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Umstrittener TikTok-Trend „Body Count“: „Das ist, wie viele Weiber er weggehauen hat“

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Von: Robert Wagner

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Ausgerechnet auf TikTok leben überholte Geschlechterrollen wieder auf. An einem Trend wird deutlich, wie unterschiedlich Männer und Frauen bewertet werden.

Frauen haben rein und unberührt zu sein und sollen im besten Fall als Jungfrau in die Ehe gehen. Bei Männern hingegen guckt man nicht so genau hin, sie sollen sich ja die „Hörner abstoßen“ und wollen auf TikTok am liebsten sein wie Patrick Bateman, also ziemlich toxisch. Dieses Denken gehört zum Kern patriarchaler Gesellschaftsstrukturen, die auch bei uns bis vor gar nicht allzu langer Zeit unhinterfragt akzeptiert wurden. Mittlerweile sind wir weiter, für Frauen und Männer gelten in sexueller Hinsicht dieselben Maßstäbe – zumindest dachten wir das bisher.

TikTok-Trend „Body Count“ zählt die bisherigen Sexualpartner und bewertet sie

Ein TikTok-Trend zeigt uns aber gerade, dass moderne Geschlechterrollen keine Selbstverständlichkeit sind. Der Trend „Body Count“. Im Vergleich mit anderen Trends, wie der „Französischen Narbe“ oder der „Blackout Challenge“ scheint er vergleichsweise harmlos. Es geht dabei um die Zahl der Menschen, mit denen man bisher Sex hatte.

In Videos unter dem Hashtag #bodycount, der über 800 Millionen mal angeschaut wurde, vergleichen junge Menschen ihre Body Counts und bewerten sich auf dieser Grundlage gegenseitig. Beliebt sind etwa Clips von Straßenumfragen, in denen wahllos junge Menschen nach ihrem Body Count gefragt werden oder den von anderen anhand des Aussehens bewerten sollen.

Frauen mit hohem Body Count: „Gar nicht mit der reden, weg direkt“

Das Problematische dabei ist, dass die Bewertung des Body Counts oft vom Geschlecht abhängt. Während junge Männer sich für eine hohe Zahl feiern und gerne übertreiben, werden junge Frauen desto besser beurteilt, je kleiner ihr Body Count ist. Jungfrauen (Body Count = 0) werden regelrecht gefeiert und gleich nach ihrem Instagram-Profil gefragt, wie dieser TikTok-Nutzer es in seinem Clip demonstriert (siehe unten).

Ein hoher Body Count macht eine Frau („eine zehn von zehn“) für viele junge Männer scheinbar sofort weniger attraktiv und zu einer „sechs von zehn“ oder „drei von zehn“, wie der Clip unten zeigt. Für manche wird eine sexuell aktivere Frau offenbar praktisch unberührbar („Gar nicht mit der reden, weg direkt“). Sie gilt dann „als leicht zu haben“, wenn nicht gleich als „Hure“.

Body Count: „Das ist, wie viele Weiber er weggehauen hat“

Auch für junge heterosexuelle Frauen kann schon ein Body Count im niedrigen einstelligen Bereich zu hoch sein. „Er soll doch kein Fuckboy sein“, sagt die junge Frau im TikTok-Video unten. Das überraschte Gesicht des männlichen TikTokers auf diese Antwort ist vielsagend, denn unter jungen Männern herrschen offenbar andere Maßstäbe. Die Zahl (hetero)sexueller Kontakte kann für sie offenbar nicht groß genug sein.

Viele Sexualpartnerinnen gehabt zu haben, gehört zu den Dingen, die bei Männern und Frauen gesellschaftlich unterschiedlich bewertet werden. Diese Haltung, in der bis heute patriarchale Gesellschaftsstrukturen zum Tragen kommen, bringt ein anderer TikToker in seiner Straßenumfrage auf den Punkt. Er erklärt einem Passanten, was der Body Count eines Mannes ist: „Das ist, wie viele Weiber er weggehauen hat.“

Männer können sich ungehemmt ausleben, während von Frauen „Anstand und Sitte“ erwartet werden – schließlich sollen sie „ihren Körper für den Ehemann aufsparen“, wie es dieser junge Mann in einem Clip sagt. Männer und Frauen seien eben „nicht dasselbe“, betont er mehrfach. Diesen Spruch kann man in sehr vielen Videos hören, in denen es um den Body Count geht.

Mit dem TikTok-Trend Body Count leben alte Ideen des Patriarchats auf

Woher kommt diese unterschiedliche Bewertung von Männern und Frauen, die für viele so selbstverständlich zu sein scheint? Patriarchale Strukturen reichen sehr weit in die Vergangenheit zurück. Die Sexualität der Frau unterlag einer gesellschaftlichen Kontrolle, wie Marina Thomas, Medien- und Sozialpsychologin mit dem Schwerpunkt Sexualität, dem Stern sagte. Es ging dabei um die Gewährleistung der Vaterschaft eines Mannes, die ungewiss wird, wenn die Frau ihre Sexualität frei auslebt.

Männer haben seit jeher die Verfügungsgewalt über „ihre“ Frauen beansprucht, um die Vaterschaft über die in die Ehe geborenen Kinder sicherzustellen. Aus diesem Grund wurden in der Vergangenheit Verstöße gegen die Sexualmoral auch stets härter bestraft, wenn sie von einer Frau begangen wurden.

„Frauen wurden und werden abgestraft, wenn sie viele – vor allem oft wechselnde – Sexualpartner haben“, so Thomas. „Eine Mutter erhielt beispielsweise keinen Unterhalt für ihr Kind, wenn mehrere Männer aussagten, Sex mit ihr gehabt zu haben.“ Diese ungleiche Bestrafung war auch bei uns bis vor einigen Jahrzehnten die gesellschaftliche Norm.

Auf TikTok brüsten sich Männer unter dem Hashtag „Body Count“ mit, wie vielen Frauen sie geschlafen haben. Für Frauen sähe dieser Trend wohl ganz anders aus...
Auf TikTok brüsten sich Männer unter dem Hashtag „Body Count“ mit, wie vielen Frauen sie geschlafen haben. Für Frauen sähe dieser Trend wohl ganz anders aus... © Panthermedia/IMAGO/Collage

Droht dank #bodycount ein gesellschaftlicher Rückschritt?

Dieser grundlegende Wesenszug patriarchaler Gesellschaften, lebt ausgerechnet unter jungen Menschen wieder auf, indem konservative Normen zu TikTok-Trends werden. „TikTok ist natürlich nicht die Ursache für diese Denkmuster, aber es trägt dazu bei, dass sie wieder an die Öffentlichkeit kommen“, antwortet Thomas auf die Frage, ob dieses Phänomen einen gesellschaftlichen Rückschritt begünstige.

Die Überwindung dieser Ungleichbehandlung von Mann und Frau ist ein Kernanliegen des modernen Feminismus, gegen den Anitfeminismus-Influencer mittlerweile gezielt mobil machen. Am TikTok-Phänomen Body Count lässt sich gut erkennen, wie fragil die Fortschritte des Feminismus sind. Das Patriarchat hat sich tief in unsere kulturelle DNA eingegraben und TikTok-Trends wie Body Count bringen das wieder zum Vorschein, sind also zumindest keine große Hilfe was die Gleichberechtigung anbelangt.

Mehr zum Thema Patrichat: Hier schreiben wir über männliche Pick-up-Artists auf TikTok, die echt gefährlich sein können.

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