—Anonym
„Ich wurde in eine Sekte geboren, die von meiner Großmutter väterlicherseits angeführt wurde. Wir haben damals alle in einer Nachbarschaft gewohnt, in der die Mitglieder gemeinsam auf vier Häuser verteilt lebten. Meine Großmutter hat die typische Familientrennung vorgenommen, nahm den Mitglieder ihren Besitz weg, verfälschte ihre Erinnerungen und erzeugte psychologischen Gruppendruck. Sie kontrollierte, was die Leute aßen, wie sie sich kleideten und wie sie ihre Haare trugen. Außerdem war sie immer darauf bedacht, dass die Frauen übergewichtig wurden. So sollten sie davon abgehalten werden, ,eitel‘ zu sein oder ,Männer anzuziehen‘. Sex war in jeder Hinsicht verboten. Einschließlich mit der*dem eigenen Parter*in und Masturbation.
Mitgliedern wurde teilweise auch der Zugang zu medizinischer Versorgung verweigert. In solchen Fällen wurde ihnen gesagt, dass ihre Krankheit der Teufel sei. Meine Großmutter hat sogar ein paar Wochen im Gefängnis verbracht - wegen Behinderung der Justiz. Dort hat sie einen Haufen neue Anhängerinnen unter den Insassinnen gefunden. Inzwischen ist sie verstorben, die Sekte gibt es aber immer noch. Zwar haben die Mitglieder wieder etwas Kontakt zu ihren Familien, ziehen sich nett an und kümmern sich um ihre Gesundheit. Ihrem Glauben sind sie aber immer noch treu.
Meine Großmutter war gleichzeitig eine furchteinflössende Diktatorin und süße Oma, die uns Mac‘n‘Cheese gemacht hat. Sie hat uns auch immer gesagt, dass wir unsere viel zu strengen Eltern ignorieren sollen, hat Apfelkuchen gebacken und uns Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen. Mich wundert es total, dass es noch keine Dokumentation über sie gibt. Sie war echt wild.“
—Anonym
„Meine Mutter wurde, als sie aufgewachsen ist, von ihrer Familie misshandelt. Während ihrer Ausbildung in den 70er Jahren ist sie schließlich über diese Sekte gestolpert. Sie haben ihr versprochen, wie eine Familie zu sein und so ist sie darin völlig versunken. Sie überzeugten meine Mutter davon, die Schule abzubrechen (obwohl ihr nur noch wenige Punkte bis zu ihrem Abschluss als Krankenschwester gefehlt haben). Außerdem gab sie wegen diesen Leuten all ihre Besitztümer auf, die an ihr Leben vor der Sekte erinnert haben und begann mit einer Diät. Dazu haben sie ihr die übliche Propaganda eingeredet: ,Wir sind die Einzigen, die dich lieben. Du gehörst hierher. Der Rest der Welt ist gefährlich.‘ Sie hat mir erzählt, dass sie da raus ist, als die Mitglieder der Sekte so getan haben, als würden sie in Zungen reden. Das wurde ihr so unheimlich, dass sie abgehauen ist.“
—Anonym
„Der Großteil der Mitglieder hat in Gebäuden gelebt, die dem Bischoff selbst gehört haben. Außerdem waren alle dazu verpflichtet, zu den täglichen Gottesdiensten von Montag bis Freitag zu gehen, zweimal am Sonntag und jeden dritten Samstag. Wenn du einen Gottesdienst verpasst hast, sind Mitglieder der Kirche vor deinem Haus aufgetaucht. Die Folge waren öffentliche Demütigung und man musste vor der ganzen Gemeinde seine Verfehlungen beichten. Die Art sich zu kleiden wurde kontrolliert. Freundschaften wurden kontrolliert (Freundschaften oder Beziehungen außerhalb der Kirche waren verboten). Und auch dein Erscheinungsbild im Ganzen wurde kontrolliert. Wenn dein*e Partner*in oder dein Kind die Sekte verlassen hat, musstest du sie exkommunizieren. Der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen war weit verbreitet und wurde unter den Teppich gekehrt. Vor ein paar Jahren ist der Bischoff gestorben und glücklicherweise sind darauf etwa 80 Prozent der Leute geflohen.“
—Anonym
„Ich wurde in eine Sekte namens ,Church Universal and Triumphant‘ geboren und bin darin aufgewachsen. Ihre Leitprinzipien basierten sehr stark auf der New Age-Philosophie, kombinierten aber auch einfach alle möglichen Aspekte anderer organisierter Religionen. Später wurde das Ganze immer kontrollierender und stützte sich zunehmend auf den herbei fantasierten Weltuntergang. Wir mussten richtige Übungsläufe in Luftschutzbunkern durchführen. Wir sollten immer wachsam sein, gegenüber eines möglichen Nuklearkriegs und dem Bösen auf der Welt generell. Wir durften auch nur noch genehmigte Nahrung zu uns nehmen (kein Zucker oder weiterverarbeitete Lebensmittel). Es wurde nur bestimmte Kleidung zugelassen (schwarz und rot waren verboten). Und auch die Musik, die man hörte, musste genehmigt werden (nichts mit einem Beat).“
—Anonym
„Wir waren einander zugewiesene Partner*innen und lebten nach einer strikten Doktrin, die wir nie infrage stellen durften. Als Resultat hatte ich mit Mitte 20 eine schwere Lebenskrise, in der ich alles angezweifelt habe, das ich bisher gelernt hatte. Diese Erfahrung hat mich gelehrt, immer erst Fragen zu stellen und meine Bedenken auszusprechen, wenn sich etwas nicht richtig anfühlt.“
—Anonym
„Frauen wurde gesagt, was sie und was sie nicht tragen durften: Kein geflochtenes Haar. Nur Röcke, die über die Knie gingen. Keine Jogginghosen (selbst beim Sport oder im Bett). Keine Haarschnitte. Kein Make-up. Denn das alles hätte ,verheiratete und unverheiratete Männer zur Lust verführen können‘. Männer konnten dagegen gehen, wohin sie wollten, tragen was sie wollten, tun was sie wollten und ihre Frauen kontrollieren. Wir wurden alle emotional so manipuliert, dass wir hungerten. Wir wurden in die Unterwürfigkeit gebrüllt und verbal missbraucht, wenn wir uns gegen die Richtlinien der Kirche aussprachen.“
—Anonym
„Nicht ich, aber meine Mutter und ältere Schwester waren in den 70ern in einer Sekte. Meine Mutter bekam meine Schwester mit 16 und hatte keinerlei Unterstützung. Sie freundete sich mit ein paar Hippies an, die in einer Kleinstadt in Kentucky lebten. Die Sekte nahm die beiden auf und gab ihnen das Gefühl einer fürsorglichen Familie. Es war nicht unbedingt religiös, aber sie nahmen oft Ayahuasca und haben tagelang gefastet. Sie hatten individuelle, kleine Häuser aus Gips. Gekocht und gebadet haben sie aber in einem viel größeren Haupthaus. Sie rauchten Gras, waren aber strikt gegen Tabak. So sehr, dass ein Mann, der eine Pfeife geraucht hatte, der Kommune verwiesen wurde. Meine Mutter hat den Entschluss zum Ausstieg gefasst, als sie ein Grundstück, das sie geerbt hatte, überschreiben sollte. Etwas eigenes zu besitzen, war gegen die Regeln.“
„Ich habe einige der Jness-,Workshops‘ besucht und war etwa ein Jahr lang, sowas wie ein Mitglied. Für diejenigen, denen das nichts sagt: Jness ist eine Frauengruppe von NXIVM. Ich hatte sogar Allison Mack (sowie ein paar andere) als eine Art ,Mentorin‘. Wir haben geskyped. Darüber hinaus war ich aber nicht wirklich involviert. Aber eine meiner Freundinnen hat sich da mit reinziehen lassen und ist sogar nach Albany gezogen, um mit Allison zu arbeiten. Heute geht es ihr den Umständen entsprechend gut.“
„Die Sekte hat Mitglieder dazu gezwungen, sogenannte ,Zeugnisse‘ abzulegen, in denen es darum ging, wie eine Stelle aus der Bibel sich auf das eigene Leben bezieht. Allerdings wurde das dazu benutzt, um Menschen für das Verhalten bloßzustellen, das abgelehnt wurde. Eine Person musste zum Beispiel vor der ganzen Gruppe im Detail darüber sprechen, dass sie Schwulenpornos angesehen hatte. Es herrschte dieser immense Druck, sich selbst auseinanderzunehmen und allen anderen zu erzählen, was man doch für ein* schreckliche*r Christ*in wäre.“
—Anonym
„Ich bin da vor etwa zwei Jahren rausgekommen, aber meine Familie war polygam und ich wurde mit zwölf dazu gezwungen einen 31 Jahre alten Mann zu heiraten. Von ihm habe ich zwei Kinder bekommen. Zu der Zeit wurde mir gesagt, dass es meine Pflicht wäre und meine Bestimmung von Gott. Deswegen habe ich nicht geglaubt, dass es falsch war. Ich hatte keine Freund*innen. Ich habe mit sechs Müttern und vier Schwester-Frauen zusammengelebt. Alle zusammen hatten wir 57 Kinder. Zwar ist es mir gelungen zu entkommen, ich blicke auf diese Zeit aber heute noch als das schrecklichste und verstörendste Leben zurück, das man sich nur vorstellen kann.“
Einiger der Antworten wurden gekürzt und/oder der besseren Verständlichkeit halber bearbeitet.