1. BuzzFeed
  2. News

„Blond“ auf Netflix ist grausam zu Marilyn Monroe und zu den Zuschauer:innen

Erstellt:

Kommentare

Ana de Armas als Marilyn Monroe in „Blond“ (2022)
Ana de Armas als Marilyn Monroe in „Blond“ (2022) © Netflix

Die Hauptdarstellerin Ana de Armas belebt den Marilyn Monroe-Film von Netflix, der zwar versucht, originell und ausgefallen zu sein, aber wenig Neues zu bieten hat.

MEINUNG

In einem der letzten Interviews vor ihrem Tod sprach Marilyn Monroe nach Berichten von The Guardian ausführlich über die Erfahrung, berühmt zu sein. Die Leute „wollen sehen, ob du echt bist“, sagte sie über Fans, die sich ihr nähern. „Ihre Gesichter leuchten auf. ... Du hast ihren ganzen Tag verändert.“ Aber die 36-Jährige hatte zu diesem Zeitpunkt auch die emotional harte Seite des Ruhms kennengelernt. Die Öffentlichkeit denkt, dass sie „eine Art Privileg hat, auf dich zuzugehen und dir alles zu sagen ... egal welcher Art“, sagte sie. „Man stößt immer auf das Unterbewusstsein der Leute.“

Eine scharfsinnige Beschreibung der Berühmtheit vonseiten einer Berühmten: ein ständiges Aufeinandertreffen mit den Fantasien der Menschen. Marilyn verstand, dass jeder seine eigene Monroe erschafft. Als sie noch lebte, wurde sie zu einer Ikone der weißen Weiblichkeit der 1950er Jahre, indem sie die Grenze zwischen sexy Freundin und jungfräulicher Ehefrau aufhob. Und seit ihrem Tod im Jahr 1962 wurde sie zum Symbol für alle möglichen thematischen Ausgestaltungen von Geschlecht und Berühmtheit.

Es gab Biografien, Memoiren, akademische Studien und Filme mit zahlreichen Perspektiven, einschließlich dessen, was Norman Mailer in seiner Psychobiografie von 1973 über sie schrieb. In den 80ern gab es feministische Überlegungen über die Art und Weise, wie sie für die Förderung regressiver Rollen verantwortlich gemacht wurde. In den 90ern kamen sympathische Fernsehfilme dazu, die laut dem Portal Entertainment den Fokus auf den Bruch zwischen der jungen Norma Jeane und der erwachsenen Marilyn legten.

„Blond“-Regisseur Andrew Dominik: „Für jeden etwas dabei, um sich angegriffen zu fühlen“

Sie scheint die wohl am meisten überarbeitete weibliche Berühmtheit der Geschichte zu sein. Jetzt ist der erste FSK 18 Netflix-Film „Blond“ erschienen, dem laut Cinemablend Kontroversen über sexuelle Gewalt und sprechende CGI-Föten vorausgingen. In einem Interview mit Vulture beschrieb Regisseur Andrew Dominik seinen Film als goldrichtig in Bezug auf die Dunkelheit von Monroes eigenem Leben.

„Ich denke, wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber die NC-17-Version der Marilyn-Monroe-Geschichte sehen“, erklärte er. „Denn wir wissen, dass ihr Leben am Abgrund stand, so wie es endete. Wollt ihr die Version mit jeglichem Ekel oder die saubere Version sehen?“ In einem anderen Interview betonte er, dass „für jeden etwas dabei ist, um sich angegriffen zu fühlen.“

Marilyn-Monroe-Film „Blond“ auf Netflix: Langwierig und einfallslos

In Kinofilmen ist Geschmack oft vom Geschlecht abhängig. Man denke nur an das anhaltende Ungleichgewicht zwischen männlicher und weiblicher Nacktheit, um nur eines zu nennen. Mit dieser Etikette zu brechen, könnte also eine Möglichkeit sein, die Formen, die verwendet wurden, um die Geschichten von Frauen zu erzählen, zu berücksichtigen und die Konventionen der Biografie zu sprengen.

Der letztlich langweilige Film „Blond“ ist dieser Aufgabe jedoch nicht gewachsen. Er versucht, ausführlich zu sein, und folgt der Chronologie von Monroes Leben in Vignetten, die thematisch durch die Art und Weise, wie sie entmenschlicht wurde, verbunden sind. Und anfangs ist dieses Konzept durchaus schön anzusehen.

Aber wenn sich der Film über drei Stunden hinzieht, beginnt man sich zu fragen: Warum noch ein Monroe-Projekt? Und was will „Blond“ von ihr? Die Antwort scheint zu sein, dass sie eine Leinwand für die Ausgefallenheit der Streaming-Ära ist.

Übrigens: Das hier sind 2022 die Streaming-Highlights von Netflix und Co.

Bobby Cannavale als Ex-Sportler und Ana de Armas als Marilyn Monroe in „Blond“
Bobby Cannavale als Ex-Sportler und Ana de Armas als Marilyn Monroe im Netflix-Film „Blond“ (2022) © Netflix

Der Netflix-Film „Blond“ folgt einer Liste von Filmen über Marilyn Monroe

Wenn eine Lebensgeschichte oder ein Mythos so umfangreich ist wie die von Monroe, ist es am einfachsten, einen neuen Blickwinkel zu finden, indem man sich auf einen bestimmten Zeitraum oder neues Quellenmaterial konzentriert. „My Week With Marilyn“ (2011) zeichnete auf charmante Weise einen siebentägigen Zeitraum während der Dreharbeiten zu „The Prince and the Showgirl“ nach, um ein fein abgestimmtes Porträt ihrer Erfahrungen als Schauspielerin und als Frau zu erstellen. Erst kürzlich wurden aus Miniserien wie „The Secret Life of Marilyn Monroe“ (2015) Bücher, die neue Informationen über ihre Mutter Gladys preisgaben und tiefere Einblick in ihre Rolle in Monroes Leben boten, so Entertainment.

Andrew Dominik schrieb „Blond“ auf der Grundlage von Joyce Carol Oates Roman aus dem Jahr 2000. Bevor sie zu einer Social-Media-Reaktionärin wurde, die twitterte, dass junge weiße Männer nicht genug publiziert werden, hatte Oates ein Händchen für emotional bewegende Bücher über Familiendynamiken und die Gefühle junger Frauen – wie das von Oprah empfohlene „Wir waren die Mulvaneys“ (1996). Übrigens: Diese 18 Filme sind definitiv besser als ihre Buchvorlage.

Monroe-Biopic „Blond“ taucht in Norma Jeans Vergangenheit ein

Ihre Versuche, die dunkle Seite Amerikas mit fiktionalisierten Romanen zu erforschen, die beispielsweise von Chappaquiddick und JonBenét Ramsey inspiriert sind, waren weniger erfolgreich. Sie geben den Geschichten aus dem wirklichen Leben keine echte zusätzliche Perspektive. Anstatt ihre kulturellen Metaphern zu kommentieren, scheinen diese Bücher in den Medienklischees zu ertrinken, die diese Geschichten berühmt gemacht haben.

Oates fiktionalisierte Darstellung von Monroe ist auch ein Versuch, die mit ihr verbundenen Fantasien zu kontextualisieren. Aber eigentlich handelt das Buch von etwas, das wir über Ruhm bereits wussten: Monroe ist ein Symptom für die dunklen Seiten des Ruhm und versucht, uns mit der Vorstellung zu schockieren, dass selbst der strahlendste Star körperlichen Banalitäten wie der Menstruation unterliegt, so The Guardian. Dominiks Film folgt diesem Beispiel. So viele Mythen es über Monroe auch gibt, viele sind auch einfach totaler Quatsch, wie auch diese 14 Promi-Gerüchte.

Wie der Roman entscheidet auch der Film nie, ob er eine Studie über die Ikone Monroe, die Schauspielerin oder die Frau sein will. Der Film beginnt mit Norma Jeane als kleines Mädchen (Lily Fisher), das von einer schizophrenen Mutter aufgezogen wird, einer damals wenig verstandenen psychischen Erkrankung. Gladys (Julianne Nicholson) sehnt sich nach einem imaginären Ehemann und wird neben Norma Jeanes abwesendem Vater zu einer der vielen Figuren, die Monroe heimsuchen und auch nach ihrem langen Krankenhausaufenthalt noch in ihrem Leben auftauchen.

Netflix-Film „Blond“ verfolgt Marilyn Monroes Werdegang

Die formalen Techniken des Films sind vielversprechend, darunter seine Schwarz-Weiß-Stärke, ein spannungsgeladener, minimalistischer Soundtrack und die Art und Weise, wie er Linearität vermeidet und in impressionistischen Szenen zwischen dem Mythos und der Frau hin und her springt. Durch seine Kameraperspektiven – die Szenen werden oft aus Monroes Perspektive gedreht – gelingt es dem Film, den Zuschauer:innen die Gefühle des jungen Mädchens nachempfinden zu lassen und die Bedrückung durch den Missbrauch zu evozieren, als Gladys sie schlägt und sogar zu ertränken versucht.

Wir lernen die von Ana de Armas gespielte erwachsene Monroe in minutiösen Nachstellungen ihrer berühmtesten Fotoshootings und Filmvorsprechen kennen, von ihrer Pinup-Ära bis zu ihrer Hauptrolle als gequälte Ella in „Versuchung auf 809“ (1952). De Armas sieht genauso aus wie Monroe und macht sich deren gurrende Stimme und Rehaugen-Blick zu eigen, so überzeugend wie Michelle Williams in „My Week With Marilyn“.

Männer spielen in Netflix-Film „Blond“ eine zentrale, wenn auch nicht gerade schöne Rolle

Das einheitlichste, wenn auch offensichtliche Thema des Films ist, wie alle Männer in ihrem Leben sie benutzt haben. Wir sehen – und fühlen – den Schmerz und das Grauen, als sie von einem Studioboss vergewaltigt wird, der ihr Möglichkeiten in einem Film bietet. Sei es eine Dreiecksbeziehung mit Charlie Chaplin Jr. (Xavier Samuel) und seinem Schauspieler-Freund und die anschließenden Ehen mit Figuren, die als „The Ex-Athlete“ (Bobby Cannavale) und „The Playwright“ (Adrien Brody) bezeichnet werden. Alle Männer sind nur dazu da, sie letztendlich zu betrügen.

Die Dialoge, die manchmal durchaus etwas von Moralpredigten haben (zum Beispiel, wenn sie sich selbst ein „Stück Fleisch“ nennt) oder die Figuren zu zweitklassigen Kulturkommentator:innen machen (ihr Name ist „so unecht, als hättest du dich selbst erfunden“, sagt Chaplin einmal zu ihr) stützen die Themen nicht wirklich. Monroe, eine Ikone der Selbsterfindung? Bahnbrechend.

Ana de Armas als Marilyn Monroe in „Blond“
„Blond“ (2022) © Netflix

Marilyn Monroe-Biopic „Blond“ spart nicht an expliziten Szenen

Es gibt viele Details über die vielen Ungerechtigkeiten, die ihr widerfahren sind. Der Ex-Sportler (gemeint ist Joe DiMaggio) und der Dramatiker (Arthur Miller) wollen beide, dass sie eine sittsame Ehefrau und Mutter spielt. DiMaggio schlägt sie, während Miller sich ihr gegenüber herablassend verhält und sie in einigen der realistischsten Dialoge subtil in seine Vorstellungen von einer Frau einweiht, die niemals grausam zu einem Mann sein würde.

Diese Subtilität ist jedoch selten. „Blond“ scheint stolz auf seinen schonungslosen Blick zu sein, der eine aggressive Haltung der Wahrheitsfindung einnimmt. So sehen wir zum Beispiel, wie Ärzte in ihren Körper eindringen, um eine Abtreibung vorzunehmen. Geheimdienst-Agenten schleppen Monroe gewaltsam zu einem Treffen mit dem Präsidenten (Caspar Phillipson, in JFK-Manier), der sie seinerseits zum Oralsex zwingt. Männer aus ihrem Umfeld spritzen ihr Drogen, und am Set von „Something‘s Got to Give“, dem Film, aus dem sie vor ihrem Tod gefeuert wurde, bricht sie zusammen.

Netflix-Film „Blond“ geht nicht in die Tiefe und bleibt teils banal und grotesk

Oft fühlt sich der Film an, als hätte der Regisseur gerade einen Artikel über die gewalttätige Macht des filmischen Male Gaze, wie den von Film Inquiry, entdeckt, und wolle die pornografische Sexualisierung in Körperhorror umwandeln. Ins Lächerliche – und unheimlich Konservative – steigert sich „Blond“, als ein Fötus auf der Leinwand erscheint und wir seine Stimme hören. In Bildschirmgröße und mit pulsierender Plazentawand verfolgt er Monroe. Doch die bizarren Aufnahmen werden nur zu einem weiteren Vorwand für einen langweiligen, unoriginellen Dialog zwischen Monroe und dem Phantom, das sie beschuldigt, es getötet zu haben.

Auch wenn die Boulevardpresse ein „Mysterium“ aus Monroes Tod durch Barbiturate im Jahr 1962 gemacht hat, ist es nicht so, als hätte sie keine Autobiografie geschrieben oder aufschlussreiche Interviews über ihre entmenschlichende Beziehung zu Hollywood gegeben. Viele Menschen haben ihr Vermächtnis seziert und über ihr kluges Verständnis der Post-Studio-Filmindustrie geschrieben, berichtet Marie Claire.

Nichts davon findet man im Film. Am Ende der Geschichte löst sich Monroe auf und wird auf die gleichen Geschichten reduziert, die auch in anderen Dramatisierungen ihres Lebens zu finden sind: ein kleines Mädchen, das sich nach seinem Daddy und seinem Stofftiger sehnt. Diese Szenen sind ergreifend und bewegend, vor allem dank der stimmigen Darstellung von de Armas. Und die Art und Weise, wie der Film dem Publikum die Gefühle weiblichen Traumas entgegenschlägt, hat etwas Gewagtes. Aber die Themen sind so banal, dass diese pointierte Herangehensweise nicht den Eindruck erweckt, als würde sie tatsächlich etwas bewirken.

Monroe-Biopic „Blond“ bringt nichts wirklich Neues ans Licht

„Wäre der Film vor ein paar Jahren erschienen, wäre er genau dann herausgekommen, als #MeToo aufkam, und wäre ein Ausdruck all dieser Dinge gewesen“, so Dominik über den Zeitpunkt, der für die Komplexität seiner Vision richtig sein muss. „Ich glaube, wir befinden uns jetzt in einer Zeit, in der die Menschen wirklich unsicher sind, wo die Grenzen verlaufen“, sagte er und schien damit darauf anzuspielen, dass Repräsentation nun nicht mehr Subjekt ist, sondern vielmehr über Konsens und „positive“ Bilder belehrt.

Pathetische Emotionalität – wie die Sentimentalisierung von Föten – kann langweilig sein. Genauso wie ziellose Erzählungen. Pablo Larraíns Prinzessin-Diana-Film „Spencer“ aus dem Jahr 2021, ein impressionistischer Fan-Fiction-Film über ein miserables königliches Weihnachtsfest, fühlte sich ähnlich willkürlich an und war ebenso fasziniert von Erbrochenem und der Funktionsweise des Körpers einer berühmten Frau und von Mutterschaft, wie Indie Wire berichtete.

Natürlich muss man nicht in der Vergangenheit stöbern, um diese Themen zu finden. Frauen, die im Gegensatz zu Amerikas Besessenheit von der Unschuld des weißen Mädchens stehen, werden weiterhin endlos ausgebeutet und durch pathologisierende Mikroskope analysiert. Und welche neuen Erkenntnisse diese Themen auch bringen mögen, man wird sie wahrscheinlich nicht in einem Film finden, der glaubt, dass eine Szene, in der JFK ejakuliert, gefolgt von Aufnahmen einer Explosion, tiefgründig ist. Um Monroe zu zitieren: Das fühlt sich an, als zeige uns der Regisseur sein Unterbewusstsein.

Autorin ist Alessa Dominguez. Dieser Artikel erschien am 17. September 2022 zunächst auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Aranza Maier.

Auch interessant

Kommentare