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Für mich als LGBTQIA+-Person ist der Amoklauf in Colorado Springs keine Überraschung

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Der Amoklauf in Colorado Springs folgt auf ein Jahr, in dem die LGBTQIA+-Community gezielt politisch angegriffen wurde. Scheinheilig, dass Rechte den Angriff jetzt nicht politisieren wollen.

Erneut fand ein Amoklauf in den USA statt. Dieses Mal in einer LGBTQIA+-Bar in Colorado Springs. Bei einem Angriff, der kaum mehr als eine Minute andauerte, wurden fünf Menschen getötet und mindestens 18 weitere verletzt. Ein bewaffneter Mann stürmte in das Club Q, eine Bar, die als sicherer Hafen für die kleine LGBTQIA+-Community der konservativen Stadt galt.

Wären ein paar der anwesenden Gäste nicht so heldenhaft gewesen und hätten sich nicht dem Schützen entgegengestellt und ihn mit einer seiner eigenen Waffen überwältigt, hätte es noch viel mehr Tote gegeben. Dieser unfassbare Akt der Tapferkeit sollte für immer gefeiert werden.

Das Shooting in Colorado Springs ist nicht der erste Amoklauf in den USA – und wird voraussichtlich auch nicht der letzte sein. Allein bis Juni 2022 starben in den USA um die 17.820 Menschen durch Waffengewalt.

Amoklauf in Colorado Springs war unvermeidlich

Für viele LGBTQIA+-Menschen war der erschütterndste Aspekt dieses Gemetzels das Gefühl der Unvermeidlichkeit. Das ganze Jahr über hatte man das Gefühl, dass man sich auf eine Art schicksalhafte Tragödie in den USA zubewegt – wie bei einem Autounfall in Zeitlupe. Jetzt hat sich das Grauen manifestiert.

Seit einiger Zeit zeigt sich die wiederauflebende Rhetorik der Rechten, die queere Menschen wie auch die Biologin Vollbrecht als wider der Natur bezeichnen. So haben sich Aussagen, wie, dass queere Menschen Schulkinder „groomen“ (der Begriff steht eigentlich für die Körperpflege eines Tieres, wird aber im Kontext der Pädokriminalität verwendet und auf die Kontaktaufnahme mit Missbrauchsabsicht bezogen), dass sie die Körper von Transgender-Kindern „verstümmeln“ oder sie auf andere Weise junge Menschen verderben, mit erschreckender Effizienz in den politischen Mainstream-Diskurs eingegraben. „Don‘t Say Gay“ (Sag nicht schwul), lautet die Verordnung, sonst verbreitet es sich wie ein Virus.

Als deutliches und alarmierendes Ergebnis daraus zeigt sich, dass in den USA, aber auch in Deutschland, die Angriffe auf und Demonstration gegen LGBTQIA+-Personen gestiegen sind. Bewaffnete Miliz war in den USA auf Pride-Veranstaltungen, in Schwulenbars und örtlichen Bibliotheken anwesend. Trolle haben koordinierte Angriffe auf Anti-Selbstmord-Hilfsdienste für junge queere Menschen gestartet. Bei Kinderkrankenhäusern, die trans* Kindern helfen, wurde angerufen und Bombendrohungen wurden ausgesprochen.

Kate Ellis, CEO von GLAAD (einer Non-Profit-Organisation von LGBTQIA+-Aktivist:innen und den USA) äußerte sich in einem Statement dazu, „wie unwahre und verletzende Darstellungen von LGBTQIA+-Personen zu tatsächlicher Gewalt führen können“. „Es ist unvermeidlich, dass Extremisten online aktiviert werden, und in der realen Welt füttert die rechte Politiker:innen sie rund um die Uhr mit schrecklichen Lügen über LGBTQIA+-Personen“, sagte Ellis.

Schießerei in Colorado Springs kann als Manifestation der Hetze verstanden werden

Je kontroverser die Rhetorik wurde, desto mehr wuchs das Gefühl der Vorahnung, dass bald etwas Schlimmes passieren würde. Auch im Internet wird sichtbar, wie die „Welle des Hasses“ gegen queere Menschen zunimmt. Für manche ist auch physische Gewalt ein Mittel der Wahl: „Es gibt Leute, die bereit sind, auf soziale Fragen mit Gewalt zu antworten“, äußerte sich Cathryn Oakley, Leiterin der Abteilung für Gesetzgebung bei der Human Rights Campaign, im Juni gegenüber BuzzFeed US. „Und wenn man diese Leute mit dieser Art von Rhetorik füttert, mit der die Politiker:innen sie in diesem Jahr gefüttert haben, gibt man ihnen eine Lizenz, sich genau so zu verhalten, wie sie es wollen: nämlich mit Gewalt, mit Wut, mit Respektlosigkeit.“

Wenn du gehofft hast, dass das Blutvergießen von Colorado Springs in diesen Kreisen zum Umdenken führen könnte, hast du dich leider getäuscht. Man denke nur an die schiere Gefühlslosigkeit und Unmenschlichkeit von Chaya Raichik, der Immobilienmaklerin aus Brooklyn, die sich hinter laut Washington Post hinter @LibsOfTikTok verbirgt und nur wenige Stunden nach dem Angriff begann, ihren Zorn – und den ihrer 1,5 Millionen Twitter-Follower – auf Drag-Performer:innen in Colorado zu richten. Ihr Tweet ist mittlerweile nicht mehr verfügbar.

Derweil bot die republikanische Abgeordnete Lauren Boebert aus Colorado Plattitüden an, ohne jedoch anzuerkennen, dass ihre eigene Rhetorik LGBTQIA+-Menschen wiederholt als gefährlich dargestellt hatte.

Rechte haben Angst, dass der Amoklauf in Colorado politisiert wird

Andere übliche Rechtsextremisten wie Matt Walsh und Candace Owens distanzierten sich auf Twitter (siehe unten) vom Amoklauf in Colorado, versuchten aber dennoch, das Gespräch in einem Licht darzustellen, das sie besser aussehen lässt: dass eher links eingestellte Menschen eine Bedrohung für Kinder darstellen. Diese, so argumentierten Walsh und Owens, würden die Tragödie politisieren.

Diese Tragödie nicht politisieren? Die Tragödie ist, dass ihr die Existenz von uns queeren Menschen zum Politikum gemacht habt. Und wenn ihr über unser Leben bestimmen wollt, dann müsst ihr auch Verantwortung für die Tode übernehmen.

Zu diesen Todesfällen gehören Kelly Loving, eine 40-jährige trans* Frau, die aus Denver zu Besuch kam und ausgerechnet am Vorabend des „Transgender Day of Remembrance“ ermordet wurde. Auch Ashley Paugh, 35, gehört zu den Todesopfern. Sie hinterlässt eine Tochter und einen Ehemann, der ihre Highschool-Liebe war; Raymond Green Vance, 22, ein ortsansässiger heterosexueller Mann, der gerade seinen ersten Gehaltsscheck von seinem neuen Job in einem FedEx-Vertriebszentrum erhalten hatte, und die Club-Q-Barkeeper Derrick Rump, 38, und Daniel Davis Aston, ein 28-jähriger trans* Mann.

Nach dem Angriff auf die LGBTQ-Bar Club Q liegen Blumen und Briefe an der Straße.
Blumen und Briefe für die Verstorbenen, Verletzten und ihre Angehörigen. © David Zalubowski / dpa / picture alliance

Club Q war ein sicherer Hafen für queere Menschen

Erst dieses Jahr twitterte Aston: „Jedes Mal. Jedes Mal, wenn ich auch nur daran denke, bei Club Q aufzuhören, kommt jemand zu mir und sagt: ‚Du bist der Grund, warum ich diese Bar liebe‘ oder ‚Durch dich und Derrick fühle ich mich hier so sicher und willkommen‘.“

Sogenannte „Safe Spaces“, also Räume, in denen LGBTQIA+-Menschen sich sicher fühlen können, sind zu einer beliebten Zielscheibe für den Spott von manchen rechten Personen geworden, die solche Räume am liebsten abschaffen würden. Aber jene Menschen mussten sich noch nie Sorgen über misstrauische Blicke machen, wenn sie einen Veranstaltungsort betreten, mussten noch nie zögern, wenn sie die Hand ihre:r Partner:in halten wollen, mussten noch nie ihren Platz in der Gesellschaft infrage stellen.

In einem Land wie den USA, in dem LGBTQIA+-Personen wieder zu Feinden gemacht werden und als „die Anderen“ angesehen werden, sind solche Räume wichtiger denn je. Hier können wir die Anspannung abfallen lassen und Frieden in unserer eigenen Community finden.

Nicht nur queere Menschen: Auch Schwarze Personen in Deutschland fordern Safe Spaces, also Schutzräume.

LGBTQIA+-Menschen lassen sich nicht verdrängen

Aus diesem Grund fühlt sich der Angriff besonders furchtbar an – es ist, als ob er uns sagen wollte, dass wir niemals sicher sein werden – nicht einmal in unseren „Safe Spaces“.

Durch meinen Kopf geistern die Worte eines der Überlebenden, Joshua Thurman, der unter Tränen erzählte, wie er sich mit anderen in einer Umkleidekabine verbarrikadiert und den Schüssen zugehört hatte. „Dies war unser einziger ‚Safe Space‘ hier in den Springs“, sagte Thurman dem Lokalsender KRDO-TV. „Was sollen wir jetzt tun, nachdem alles zusammengeschossen wurde? Wohin sollen wir gehen?“

Für die LGBTQIA+-Personen in Colorado Springs gibt es keine einfachen Antworten auf diese Fragen, während sie trauern und die Community wieder aufbauen. Aber für den Rest von uns kann es nur eine trotzige Antwort auf diese Tragödie und die Vielzahl anderer Angriffe, die ihr vorausgingen, geben: Wir gehen nirgendwo hin.

Ein Zeichen gegen queer-feindliche Politik hat zuletzt auch eine ZDF-Kommentatorin gesetzt, indem sie bei der WM 22 in Katar ein Regenbogen-Outfit trug.

Autor ist David Mack. Der Artikel erschien am 21. November 2022 auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Lea Samira Maier.

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