Arm, obdachlos und queer? Bisher ein Tabuthema in der LGBTQIA+-Community

Obdachlosigkeit und Armut scheint nach außen hin in der queeren Community kaum ein Thema zu sein. Die Realität sieht jedoch anders aus.
Es ist bis heute offenbar ein Tabuthema in der LGBTQIA+-Community: Arme oder gar obdachlose queere Menschen. Gibt es das überhaupt? Gerade in der Werbebranche sind queere Konsument:innen gefragter denn je und gelten als heiß begehrte DINK-Gruppe. DINK bedeutet “Double Income, No Kids“ und hat vor allem queere Paare im Blick, bei denen beide Partner:innen Geld verdienen und kinderlos bleiben. Kurzum: In der Regel ist genug Geld da, um dem Konsum zu frönen. Umfragen der vergangenen Jahre belegen dabei auch eindrucksvoll, dass im Durchschnitt LGBTQIA+-Menschen tatsächlich mehr Geld zur Verfügung haben und auch leichter bereit sind, für die schönen Dinge im Leben tiefer in die Tasche zu greifen. Bleibt nur ein Problem: der Durchschnitt. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten.
Genaue Zahlen für Deutschland sind bis heute leider Mangelware. Die queer-politische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, erklärt gegenüber Buzzfeed News Deutschland: „Die soziale Lage von LSBTIQ* wird in den gesellschaftlichen Debatten weitgehend ausgeblendet oder sogar verzerrt dargestellt. Die Community erscheint in der Öffentlichkeit als fröhlich-bunte Gemeinschaft überwiegend gebildeter und gutverdienender Menschen. Dieses Klischee hat etwas damit zu tun, dass sich queere Menschen eher outen können, wenn sie in sozial gesicherten Verhältnissen leben und dass die besser Situierten auch über mehr Ressourcen verfügen, ihre Bedürfnisse und Forderungen öffentlich zu artikulieren.“ Kurz und böse gesagt, man muss sich das eigene Coming-out auch leisten können.
Mangelnde Unterstützung im Elternhaus? Junge, queere Menschen können schnell auf der Straße landen
Wer gerade als junger Mensch keine Möglichkeit hat, nach einem Outing vor den Eltern auch anderweitig Unterschlupf zu finden, falls die Reaktion anders ausfällt als erhofft, kann so schnell auf der Straße landen. In den USA ein dramatisches Problem, das sich von Jahr zu Jahr noch steigert. Vogler meint dazu mit Blick auf Deutschland: „LSBTIQ* sind sogar noch stärker als die Mehrheitsgesellschaft von sozialer Spaltung, Armut, prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen. Eine Studie des Sozio-ökonomischen Panels von 2020 belegt, dass LSBTIQ* besonders häufig in nicht besonders gut bezahlten sozialen und Pflege-Berufen, im Bildungsbereich und im Kulturbereich arbeiten, sie sind häufiger als andere in nicht sozialversicherungspflichtigen, prekären Verhältnissen oder selbstständig tätig.“
Hinzukommen laut Vogler dann weitere Belastungen, beispielsweise Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie Stigmatisierung und dadurch ausgelöste stressbedingte Erkrankungen – all das kann queere Menschen die Armutsspirale weiter hinabsteigen lassen. Die aktuellen Preissteigerungen im Rahmen der Inflation befeuern dann die ohnehin schon schwierige Situation: „Die steigenden Lebenshaltungskosten betreffen arme und prekär beschäftigte queere Menschen mit besonderer Härte!“, so Vogler.
USA richten erstmals Einrichtung für queere Obdachlose ein - in Deutschland gibt es das bisher nicht
Eine weitere Problematik: LGBTQIA+-Menschen erleben in Notunterkünften oftmals Gewalt und Anfeindung, für queere Personen geschulte Einrichtungen gibt es kaum. Die Regierung von Washington D.C. hat als erste Stadt in den USA jetzt erstmals eine Unterkunft speziell für obdachlose queere Erwachsene eingerichtet. In Deutschland sucht man sowas bis heute vergebens. „Spezielle Anlaufstellen und Unterkünfte für wohnungslose LSBTIQ* wie in den USA könnten ein erster Schritt sein, mittelfristig setzen wir als Linke jedoch auf das Konzept ´Housing First´, das alle wohnungslosen Menschen vorrangig mit einer eigenen Wohnung versorgt, wo sie Sicherheit und Privatsphäre haben“, so Vogler weiter.
Bisher scheint in der Ampel-Koalition die Einsicht über die Wichtigkeit solcher Maßnahmen kaum vorhanden zu sein. Vogler dazu: „Von der Ampel-Regierung, die ja ein ambitioniertes Programm im Bereich individuelle Rechte und Gleichstellungspolitik verfolgt, ist aber leider mit Blick auf arme Menschen wenig zu erwarten. Sinnvoll wäre zunächst einmal eine große, aus Bundesmitteln finanzierte Studie über die soziale, berufliche und wohnraumbezogene Situation von LSBTIQ* in Deutschland, um Handlungsbedarfe zu erkennen und zielgenau gegensteuern zu können.“ Die Themen Armut und Obdachlosigkeit müssten auch beim geplanten Nationalen Aktionsplan dringend mitgedacht werden. Auch brauche es eine bessere Schulung der Berater:innen in den Arbeitsagenturen.
„Und last not least ist eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung gerade für queere Menschen eine humanistische Notwendigkeit. Niemand darf als Schwuler, Lesbe oder Transgender unter Androhung von Leistungskürzungen gezwungen werden, eine Arbeitsstelle anzutreten oder zu behalten, auf der sie täglichen Diskriminierungen ausgesetzt sind oder ihre sexuelle beziehungsweise geschlechtliche Orientierung geheim halten müssen“, so Vogler. Die geplante Umwandlung von Hartz-IV in ein „Bürgergeld“ deute dabei nicht auf einen Kurswechsel vonseiten der Ampel-Koalition hin, sondern seien vielmehr nur „kosmetische Reparaturen“. (Autor: JHM Schmucker)