Wer Kühe bemitleidet, die im Feuer sterben, hat sie nicht mehr alle
In einem Landwirtschaftsbetrieb im Ostallgäu brennt es, 140 Tiere kommen ums Leben. Wer deswegen von „armen Tieren“ spricht, ist ein:e Heuchler:in.
Bei einem Feuer in einem Kuhstall in Untrasied (Landkreis Ostallgäu) kamen in der Nacht auf Montag, 22. Mai 2023, etwa 140 Kühe ums Leben. „Die armen Tiere“, kommentieren Facebooknutzer:innen die Nachricht. „Das tut einem ja in der Seele weh“, schreibt eine Person. Ganz ehrlich: Wer bei solch einer Nachricht Tränen verdrückt, der oder die ist ein:e ganz schöne Heuchler:in. (Es sei denn, er oder sie lebt vegan, das hat unser Autor Mika auch mal ausprobiert.)

Großbrand in Untrasied zeigt, wie wir das Töten von Tieren „rationalisieren“
Jährlich sterben laut Statistischem Bundesamt etwa drei Millionen Rinder. Wobei „sterben“ ist vielleicht der falsche Ausdruck, denn die Tiere sterben nicht aufgrund eines Unglücks, wie dem Großbrand in Untrasied eines war. Sie werden willentlich geschlachtet, damit wir ein Stück Steak oder einen Burger-Patty auf dem Teller liegen haben.
„Die armen Tiere, die Panik, die sie haben mussten“, schreibt eine Facebooknutzerin namens Cordula (siehe Screenshot unten). Eine andere Person kommentiert: „Vor allem auch das Schreien...da heul ich gleich.“ Aber „heult“ sie auch, wenn sie sich vorstellt, wie eine Milchkuh schreit, wenn sie zu spät von ihrem Kälbchen getrennt wird? Oder wenn sie sich in ein Rind auf dem Schlachthof hineinversetzt?

Die Antwort ist nein. Das tut sie wahrscheinlich nicht, so wie wir alle. Weil wir Heuchler:innen sind. Wir trinken gerne Milch und essen gerne unser Kalbsschnitzel, deswegen verdrängen wir, dass für Lebensmittel wie Burger und auch Butter Tiere sterben müssen. Wir empfinden kognitive Dissonanz, die uns dazu bringt, das Töten von Tieren zu „rationalisieren“.
Bedeutet: Wir suchen Gründe, warum man empfindungsfähigen Wesen, einzig und allein um sie zu schlachten, Leid antun darf. Dazu gehört auch, dass wir versuchen, Tiere möglichst „human“ zu töten und extra mobile Schlachtanlagen erfinden, die die „Tiere schonen“ sollen. Dass wir davon sprechen, was für ein „glückliches Leben“ die Kühe auf ihrer Weide hatten. Ein Phänomen, das auch Fleischparadox genannt wird, schreibt Pascal Frank in der Fachzeitschrift Psychosozial.
Über 140 gestorbene Kühe zu weinen, ist Heucheln auf ganz hohem Niveau
Geht es nicht um Fleisch, bleiben wir die emphatischen, gutherzigen, hilfsbereiten Menschen, für die wir uns selbst gern halten. Wir verurteilen Menschen, die Tiere nicht artgerecht halten. Die sie im Zirkus für Kunststückchen missbrauchen oder sie zum Vergnügen quälen (Gott bewahre!). Wir weinen bitterlich, wenn süßen Katzenbabys wehgetan wird. Oder eben auch, wenn 140 Kühe in einem Feuer wie im Ostallgäu sterben.
Geht es nicht um Fleisch, bleiben wir die emphatischen, gutherzigen, hilfsbereiten Menschen, für die wir uns selbst gern halten.
„Wie tragisch, die armen Tiere“, kommentiert eine weitere Person den Brand. Das ist Heucheln auf ganz hohem Niveau, fast so schlimm wie zu sagen: Wer Tiere liebt, sollte sie essen. Wer uns wirklich leidtun sollte, ist die Familie, die den Landwirtschaftsbetrieb führt. Denn die müssen nun irgendwie mit einem Schaden von geschätzten 1,5 Millionen Euro klarkommen. Das ist tragisch. Aber die Kühe? Meine Güte. Die sind eben gestorben. Nicht schön, aber immerhin wurden sie nicht zur Salami.
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