Ihr bewundert Anna „Delvey“ Sorokin? Schämt euch!

MEINUNG
Kaum eine Serie beschäftigte viele so sehr wie „Inventing Anna“. Alle lieben die Hochstaplerin – außer unsere Autorin. Die kann Anna „Delvey“ Sorokin nicht ausstehen.
Versteht mich nicht falsch, ich mochte die Mini-Serie „Inventing Anna“ wirklich gerne. Nicht nur deswegen, weil ich alles von Shonda Rhimes gerade zu in mich aufsauge, sondern auch, weil die Geschichte von Anna Sorokin (alias Anna Delvey) wirklich spannend ist. Eine Deutsch-Russin, die Fashion liebt, zieht nach New York und mogelt sich als reiche Person in der High Society durch? Yes give me more of that! Was ich jedoch nicht verstehe: Wie könnt ihr Anna so abfeiern? Für mich ist sie vor allem eins: eine egoistische Kriminelle, die sich auf Instagram jetzt über 600.000 Follower:innen freuen kann.
Anna Sorokin: Die Serie „Inventing Anna“ löst bei uns Hochgefühl aus
Es ist bekannterweise nichts Neues, dass wir Kriminelle in Serien und Filmen lieben. You, Der Tinder Schwindler, The Blacklist, Haus des Geldes – die Liste könnte ewig so weitergehen. Psychiater Borwin Bandelow erklärt dieses Phänomen der Geo gegenüber so: Wenn wir kriminelles Verhalten sehen, dann zieht uns der „thrill“, also der Nervenkitzel, förmlich an. Wir setzen uns diesem freiwillig aus, weil wir darauf vertrauen können, dass die Sache für uns auf der Couch gut ausgeht (was mit Anna passiert, ist uns in dem Moment egal). Diese Stresssituation setzt bei uns Endorphine frei. Wir empfinden ein Hochgefühl, sind geradezu beglückt vom kriminellen Verhalten, das wir auf dem Screen sehen.
Brauchen wir wirklich feministische Vorbilder, die so ticken?
Alles schön und gut: Aber wir wissen doch immer noch irgendwo in unserem Hinterkopf, dass es nicht gerade eine ethische Glanzleistung ist, diverse Banken und Hotels auszurauben, oder? Ich habe das Gefühl, wir feiern Anna zu sehr dafür, dass sie eine Frau ist. Sie hat die ganzen New-Yorker-Business-Männer abgezockt – wie cool. Anna Sorokin wird für immer eine der ersten jungen Frauen sein, die vier Jahre lang als Hochstaplerin nicht nur die High Society, sondern auch die Behörden ausgetrickst hat. Aber brauchen wir wirklich feministische Vorbilder, die so ticken? Wer sich das wünscht, sollte sich schämen.
Anna Sorokin umgibt eine Aura der Undankbarkeit
Für mich umgibt Anna Sorokin eine Aura der Undankbarkeit. Eschweiler sieht doch eigentlich ganz nett aus, zumindest würde ich lieber in Eschweiler wohnen, als beispielsweise im Ukraine-Krieg aufzuwachsen oder in einer Diktatur leben zu müssen, eine Realität, der sich viele Menschen stellen müssen. Aber Anna, die erzählt im Podcast Call Her Daddy ganz unbeschwert, dass sie ihre Wäsche im Gefängnis von anderen waschen lassen hat. Das macht mich wütend. „Wasch deine Designerklamotten doch einfach selbst!“, würde ich ihr am liebsten zurufen.
Wasch deine Designerklamotten doch einfach selbst!
In einem Interview mit der Daily Mail sagt Annas Vater Vadim Sorokin, dass seine Tochter zu ihm nie gesagt hätte, dass sie ihn lieb habe. Wenn ich das höre, dann werde ich unendlich traurig. Ja, Anna Sorokin tut mir leid. Ich hasse sie nicht. Trotzdem finde ich es gefährlich, ihre Person als feministisches Vorbild zu betrachten. Ihr Charakter hat etwas Manipulatives an sich und während ich die Serie geschaut habe, oder über sie gelesen habe, gab es keinen Moment, in dem ich ihr eine Art Mitgefühl abgekauft habe.
Natürlich: „Inventing Anna“ ist immer noch „nur“ eine Serie, und niemand weiß, wie Anna Sorokin in Wahrheit tickt. Ich freue mich für sie, dass sie mit der Netflix-Produktion einen Riesen-Erfolg gelandet hat und das Geld, das sie für die Serie bekommen hat, nun für viele schöne Dinge ausgeben konnte. Ihre Netflix-Persona mochte ich aber nicht besonders. Ja, es tut gut, dass kleine Mädchen im Jahr 2022 wissen, sie können alles werden – aber bitte keine Hochstaplerinnen.