Queeres Beratungszentrum will Chef:innen beim Kampf gegen Diskriminierung unterstützen

Das anyway in Köln hat eine neue Stelle, bei der auch Einrichtungen beraten werden, wie sie mit Diskriminierung von queeren Menschen umgehen können.
Die deutsche LGBTQIA+-Community war in den vergangenen Monaten in Aufruhr, denn zwischenzeitlich hatte es ganz danach ausgesehen, dass das größte Beratungszentrum für queere Jugendliche in Europa, das anyway in Köln, mit einer deutlich geringeren Haushaltssumme 2023 ausgestattet werden sollte. Das wäre angesichts steigender Zahlen bei der Hasskriminalität gegenüber der LGBTQIA+-Community und ebenso ansteigenden Suizidraten unter jungen queeren Menschen ein völlig falsches Signal.
In einer Petition forderten über 5000 Kölner:innen ein Umdenken und erreichten dies schlussendlich auch. Die Einrichtung als erste Anlaufstelle für queere Jugendliche in ganz Deutschland ist gesichert. Mehr noch, der Kölner Finanzausschuss hat weitere 75.000 Euro bereitgestellt, um eine neue Fachberatungsstelle ins Leben zu rufen, die künftig alle Träger und Einrichtungen gezielt beraten, begleiten und unterstützen kann, die sich in Köln mit queeren Jugendlichen befassen.
Beratungszentrum für queere Jugendliche – Blaupause für viele Institutionen deutschlandweit
Die beiden neuen Fachberater:innen, die sich dieser Aufgabe ab sofort stellen müssen, sind Rabea Maas und Dominik Weiss – in diesen Tagen haben sie ihre Arbeit bereits aufgenommen und sind hoch motiviert, wie sie BuzzFeed News DE von Ippen.Media verraten haben. Dabei wartet viel Arbeit auf die beiden Expert:innen, die bereits mehrjährige Erfahrung in der Bildungsarbeit gesammelt haben und auch in der Jugendarbeit bei anyway selbst beschäftigt waren: „Als größte LSBTIQ*-Jugendeinrichtung Europas gehört es zu unseren Kernanliegen, auf die Themen und Belange queerer Jugendlicher und junger Erwachsener aufmerksam zu machen und ihnen eine Stimme zu verleihen. Daher möchte die Stadt mit dieser neuen Anlaufstelle anderen Trägern und Einrichtungen die Möglichkeit bieten, sich für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu sensibilisieren. Durch verschiedene Angebote in Form von Beratung und Fortbildung möchten wir die Fach- und Führungskräfte aus diesem Bereich gerne darin unterstützen, queere Themen in ihre Arbeit zu integrieren.“
Das anyway blickt dabei auf über 25 Jahre Erfahrung in der queeren Aufklärungs-, Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit mit Schulen, Jugendgruppen und anderen Multiplikator:innen zurück und so könnte die neue Einrichtung in Köln in diesem Jahr als Blaupause für viele andere Institutionen und Unternehmen deutschlandweit dienen.
anyway in Köln will Lebensrealität von jungen queeren Menschen verbessern
Die Ziele für 2023 sind hochgesteckt, der neue nationale Aktionsplan soll explizit auch die Lebensrealität von jungen queeren Menschen verbessern – eine Mammutaufgabe, die nur Hand in Hand funktionieren kann, wenn auch abseits der Fachleute Menschen in vielen Bereichen und Arbeitsfeldern die Probleme erkennen und künftig sensibler mit der Thematik LGBTQIA+ umgehen.
„Die Stadt Köln ist schon seit längerer Zeit eine Vorreiterin in der Unterstützung von queeren Themen und auch der queeren Jugendarbeit. Wir wünschen uns, dass diese Entwicklung weitergeht und auch andere Städte auf kommunaler Ebene Aktionspläne einrichten und in die Praxis umsetzen.“ Da stellt sich die Frage: Berlin, Hamburg, München, wann macht ihr es den Kölnern nach?
Wie kann man Führungskräfte oder Angestellte in Behörden erreichen?
Eine ganz andere Frage ist allerdings jene, wie willig manche Führungskräfte oder Angestellte in Behörden oder anderen Einrichtungen wirklich sind, wenn es darum geht, mehr über queere Jugendliche zu erfahren. Kann man alle erreichen?
„Wer sich partout mit den Themen nicht auseinandersetzen möchte, kann und wird auch nicht von uns dazu gezwungen. Wir können diese Menschen am besten ins Boot holen, in denen wir zeigen, dass wir alle schon in diesem Boot sitzen. Die Augenhöhe und das Einbeziehen der Perspektive der Teilnehmenden schafft eine Atmosphäre, in welcher ein offener Austausch möglich ist, und die verdeutlicht, dass wir nur gut in einer solidarischen, demokratisch strukturierten Gesellschaft leben“, so Rabea Maas.
Und ihr Kollege Dominik Weiss ergänzt: „Eine solche Gesellschaft entsteht nur, wenn wir die menschliche Vielfalt verstehen und respektieren. Auf dieser Ebene erreichen wir ein Verständnis für unsere Fortbildungsangebote und bestenfalls auch eine Kooperationsbereitschaft!“
„Es ist ganz deutlich, dass der Beratungsbedarf enorm gestiegen ist!“
Wie wichtig dieser Einsatz von allen Seiten ist, belegen auch die jüngsten Zahlen des anyway selbst – auch wenn es für das Jahr 2022 noch keine finalen Daten gibt, zeigt sich bereits klar: „Es ist ganz deutlich, dass der Beratungsbedarf enorm gestiegen ist“, so Weiss.
Bereits im Jahr 2021 hat das anyway insgesamt rund 3800 Menschen erreicht, zusätzlich kam das Team des anyway bei ihrer Bildungsarbeit an Schulen und in Jugendgruppen mit über 2000 weiteren Menschen in Kontakt. Ein Trend für das vergangene Jahr lässt sich indes bereits feststellen, so Maas im Gespräch: „Die Themen unserer Besucher:innen in 2022 sind für uns schon deutlich erkennbar – unter anderem beschäftigen sie die lautere Ablehnung queerer Themen, die Zunahme an Gewalt gegenüber LSBTIQ*-Menschen, aber auch die aktuelle weltpolitische Lage sowie die Auswirkungen der Corona-Pandemie.“
Diskriminierung: Führungskräfte sollten queeren Jugendlichen zuhören und sie ernst nehmen
Und wie sollten Chefs künftig damit umgehen, wenn sie unter ihren Mitarbeiter:innen Mobbing gegenüber queeren Kolleg:innen erleben? Weiss dazu: „Eine klare Haltung ist das Wichtigste bei allen Themen von Antidiskriminierung. Gerade eine Führungskraft hat die Position, mit eigenem Verhalten ins Kollegium hineinzuwirken. Daher gibt es zwei grundsätzliche Anhaltspunkte in solch einer Situation: Auf der einen Seite im Team verdeutlichen, dass keine Form von Diskriminierung geduldet wird und damit eine für Vielfalt offene Teamkultur herstellen. Auf der anderen Seite ist es mindestens genauso wichtig, dass die Führungskraft an der Seite der diskriminierten Kolleg:innen steht, Unterstützung anbietet und zeigt, dass sie, so wie sie sind, im Team willkommen sind.“
Dabei sollten Führungskräfte auch darauf achten, dass queere junge Menschen Diskriminierung oftmals anders und auch verletzender erleben können wie manch älterer LGBTQIA+-Mensch mit mehr Erfahrung, so Maas: „Eine gewisse Unsicherheit spielt da auf jeden Fall eine Rolle. Wir sollten daher grundsätzlich das ernst nehmen, was Jugendliche uns über sich erzählen, auch dann, wenn sich da noch einmal Dinge ändern können. Durch das Wahr- und Annehmen können Ängste eher abgebaut werden und die Jugendlichen fühlen sich eher verstanden, was ihnen hilft, eine Sicherheit über sich selbst zu gewinnen.“
Angebote für queere Menschen: „Es gibt kein Respektgefälle zwischen Stadt und Land“
Die Stadt Köln hat dabei offensichtlich erkannt, dass eine solche Fachberatung keine punktuelle Angelegenheit ist, weswegen die berechtigte Hoffnung im Raum steht, dass die neue Einrichtung im anyway im Rahmen des Aktionsplans dauerhaft bestehen wird. Doch wie sieht die Situation in ländlichen Regionen in Deutschland derweil aus? „Es braucht einen Ausbau der Angebote, gerade im ländlichen Raum. Da gilt das Gleiche wie in anderen Bereichen der Förderung von strukturschwachen Regionen“, beschreibt Fachberaterin Maas die Situation.
Dominik Weiss stellt dabei allerdings auch klar, dass das Klischee vom stets rückständigen Dorfleben heute nicht mehr stimmt: „Es gibt kein Respektgefälle zwischen Stadt und Land, sondern zwischen Ballungsräumen und Regionen, die alleine gelassen werden. Wir haben bisher die Erfahrung gemacht, dass queere Vielfalt auch im ländlichen Raum Respekt erfährt, wenn die Angebote da sind und die Menschen mitgenommen werden.“
So könnte die neue Fachberatungsstelle mit ihrer Vorbildfunktion tatsächlich eine Art von Leuchtfeuer für andere Regionen in der Bundesrepublik werden – was es anscheinend benötigt, ist vor allem der politische und gesellschaftliche Willen, etwas ändern zu wollen. „Wir brauchen eine finanzielle Förderung für queere Bildungsarbeit, Anlaufstellen für LSBTIQ*-Jugendliche sowie Beratungsangebote, die flächendeckend auch in strukturschwache Regionen hineinwirken können.“
Queere Menschen sind Teil der Gesellschaft – und das ist ein Gewinn
Drei wesentliche Aspekte möchten Maas und Weiss dabei besonders hervorheben: „Queere Vielfalt ist menschlich! Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sind zwei Merkmale eines Menschen, die zwar zu ihm gehören, aber ihn nicht gänzlich ausmachen. Und: Der Respekt queeren Menschen gegenüber nimmt niemandem etwas weg, ganz im Gegenteil: Die Erkenntnis, dass queere Menschen genauso ein Teil der Gesellschaft sind, kann alle ihre Mitglieder:innen aus den Zwängen von Normen und Konventionen gesellschaftlicher Geschlechter- und Sexualvorstellungen befreien.“
Es liegt viel Arbeit vor Maas und Weiss, dabei werden sie mit Sicherheit auch auf den einen oder anderen Sturkopf treffen, der ihnen erklären will, dass es jetzt doch mal genug sei mit der ganzen queeren Gleichberechtigung. „Solange queere Vielfalt nicht als selbstverständlicher Teil des Menschseins gesehen wird, ‚Schwul‘ das meistbenutzte Schimpfwort auf Schulhöfen ist und uns Schüler:innen in Workshops sagen, dass es ekelhaft sei, wenn queere Menschen mit Regenbogenfahnen auf die Straße gehen, müssen wir weiter für die Themen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sensibilisieren!“, sagt Maas kämpferisch und Kollege Weiss ergänzt abschließend:
Diversität innerhalb einer Gesellschaft ist kein Selbstläufer und Demokratie nicht garantiert. Wir müssen dafür tagtäglich einstehen – das sollte die wichtigste Lehre sein, die wir mit Blick auf die aktuelle Weltlage ziehen sollten.