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Geleakter Entwurf: Konservative wollen in den USA Recht auf Abreibung abschaffen

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Menschen protestieren gegen das durchgesickerte Gutachten des Obersten Gerichtshofs in den USA am 3. Mai 2022 in New York City.
Proteste gegen das durchgesickerte Gutachten des Obersten Gerichtshofs in den USA. © NurPhoto/Imago

Wie ein Bericht von „Politico“ zeigt, erwägen konservativen Richter:innen jetzt ernsthaft das Recht auf Abtreibung in den USA wieder abzuschaffen.

Ein durchgesickerter Entwurf eines Gutachtens zeigt, dass Richter Samuel Alito und andere Mitglieder der konservativen Mehrheit des Obersten Gerichtshofs der USA ernsthaft in Erwägung ziehen, wegweisende Entscheidungen, die das Recht auf Abtreibung seit Jahrzehnten schützen, außer Kraft zu setzen. Sie könnten das Gesetz bereits in den nächsten zwei Monaten über den Haufen werfen. Fälle wie dieser hier, bei dem eine 26-Jährige wegen „selbst herbeigeführter Abtreibung“ festgenommen wurde, dürften sich dann häufen.

Der Enthüllungsbericht von Politico hatte 98 Seiten. Es handelt sich offenbar um den ersten Entwurf eines Gutachtens, das die Entscheidung aus dem Jahr 1973, ein verfassungsmäßiges Recht auf Abtreibung anzuerkennen (Roe vs. Wade) aberkennt. Auch eine Entscheidung aus dem Jahr 1992, die „Roe vs. Wade“ aufrechterhielt und neue Standards schuf, auf die sich Bundesgerichte stützen mussten, wenn sie entschieden, ob staatliche Einschränkungen von Abtreibungen rechtmäßig sind (Planned Parenthood of Southeastern Pennsylvania v. Casey) soll damit außer Kraft gesetzt werden.

Abtreibungen USA: Spekulationen über die Richter:innen

Politico berichtete, dass sich Alito vier andere Mitglieder des konservativen Arms des Gerichts – die Richter:innen Clarence Thomas, Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett – angeschlossen hatten, um für die Aufhebung von Roe zu stimmen. Sie trafen sich laut einer anonymen Quelle nach der Anhörung im Dezember 2021 – die Quelle wurde als „vertraut mit den Beratungen des Gerichts“ beschrieben.

Diese fünf Richter:innen waren sich der Quelle zufolge einig, aber wie aus dem Artikel ebenfalls hervorging, kann sich die Meinung des Gerichts – und die Position jeder einzelnen Richter:in in der Entscheidung – zwischen dem ersten Entwurf und der endgültigen Fassung drastisch ändern. Das Gericht gibt nicht bekannt, wann es eine Stellungnahme veröffentlichen wird, aber es wird erwartet, dass es Anfang Juli so weit sein könnte. Eine Sprecher:in des Obersten Gerichtshofs in den USA lehnte eine Stellungnahme ab.

Die Quelle von Politico war sich nicht im Klaren darüber, wo der oberste Richter John Roberts Jr. steht. Roberts ist konservativ, hat sich aber in einigen hochkarätigen Fällen auf die Seite der Liberalen Richter:innen geschlagen, was wie ein Versuch aussah, eine neue ideologische Mitte zu finden. Die Richter:innen Stephen Breyer, Sonia Sotomayor und Elena Kagan, die drei verbleibenden liberal eingestellten Richter:innen, arbeiteten laut Politico an der Gegenstimme. Die von Präsident Joe Biden neu bestätigte künftige Richterin Ketanji Brown Jackson wird ihren Dienst am Gericht erst antreten, wenn Breyer am Ende der Amtszeit in den Ruhestand geht.

Welche Folgen hätte diese Entscheidung?

Das Ende von „Roe“ und „Casey“ würde es den republikanisch geführten Staaten weitgehend freistellen, den Zugang zu Abtreibungen über die bereits bestehenden Regelungen hinaus stark einzuschränken oder das Verfahren ganz zu verbieten.

Das ist das Ergebnis, für das Mississippi argumentiert hatte, als seine Anwält:innen letztes Jahr vor das Gericht zogen, um das 15-Wochen-Verbot des Staates zu verteidigen. Zwei Dutzend Staaten unterzeichneten einen „Friend-of-Court“-Schriftsatz, der Mississippis Position unterstützte. Viele hatten in der Vergangenheit versucht, ähnlich restriktive Gesetze gegen Abtreibungen zu verabschieden. All diese waren früher von Richter:innen (aller ideologischen Richtungen) der unteren Instanzen niedergeschlagen worden, weil es „Roe“ und „Casey“ gab.

Selbst wenn Alitos Stellungnahme oder eine andere Version davon rechtskräftig wird, können die Staaten weiterhin den Zugang zu Abtreibungen erlauben. Das Guttmacher Institute, das die Abtreibungspolitik landesweit verfolgt, stellte fest, dass 16 Staaten und der District of Columbia über Gesetze verfügen, die das Recht auf Abtreibung schützen.

Abtreibungen USA: Frauen müssten nach Alternativen suchen oder in andere Staaten reisen

Wenn der Entwurf des Gutachtens Realität wird – oder wenn das Gericht das Gesetz von Mississippi in einer engeren Form bestätigt, und „Roe“ und „Casey“ zwar nicht vollständig aufgehoben, aber abgeschwächt werden – wird der Zugang zu Abtreibungen in einigen Teilen der USA weiter abnehmen. Schwangere in Staaten, die das Verfahren einschränken oder verbieten, müssten für einen Schwangerschaftsabbruch dann eine teure und zeitaufwändige Reise auf sich nehmen. Hier berichten Community-Mitglieder, wie es wirklich ist, abzutreiben.

Sie müssten nach Alternativen zur persönlichen Betreuung suchen, wie zum Beispiel medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche, die zwar erprobt, aber nicht weithin zugänglich sind und von Abtreibungsgegnern abgelehnt werden. Oder sie müssten auf einige der gefährlichen Hausmethoden zurückgreifen, die in der Ära vor „Roe“ üblich waren. Manche könnten sich auch gezwungen fühlen, eine Schwangerschaft auszutragen und ein Kind zu gebären.

„Planned Parenthood und unsere Partner:innen sind für den Kampf gerüstet!“

Die Generalstaatsanwältin von Mississippi, Lynn Fitch, gab eine Erklärung ab, in der sie keine Reaktion auf die endgültige Ankündigung zeigte: „Wir werden den Obersten Gerichtshof für sich selbst sprechen lassen und auf die offizielle Stellungnahme des Gerichts warten“. Anbieter:innen von Schwangerschaftsabbrüchen und Befürworter:innen der reproduktiven Gesundheit betonten, dass „Roe“ vorerst in Kraft bleibe, prangerten aber auch das an, was sie in einigen Wochen oder Monaten als wahrscheinliches Ergebnis erwarten.

„Obwohl wir die Zeichen der Zeit schon seit Jahrzehnten erkannt haben, ist es nicht weniger verheerend und kommt genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Abtreibungsgegner ihren ultimativen Plan vorstellen, die Abtreibung landesweit zu verbieten“, sagte Alexis McGill Johnson, Präsidentin von der „Planned Parenthood Federation of America“, in einer Erklärung. „Sie müssen verstehen, dass „Planned Parenthood“ und unsere Partner:innen sich auf jedes mögliche Ergebnis in diesem Fall vorbereitet haben und für den Kampf gerüstet sind.“ Die Gesundheitszentren von „Planned Parenthood“ blieben geöffnet, Abtreibung sei derzeit noch legal und sie würden weiterhin mit aller Kraft dafür kämpfen, das Recht auf Zugang zu sicherer, legaler Abtreibung zu schützen, sagt sie BuzzFeed News US.

Konservative Interessensvertretungen sind gegen Abtreibungen in den USA

Der durchgesickerte Entwurf stellt einen massiven Verstoß gegen das Protokoll und die Normen des Obersten Gerichtshofs der USA dar, aber der Inhalt des Dokuments ist keine völlige Überraschung. Abtreibungsgegner:innen und -aktivist:innen sowie konservative Interessenvertretungen unterstützen seit Jahren die Bemühungen, das Gesetz „Roeauszuhöhlen. Republikaner:innen im Senat haben die Bestätigung von Bundesrichter:innen und Richter:innen, die sich für die Aufhebung von „Roe aussprechen, zu einer der obersten Prioritäten und sie zu einem zentralen Wahlkampfthema für ihre Basis gemacht.

Die Tatsache, dass sich das Gericht bereit erklärte, den Fall Mississippi überhaupt zu verhandeln, war ein Zeichen dafür, dass zumindest einige der Richter:innen „Roe und „Casey überdenken wollten. Während der Argumentation im Dezember stellten Mitglieder des konservativen Flügels Fragen, die stark darauf hindeuteten, dass sie sich auf die Seite von Mississippi stellen würden. Die Frage war, wie weit die Entscheidung reichen würde und ob es genug Stimmen geben würde, um „Roe aufzuheben.

„Im Endeffekt sind wir genau an der gleichen Stelle wie im Mississippi-Fall“

Während der Anhörung im Dezember führten die Richter:innen auch eine ungewöhnliche öffentliche Debatte darüber, wie sich der Ausgang des Falles auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Gericht auswirken würde und ob es überhaupt das Ergebnis gäbe, dass die Wahrnehmung der Richter:innen als politische Akteure schwinden würde. Alito vertrat in seinem Entwurf die Ansicht, dass „Roe die nationale Spaltung in der Abtreibungsfrage nur verschlimmert habe und dass es am besten sei, „die Frage der Abtreibung an die gewählten Volksvertreter zurückzugeben“.

Er schrieb, dass „Roe“ von Anfang an „ungeheuerlich falsch“ war und dass „stare decisis“ – ein Rechtsgrundsatz, der Gerichte im Allgemeinen anweist, sich an seit langem gefällte, ständige Entscheidungen zu halten – nicht „ein unendliches Festhalten an Roes Missbrauch der richterlichen Autorität“ rechtfertige. Während der Argumentation im Fall Mississippi warnte Richterin Elena Kagan, dass „stare decisis“ entscheidend sei. Es verhindere, „dass die Leute denken, dass dieses Gericht eine politische Institution sei, die hin und her geht, je nachdem, welcher Teil der Öffentlichkeit am lautesten schreit.“ Die Leute sollten ja auch nicht denken, dass die Zusammensetzung des Gerichts die Entscheidungen immer wieder umwerfe.

„Im Endeffekt sind wir genau an der gleichen Stelle wie damals, nur dass wir es nicht sind, weil seit 50 Jahren nichts mehr passiert sei.“ Seit 50 Jahren gäbe es Entscheidungen, die besagen, dass „Roe“ Teil des Gesetzes sei, sagt Kagan. Das versetze das Gericht in eine völlig andere Situation, als wenn Frauen vor 50 Jahren gekommen wären und die gleichen Argumente für Abtreibungen vorgebracht hätten, sagte Kagan im Mississippi-Fall.

Autorin ist Zoe Tillman. Der Artikel erschien am 03. Mai 2022 auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Mine Hacibekiroglu.

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