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„An der Realität vorbei“: Fahrgastverband kritisiert Wissings Idee zu bundesweit gültigen ÖPNV-Tickets

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Von: Pia Seitler

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Voller Bahnsteig und Volker Wissing.
Verkehrsminister Volker Wissing will, dass Bahnfahren nach dem 9-Euro-Ticket unkomplizierter wird. © Manfred Segerer/Arnulf Hettrich/Imago/Collage/BuzzFeed

Für die Zeit nach dem 9-Euro-Ticket schlägt Verkehrsminister Volker Wissing bundesweit gültige ÖPNV-Tickets vor. Der Fahrgastverband Pro Bahn hält dagegen.

Noch bis Ende August können Fahrgäste mit dem 9-Euro-Monatsticket im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) durch ganz Deutschland reisen. Die Nachfrage nach den Tickets ist hoch, die Verkehrsbranche und Verkehrsminister Volker Wissing feiern sie als Erfolg. Und bereits jetzt werden Forderungen und Ideen für die Zeit nach dem 9-Euro-Ticket laut. Wissing will sich laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) dabei für eine dauerhafte Vereinfachung des Tarifsystems im öffentlichen Nahverkehr einsetzen. „Wenn die komplizierten Tarifzonen verschwinden und die Tickets bundesweit gelten, wird der öffentliche Nahverkehr sehr viel stärker genutzt“, sagte Wissing der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Karl-Peter Naumann, Sprecher beim Fahrgastverband Pro Bahn, kritisiert jedoch nun im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschand Wissings Vorschlag: „Bundesweit gültige Tickets für den öffentlichen Nahverkehr klingen auf den ersten Blick gut, gehen aber an der Realität im Verkehr und auch an der wichtigen ökologischen Forderung, nämlich die Nähe zu fördern, vorbei.“

Die Realität sehe anders aus, weil „die allermeisten Fahrten weniger als 50 Kilometer lang sind“. Da spiele eine bundesweite Gültigkeit der Tickets keine Rolle, so Naumann. Außerdem gehe der finanzielle Anreiz verloren, eher Strecken in seiner Stadt mit Bus oder Bahn zurückzulegen. „Es sollte ja finanziell schon attraktiver sein, wenn ich in Berlin wohne, in Berlin mit der Bahn zum Wannsee zu fahren, als zur Ostsee.“

Reformidee für ÖPNV – bundeseinheitliche Definitionen von „Tag“ oder „Gruppe“

Wissing will nach dem 9-Euro-Ticket den „Tarif-Dschungel in Deutschland“ beenden. Uneinheitliche und komplizierte Regelungen kritisiert auch der Sprecher vom Fahrgastverband. Er sieht allerdings den Handlungsbedarf zunächst an etwas anderer Stelle: „Wenn ich eine Reform durchführe, müssen erst einmal Begriffe, wie Kind, Tag, Hund, Gruppe im Öffentlichen Verkehr vereinheitlicht werden. Wenn der Tag in Hamburg anders definiert ist als in Kiel, versteht das keiner.“

Hier sollte nach Meinung des Fahrgastverbandes über bundeseinheitliche Strukturen diskutiert werden. Also zum Beispiel, ob ein Kind ein Ticket bezahlen müsse oder wie groß eine „Gruppe“ sei. Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen habe hierzu 2004 einen Vorschlag gemacht, der bis heute noch längst nicht umgesetzt sei. „Leichte preisliche Abstufungen je nach Entfernung sind dann sicherlich für jeden verständlich“, so Naumann.

Hier erklären wir, wie du dein Geld zurückbekommst, wenn du statt des 9-Euro-Ticket aus Versehen ein teureres Ticket gekauft hast.

Günstige ÖPNV-Ticketpreise und gutes Angebot – eine Frage der Finanzierung

Bundesweite Tickets für den ÖPNV würden ihn vielleicht für einige attraktiver machen, aber für Berufspendler:innen ist es wichtig, dass die Alltagsmobilität günstig sei. Verkehrsunternehmen rechnen indes mit steigenden Preisen nach dem 9-Euro-Ticket. Laut dem Fahrgastverband brauche es nach dem Auslaufen des 9-Euro-Tickets zunächst Tickets für den Nahbereich.

Wir brauchen etwas, was die Nähe interessant macht. Nicht jeder fährt jeden Tag an die Ostsee, oder möchte sich auf eine Monatskarte festlegen. Preiswerte Tageskarten für drei Euro in der Stadt wäre zum Beispiel eine gute Sache. Der Nachfolger des 9-Euro-Tickets muss familienfreundlich sein. Es muss eine Familien- oder Gruppenkarte für bis zu fünf Personen geben, die preiswerter sein muss als zwei Tagestickets.

Karl-Peter Naumann, Fahrgastverband Pro Bahn 

Nicht nur günstige Preise, sondern auch ein gutes Angebot machen den ÖPNV attraktiver, so Naumann. Im ÖPNV gebe es einen immensen Investitionsbedarf zum Beispiel bei Schienenstrecken, Schienenfahrzeugen, Bussen, Busspuren und Fahrradparkhäusern. „Wenn die Investitionen hier gesichert sind, kann man über preiswerte Tarife nachdenken. Eine Verkehrswende hin zu mehr ÖPNV und weniger Autoverkehr erreiche ich kaum durch Billig-Tickets, sondern durch Investitionen in das System.“

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