Anstieg von Geschlechtskrankheiten in der queeren Community: Arzt fordert, kostenlose STI-Tests

In Frankreich sollen junge Menschen ab dem kommenden Jahr kostenlose STI-Tests machen können. Ein deutscher Facharzt für Geschlechtskrankheiten findet das nicht richtig zu Ende gedacht.
Mit Skepsis blicken einige Ärzt:innen derzeit auf die LGBTQIA+-Community: Droht nach zweieinhalb Jahren Corona-Pandemie und einem Sommer mit Affenpocken (MPX) jetzt im Herbst ein massiver Anstieg von Geschlechtskrankheiten (STI) in Deutschland? Frei nach dem Motto: Jetzt erst recht! Nachdem Anfang Oktober weitere Impfdosen gegen MPX in Deutschland eingetroffen sind, entspannte sich zuletzt die Lage hier allmählich und die Virusinfektion hat ein wenig von ihrem Schrecken der Anfangszeit eingebüßt.
Fachleute wie Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG), sehen einen deutlichen Trend hin zu einem Anstieg von Geschlechtskrankheiten, vor allem bei Syphilis und Chlamydien. Schwule und bisexuelle Männer (MSM) tragen dabei ein besonders hohes Risiko, wie auch die US-Gesundheitsbehörde CDC bestätigt. So stiegen zuletzt in mehreren Ländern die Fallzahlen teilweise dramatisch im zweistelligen Prozentbereich an. US-Fachleute wie David Harvey, Direktor der National Coalition of STD Directors, sprechen für die USA von einer Lage „außer Kontrolle“, Kolleg:innen von ihm fordern entschlossen, man müsse den Einsatz gegenüber STI neu denken.
Kostenlose STI-Tests in Frankreich für junge Menschen bis 26
Eine solche neue Herangehensweise im Umgang mit STI will nun Frankreich gehen, ab 2023 soll jeder junge Mensch bis 26 Jahre unabhängig von einer Diagnose kostenlose STI-Tests machen dürfen. Der Hintergedanke dabei: Junge Menschen gehören zu den am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen.
Kevin Ummard-Berger, Facharzt für Allgemeinmedizin und Geschlechtskrankheiten von der HIV-Schwerpunktpraxis UBN in Berlin, fragt sich dazu gegenüber Buzzfeed News von IPPEN MEDIA: „Warum nur bis 26 Jahren? Haben die Menschen danach keinen Sex mehr? Ich finde, das ist nicht fertig gedacht. Sexualität hört mit 26 Jahren nicht auf, bei vielen fängt sie da erst richtig an, gerade auch in bestimmten Zielgruppen wie der LGBTQIA+-Community.“
Bei seinen Patient:innen spielen die Themen Sexualität und STI auch nach dem 26. Lebensjahr noch eine wesentliche Rolle. Der Schritt wie jetzt in Frankreich sei ein Anfang, aber aus seiner Sicht nicht richtig zu Ende gedacht. „Ich würde das alterstechnisch weiterführen, dann wäre es auch für Deutschland eine spannende Idee.“
Regel in Deutschland bei STI-Tests: Krankenkassen übernehmen nur bei Symptomen die Kosten
In Deutschland greifen unterschiedliche Regelungen beim Thema Geschlechtskrankheiten – will jemand ohne Symptome einen STI-Test machen, muss dieser selbst bezahlt werden, je nach Test können da durchaus 30 bis 50 Euro anfallen. Hat ein Mensch bereits erste Symptome, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten. Einzig in Schwerpunkteinrichtungen wie beispielsweise dem Checkpoint in Berlin sind STI-Tests generell kostenfrei – gerade als Signalwirkung auch in Richtung Politik.
Oftmals stoßen solche Ideen in Deutschland bei einigen Krankenkassen auf taube Ohren, denn am Ende handelt es sich wohl um eine einfache Kosten-Nutzen-Risikoabwägung, sprich, was kostet mehr: Die Behandlung von Menschen mit einer Geschlechtskrankheit oder generelle, kostenlose Tests für alle? Da viele STIs keine langfristigen Behandlungsfolgen haben, ist die Antwort einfach.
Kostenlose Vorsorge vor möglichem HIV-Kontakt in Deutschland ein „wichtiger Schritt“
Ummard-Berger weiter: „Natürlich würde es grundsätzlich Sinn machen, Menschen, die regelmäßig sexuell aktiv sind, auch regelmäßig zu screenen, da würden wir uns insgesamt gesehen jede Menge Arbeit dabei sparen.“ Allerdings, so der Facharzt weiter, gebe es schon jetzt einige sehr gute Entwicklungen in diesem Bereich: „Die PrEP (Abkürzung für „Prä-Expositions-Prophylaxe“, die Vorsorge vor einem möglichen HIV-Kontakt. Anm. d. Red.) als Kassenleistung ist in Deutschland ein wichtiger Schritt, weil wir damit alle drei Monate Menschen, die die PrEP regelmäßig einnehmen, auf Geschlechtskrankheiten testen können.“
Bei richtiger Einnahme schützt die PrEP vor HIV, nicht aber vor anderen STIs. Allerdings können diese durch die vierteljährlichen STI-Tests von PrEP-Nutzer:innen schnell erkannt und zumeist frühzeitig behandelt werden, sodass eine Weitergabe zumindest stark minimiert werden kann.
Hier zeigt sich allerdings auch ein deutlicher Unterschied: Gerade schwule und bisexuelle Männer sind in der Regel sehr gut über Geschlechtskrankheiten und die PrEP informiert, ganz anders dagegen heterosexuelle Personen: „Es wäre wirklich wichtig, dass über die klassische Zielgruppe hinaus das Thema PrEP viel stärker kommuniziert wird. Es gibt auch unter heterosexuellen Menschen viele, die ein hohes Risiko für HIV haben, und leider sehr wenig oder gar nichts über die PrEP wissen – hier findet kaum eine passende Kommunikation statt.“
Ansteig von STI-Fallzahlen: „Jede Form von Panikmache oder Stigmatisierung vermeiden“
In den meisten betroffenen Ländern, in denen die STI-Fallzahlen nach ersten Erkenntnissen ansteigen, wird das Thema deswegen jetzt verstärkt in die Öffentlichkeit getragen – auch in Deutschland gibt es Stimmen, die sich große Aufklärungskampagnen wie in den 1990er Jahren zurückwünschen. Eine gute Idee? Ummard-Berger dazu: „Das ist ein zweischneidiges Schwert. Für Patient:innen, die viele Jahre stigmatisiert worden sind, ist es schön, wenn das Thema nicht mehr omnipräsent ist. Grundsätzlich ist es aber natürlich sehr sinnvoll, Kampagnen zu starten, die darüber aufklären und die Awareness schärfen, aber wir sollten jede Form von Panikmache oder Stigmatisierung vermeiden – wie schnell das geht, haben wir in den letzten Monaten bei den Affenpocken erlebt.“