende auch auf Europa und Deutschland aus. Die Ukraine ist ein solches Beispiel, bereits vor dem Krieg war das Land eines der HIV-Epizentren in Europa mit rund 330.000 HIV-positiven Menschen (Schätzung UNAIDS). Seit Ausbruch des Krieges brach schrittweise die Versorgung mit HIV-Medikamenten zusammen, weswegen die Weltgesundheitsorganisation inzwischen von mehreren tausend Todesopfern allein aufgrund fehlender Medikamente ausgeht.
Ein anderer wichtiger Aspekt neben der Verbesserung der allgemeinen Lage ist der Austausch zwischen Expert:innen – mehrere tausend HIV-Fachleute aus der ganzen Welt kamen auch dieses Mal erneut zusammen, die Konferenz ist die größte ihrer Art weltweit. „Wir haben auf Vernetzung und Austausch gehofft, zudem darauf, dass die Interessen und Bedürfnisse von den Menschen, die von HIV betroffen oder bedroht sind, artikuliert werden, dass Strategien und Lösungen geteilt werden und wir alle voneinander lernen können. Das war möglich, aber in geringerem Ausmaß als geplant, weil viele Menschen keine Visa erhalten haben.“ Der Skandal überschattete die Welt-Aids-Konferenz, denn mehrere hundert, geplante Teilnehmer:innen aus Afrika, Asien und Südamerika konnten gar nicht erst nach Montréal kommen, Kanada verweigerte ihnen die Einreise. Die kanadische Regierung befürchtete, gerade Besucher:innen aus Afrika würden nach der Konferenz nicht mehr abreisen.
„Die Forschung hat nicht aufgehört, aber viele Wissenschaftler:innen waren erstmal mit Covid befasst“
Am Ende bleibt ein sehr durchwachsenes Fazit, vieles hängt jetzt von den nächsten Schritten ab, die gerade auch Deutschland unternehmen wird, so Wicht von der DAH: „Die Forschung hat nicht aufgehört, aber viele Wissenschaftler:innen waren erstmal mit Covid befasst. Viele können sich nun hoffentlich auch wieder verstärkt HIV zuwenden. Wir haben im Moment drei Pandemien gleichzeitig – HIV, Covid und Affenpocken. Alle brauchen unsere volle Aufmerksamkeit! Das hat auch der renommierte Virologe Anthony Fauci in Montréal unterstrichen. Er hat gesagt: Sie können sich von einer Epidemie keine Auszeit nehmen und sagen: Wir machen morgen weiter.“ (Autor: JHM Schmucker)