In einer Meldung vom 6. Februar 2022 hatte die Polizei Berlin mitgeteilt, dass eine 17-Jährige, die von mehreren Erwachsenen rassistisch beleidigt und körperlich attackiert worden war, keine Mund-Nase-Bedeckung getragen habe. Wie bei jeder anderen Pressemeldung der Polizei Berlin auch, kann nur der Stand der Informationen wiedergegeben werden, der zum Zeitpunkt des Verfassens der Meldung bestand. Die hier verwendeten Informationen stammten aus den vor Ort aufgenommenen Strafanzeigen, die, wie die weiteren Ermittlungen gezeigt haben, missverständlich formuliert waren. Im Rahmen der Sichtung vorhandenen Videomaterials sowie weiterer Ermittlungen, konnte nun festgestellt werden, dass die Jugendliche beim Ein- und Aussteigen aus der Tram eine Mund-Nase-Bedeckung trug und diese lediglich bei dem auf die rassistischen Beleidigungen folgenden Streitgespräch mit den sechs Erwachsenen kurzfristig nach unten gezogen hatte. Die sechs tatverdächtigen Erwachsenen trugen überwiegend keine Mund-Nase-Bedeckungen. Die Ermittlungen dauern an.
Gegen die Tatverdächtigen ermittelt der Polizeiliche Staatsschutz beim Landeskriminalamt wegen des Vorwurfs der rassistischen Beleidigung und der gemeinschaftlichen Körperverletzung.
„17-Jährige wegen fehlender Maske in Berlin zusammengeschlagen“, titelte die Welt. „Jugendliche (17) ohne Corona-Maske in Tram verprügelt – Polizei sucht Zeugen“, berichtete BZ Berlin. Und t-online schrieb: „17-Jährige trägt keine Maske – und wird attackiert“. Die Überschriften zielen darauf ab, dass der Grund für den Übergriff die angeblich fehlende Corona-Maske des Mädchens sei. Das will die Jugendliche so nicht stehen lassen und schilderte ihre Sicht der Dinge in einem Video, das gerade auf TikTok und Instagram viral geht und auch auf Twitter geteilt wurde:
„Da die Presse mir keine andere Wahl lässt, die Wahrheit verdreht und Lügen über mich verbreitet, muss ich mich so an die Öffentlichkeit wenden“, beginnt sie das TikTok-Video. „Ich komme aus Berlin und wurde gestern zusammengeschlagen, weil ich Ausländerin bin“, erzählt die 17-Jährige. Die Stellungnahme selbst wurde offenbar auf dem TikTok-Kanal einer Bekannten gepostet. Die Aufnahmen veröffentlichte sie jedoch zuerst auf ihrem Instagram-Kanal.
Während des Telefonats mit BuzzFeed Deutschland am Mittwoch (9. Februar) ist die Jugendliche noch immer fassungslos darüber, was ihr zugestoßen ist. Mittlerweile ist die 17-Jährige aus dem Krankenhaus entlassen worden. Schockiert habe sie nicht nur der Vorfall selbst, sondern auch, dass ihr Video auf Instagram und TikTok ihren Angaben zufolge wieder gelöscht wurde. Tatsächlich sind die Aufnahmen teilweise nicht mehr auffindbar. Mit ihrem Statement habe sie für Gerechtigkeit sorgen und ihre Stimme erheben wollen, berichtet sie über ihre Motivation.
„Diese Tat ist für mich unerklärlich, ich kann nicht tolerieren, was mir da passiert ist. Wo leben wir denn? Es ist 2022, egal, zu welcher Zeit sollte sowas niemals passieren, aber dass sowas heutzutage noch passiert, hätte ich nicht gedacht“, schildert die Jugendliche. „Das hat mir den Glauben an die Menschheit an einigen Stellen geraubt und mein Herz ist angegriffen“, so die junge Frau, die hörbar mit den Worten ringt. „Ich hätte niemals damit gerechnet, dass mir sowas passiert. Ich sehe das ja immer, ich laufe ja nicht blind durch die Welt, ich sehe überall Rassismus. Und ich halte nie meine Klappe, wenn ich auf der Straße Rassismus oder Gewalt sehe, dann greife ich ein.“ Ihr selbst habe jedoch keiner der umstehenden Menschen geholfen. Jeder Mensch habe das Recht auf Zivilcourage, darauf, dass „die eigene Stimme gehört wird und einem Gerechtigkeit widerfährt. Es ist egal, woher man kommt“, sagt die 17-Jährige mit Nachdruck.
Als sie gesehen habe, wie in zahlreichen Zeitungen über die Attacke berichtet wird, habe sie angefangen zu weinen – und sich entschlossen, das Video aufzunehmen.
Aus ihrer Perspektive ereignete sich der Vorfall laut ihrer Video-Botschaft wie folgt: In einer Straßenbahn sei sie während eines Telefonats mit ihrer Mutter von einer Gruppe alkoholisierter Erwachsener rassistisch beleidigt worden. Auch habe sie eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen, während die anderen Personen – zunächst drei – keine getragen hätten. Sie sei es gewesen, die auf die fehlenden Masken aufmerksam gemacht hätte.
Eine der Frauen aus der Gruppe habe sie – mittlerweile war die Jugendliche aus der Tram ausgestiegen – dazu aufgefordert, ihre Maske aufzuziehen. Jedoch seien sie zu diesem Zeitpunkt im Freien gestanden, berichtet die 17-Jährige. In der Polizeimeldung vom 6. Februar hieß es dazu: „Als alle Beteiligten an der Haltestelle Greifswalder Straße gemeinsam die Bahn verlassen hatten, soll eine der drei Frauen aus der Gruppe der 17-Jährigen mit der Faust ins Gesicht geschlagen und mehrfach versucht haben, sie zu treten.“ Die Beschreibung der ursprünglichen Polizeimeldung deckt sich somit mit den Schilderungen der Jugendlichen. Die Frau habe ihr ins Gesicht gefasst, dabei sei ihre Lippe aufgeplatzt, und habe ihr die Maske aufsetzen wollen, die dabei zu Boden gegangen sei.
Aus dem Nichts sei sie dann von allen Beteiligten attackiert worden. „Auf einmal, ich dreh mich um, ein zwei Meter großer Mann, 51 Jahre, jetzt weiß ich ja wie alt er ist, ist auf mich los gegangen, hat sich vor mich gestellt, auf mich herab geguckt und gesagt, ich würde nicht wissen, wer er ist. Mit seinen Händen auf mich rauf und hat gesagt, ich soll aufpassen, was ich in seinem Land sage“, so die 17-Jährige. Die Personen hätten sie körperlich angegriffen und rassistisch beschimpft, ihre Mutter hätte via Telefon alles mitbekommen und geweint.
Sie habe um Hilfe gerufen, doch keiner hätte etwas unternommen. Sie erinnere sich seitdem „jeden Tag an dieses Gesicht, das so hasserfüllt war“. Ihr sei es gelungen, mit ihrem Handy Aufnahmen zu machen, die sie in ihrem TikTok-Video einblendet. Auch die Polizei berichtete, dass die 17-Jährige ein Video von den sechs Personen aufgenommen habe, das sie den Polizist:innen zeigte. So konnten die drei beteiligten Männer festgenommen werden. Die Ermittlungen zu den beteiligten Frauen dauern an.
Die Polizei Berlin hatte zunächst in ihrer ersten Meldung zum Vorfall am 6. Februar folgendes angegeben: „Bei einem Streit über eine fehlende Mund-Nase-Bedeckung wurde gestern Abend in Prenzlauer Berg eine 17-Jährige verletzt. Gegen 20.10 Uhr alarmierte die Jugendliche die Polizei in die Greifswalder Straße und gab an, dass es zuvor in der Tram der Linie M4 zu einem Streit zwischen ihr und sechs Erwachsenen gekommen sei, weil diese die Jugendliche auf ihre fehlende Mund-Nase-Bedeckung angesprochen hätten.“ Daraufhin sei es nach Angaben der Jugendlichen zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen, in deren Folge sie rassistisch beleidigt wurde.
„Als es der Angegriffenen gelungen sei, den Attacken auszuweichen, hätten sie zwei Männer aus der Gruppe festgehalten und zwei der drei Frauen sollen das Mädchen mehrfach geschlagen und getreten haben. Zudem soll eine der Frauen ihr Haare ausgerissen haben“, steht in dem Bericht. Die alarmierten Polizist:innen nahmen laut Deutscher Presse-Agenturspäter drei Männer im Alter von 42, 44 und 51 Jahren als mutmaßliche Beteiligte vorläufig fest. Die drei bestritten die Vorwürfe. Die 17-Jährige musste in einem Krankenhaus behandelt werden, in dem sie zur Beobachtung stationär aufgenommen wurde.
In ihrem Instagram-Post schreibt die Jugendliche am Ende: „In den Medien wird behauptet, dass der Grund ein fehlender Mund-Nasen-Schutz sei, was jedoch nicht der Wahrheit entspricht. Außerdem wäre es ebenso kein Grund zu sechst auf eine minderjährige Person zu gehen und diese zusammenzuschlagen“.