Frauen verändern als Außenministerinnen gerade unsere Welt - Annalena Baerbock ist Teil davon

Menschrechte, Klimakrise und Pandemie-Bekämpfung stehen auf der Agenda von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Was das mit feministischer Außenpolitik zu tun hat.
Berlin – Schweden, Kanada, Frankreich, Mexiko, Libyen, Luxemburg, Spanien und Deutschland: Was haben diese Staaten gemeinsam? Sie stellen den patriarchalen Status Quo infrage – wenn es um ihre Außenpolitik geht. Als im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP erstmals der Grundsatz der feministischen Außenpolitik verankert wurde, ging ein Raunen durch die politischen Reihen: Was hat Außenpolitik denn bitte mit Feminismus zu tun?
Sehr viel, sagt Kristina Lunz vom Centre for Feminist Foreign Policy, einer gemeinnützigen Forschungs- und Beratungsorganisation zu feministischer Außenpolitik mit Sitz in Berlin. Mit Buzzfeed News Deutschland hat sie über das Konzept der feministischen Außenpolitik gesprochen, darüber, welche Aufgaben vor der neuen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) liegen – und welche Hürden sie dafür überwinden muss.
Die feministische Außenpolitik hat sich große Ziele gesetzt. Sie stellt die Verteidigung der Menschenrechte und marginalisierter Gruppen in den Vordergrund, strebt nach Gleichberechtigung und will Konflikte ohne Waffengewalt lösen. Mehr Frauen sollen dafür in die erste Reihe der Diplomatie bugsiert werden. Denn Fakt ist, dass diese Sphäre noch immer ein männlich dominierter Raum ist. So gab das Weltwirtschaftsforum 2018 an, dass nur vier Prozent der zwischen 1992 und 2011 geschlossenen Friedensabkommen von Frauen unterzeichnet wurden. Vier Prozent! Auch in den Verhandlungsteams waren sie nur zu neun Prozent vertreten.
Das sei fatal, sagt Lunz. „Politische Entscheidungen können nur gut sein, wenn man davor alle Lebensrealitäten einbezogen hat. Und wenn man die Lebensrealität der Hälfte der Gesellschaft nicht einbezieht, dann können politische Entscheidungen nicht dazu beitragen, dass diese für alle Menschen eine gute Auswirkung haben.“
Das Brisante: Laut einer Untersuchung von UN Women steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Friedensabkommen länger als zwei Jahre hält, um 20 Prozent, wenn Frauen an den Verhandlungen teilnehmen. Bedeutet im Umkehrschluss: Frauen könnten zwar dazu beitragen, Konflikte besser zu lösen – sie sitzen bloß meist nicht am Tisch.
Feministische Außenpolitik: Annalena Baerbock ist als Bundesaußenministerin ein Novum
Daher ist Annalena Baerbock als Bundesaußenministerin tatsächlich in vielerlei Hinsicht ein Novum – und für manche gar eine Zumutung. Als Kanzlerkandidatin der Grünen sollte mit ihr erstmals eine junge Frau und Mutter das Zepter der Macht im Bundeskanzleramt ergreifen. Und als Außenministerin reiht sich die 41-Jährige in eine lange Reihe von großen Staatsmännern, mit Betonung auf „Männer“, denn Baerbock ist die erste Frau in der Geschichte der Bundesrepublik, die das höchste diplomatische Amt bekleidet. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit machte sie im Bundestag deutlich, dass sie sich einer feministische Außenpolitik verschrieben hat.
Ja, ich weiß, manchen fällt es schwer, den Begriff auszusprechen, aber eigentlich ist es ganz simpel. Es geht um Repräsentanz, es geht um Rechte und es geht um Ressourcen.
Wohlwissend, dass allein das Wort „feministisch“ zu Schnappatmung führen kann, sagte sie in ihrer Rede am 12. Januar 2022: „Ja, ich weiß, manchen fällt es schwer, den Begriff auszusprechen, aber eigentlich ist es ganz simpel. Es geht um Repräsentanz, es geht um Rechte und es geht um Ressourcen.“ Wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht gleichberechtigt beteiligt oder bezahlt werde, seien Demokratien nicht vollkommen. „Wir erleben weltweit, dass der Abbau der Rechte von Mädchen und Frauen auch ein Gradmesser für das Erstarken von autoritären Kräften ist“, sagte die Bundesaußenministerin mit Nachdruck. Es ist ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Diplomatie.
Eine, die für Frauen nicht nur einen Platz am Tisch einfordert, sondern direkt ein neues System erschaffen will, ist die Aktivistin, Autorin und Sozialunternehmerin Kristina Lunz. Die 32-jährige Oxford-Absolventin ist bekannt durch die „Stop Bild Sexism“-Kampagne gegen die Objektifizierung von Frauen in der Boulevard-Zeitung, war Beraterin des Auswärtigen Amtes und ist Mitbegründerin des Centre for Feminist Foreign Policy.
Als sie hörte, dass feministische Außenpolitik Teil des Koalitionsvertrags ist, sei sie überrascht und überwältigt zugleich gewesen, berichtet sie im Gespräch mit Buzzfeed News Deutschland. „Eine richtig große Tür wurde an diesem Tag geöffnet und jetzt geht es darum, dass wir so viele Ideen und Menschen wie möglich durchbekommen“, sagt Kristina Lunz rückblickend. Am 24. Februar erscheint ihr Buch „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ (Ullstein Verlag) – weltweit das erste Werk, das sich allein diesem Gebiet widmet. Auch das, ein Meilenstein in der feministischen Außenpolitik.
Eine richtig große Tür wurde an diesem Tag geöffnet und jetzt geht es darum, dass wir so viele Ideen und Menschen wie möglich durchbekommen.
Ampel-Regierung steht vor großen außenpolitischen Herausforderungen – das ist nun wichtig
Zeit zum Rantasten an ihre neue Funktion blieb Annalena Baerbock derweil nicht: Mit ihrem Amtsantritt ist die Bundesaußenministerin direkt am diplomatischen Roulette-Tisch namens Ukraine-Krise gelandet. Die Grünen-Politikerin setzt auf einen eskalativen Kurs mit Russland – und warf als eine der ersten Ampel-Minister:innen die nun auf Eis gelegte Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 in die Waagschale.
Doch was steht mit dem Bekenntnis zur feministischen Außenpolitik auf der Agenda der Ampel-Regierung? Mit Kristina Lunz blickt Buzzfeed News Deutschland auf die Themenspektren, an denen sich der Erfolg des diplomatischen Kurses der Bundesrepublik messen lassen wird.
- Menschenrechtsverteidigung: Die Angriffe auf Menschenrechte, vor allem auf Frauen- und LGBTQIA+-Rechte, haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Freedom House, eine US-amerikanische NGO mit dem Ziel, Demokratien weltweit zu fördern, stellte in einem Bericht von 2020 fest, dass die globale Freiheit zwischen 2005 und 2020 rückläufig war: „Seit Beginn des Negativtrends im Jahr 2006 übersteigt die Zahl der Länder, in denen eine Verschlechterung zu verzeichnen war, die Zahl der Länder mit den größten Verbesserungen. Die lange demokratische Rezession vertieft sich.“
- In der vom Centre for Feminist Foreign Policy durchgeführten Studie „Power over Rights – Understanding and countering the transnational anti-gender movement“ (2021) in Zusammenarbeit mit dem deutschen und finnischen Außenministerium steht: „Die zunehmende Sichtbarkeit der verschiedenen Angriffe auf die Rechte von Frauen und LGBTQI* in den vergangenen Jahren hat zu der Wahrnehmung geführt, dass wir es mit etwas Neuem zu tun haben – einem sich verstärkenden Pushback gegen den Fortschritt bei der Verwirklichung der Menschenrechte für mehr Menschen.“
- Lunz sagt dazu: „Man konnte nie davon ausgehen, dass Menschenrechte sich in die Richtung eines Mehr für alle entwickeln, aber jetzt sind wir an einem Punkt, dass die Menschenrechte eingeschränkt werden und die Zahl der Menschen, die in einer Demokratie leben, abnehmen.“ Es müsse massiv Geld investiert werden, weil die Gelder auf der anderen Seite für antifeministische Bewegung kontinuierlich zunehmen.
- Abrüstung: Bei der feministischen Außenpolitik ist menschliche Sicherheit, der Abbau des Patriarchats und gewaltvoller Strukturen Dreh- und Angelpunkt, sagt Lunz. „Diese werden am effizientesten durch Militarisierung und Waffen aufrechterhalten.“ Daher müsse es um maximale Abrüstung gehen. Sie sei gespannt darauf, welches Rüstungsexportkontrollgesetz die Regierung vorlege. So forderte etwa Greenpeace bereits im vergangenen Jahr: „Deutschland muss den Export von Rüstungsgütern endlich verbindlich regeln. Bislang ebnet die Bundesregierung deutschen Waffenherstellern den Exportweg in Krisen- und Konfliktgebiete. Das muss künftig per Gesetz verhindert werden“, so Greenpeace-Abrüstungsexpertin Anna von Gall. Auch soll Deutschland laut Lunz international und in der Nato infrage stellen, wieso man weiterhin auf nukleare Waffen setze. Schlussendlich gehe es immer darum, aktuelle Strukturen infrage zu stellen, sagt Lunz.
- Klimagerechtigkeit: Mit der Berufung der feministischen Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan als Staatssekretärin für internationale Klimapolitik habe das Auswärtige Amt bereits einen „großartigen Schritt“ gewagt, so Lunz. Bemerkenswert sei, dass somit das Thema Klimakrise einen prominenten Platz im Auswärtigen Amt erhalten hat – und nicht mehr traditionell im Bundesumweltministerium. Die Bekämpfung der Klimakrise ist somit auf der Agenda der feministischen Außenpolitik von Annalena Baerbock.
- Gesundheit: Kristina Lunz zufolge wird Gesundheitspolitik im internationalen Kontext ein zu geringer Stellenwert beigemessen. Die Corona-Pandemie hat das offensichtlich gemacht. Denn bei feministischer Außenpolitik geht es auch um eine faire Pandemie-Bekämpfung, so Lunz. Gesundheitspolitik müsse daher als außenpolitisches Thema verankert werden. „Menschliche Sicherheit ist zum Großteil vom Gesundheitszustand abhängig“, führt Lunz an.
Annalena Baerbock: Vor welchen Hürden steht die neue Bundesaußenministerin?
Dass Annalena Baerbock die richtige Person sei, um feministische Außenpolitik voranzubringen, daran hat Kristina Lunz keinen Zweifel: „Sie hat die Vision und gleichzeitig das Fachwissen und die Expertise über die Realität.“ Nur so, wenn man den Status Quo richtig durchdrungen habe, alles verstehe, aber im Kopf Visionär:in bleibe, könne man zu Wandel beitragen. Dennoch würden große Hürden vor der Grünen-Politikerin liegen.
Sie hat die Vision und gleichzeitig das Fachwissen und die Expertise über die Realität. Nur so, wenn man den Status Quo richtig durchdrungen hat, alles versteht, aber im Kopf Visionär:in bleibt, kann man zu Wandel beitragen. Und ich glaube, das kann Annalena Baerbock.
Das zeigte bereits der Kommentar des Tagesspiegel-Reporters Christoph von Marschall – sozusagen „in a nutshell“. In der Rubrik „Presseschau“ des ZDF-„Morgenmagazins“ sprach er von Baerbock als „diese junge Dame“. Die Bezeichnung ging viral, der Backlash war enorm. So twitterte etwa die Grünen-Vorsitzende der Bundestagsfraktion Britta Haßelmann: „Annalena Baerbock ist Außenministerin dieses Landes. Sie zeigt Haltung, Mut u. klaren Kompass. Ich habe es satt, dass irgendwelche Typen meinen, mit #diesejungedame Haltungsnoten an Frauen in Führungspositionen verteilen zu können. Das haben so viele Frauen zu oft erlebt. Es reicht!“
Ein Paradebeispiel dafür, wie misstrauisch Baerbock bezüglich ihrer Eignung als Bundesaußenministerin beäugt wird. Eine Frau in diesem hohen Amt sei für das patriarchale Gesellschaftssystem eine Herausforderung, sagt dazu Kristina Lunz. „Während andere, vor allem Männer, Vorschussvertrauen bekommen, muss Annalena Baerbock erstmal dieses ganze Misstrauen und Kleinhalten überwinden, um quasi bei Null anfangen zu können und danach in deren Augen eine gute Performance abliefern zu können“, analysiert Lunz.
Seitdem die neue Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen hat, scheint sich langsam die öffentliche Wahrnehmung bezüglich Annalena Baerbock zu verändern. Noch Mitte Dezember steckte die Grünen-Politikerin im Umfragetief. Im „Trendbarometer“ von RTL und ntv landete sie bei einer Befragung zur Kompetenz der neuen Minister:innen auf dem letzten Platz. Die Befragten hielten sie als Außenministerin für ungeeignet.
Doch offenbar gelingt es Baerbock zunehmend, das Ruder herumzureißen. Die Regierungsvertreterin, die von den Bürger:innen laut des „Trendbarometer“ vom 8. Februar am meisten wahrgenommen wird, ist die Außenministerin. Das sagt zwar zunächst nichts über die Einschätzung ihrer Kompetenz aus. Aber öffentliche Präsenz ist ein entscheidendes Unterpfand für Politiker:innen. Und eine Forsa-Umfrage im Auftrag von ntv und RTL, die zwischen dem 11. und 14. Februar erhoben wurde, ergab: 45 Prozent der befragten Personen sind mit ihrer Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden. Der Zufriedenheitswert ist damit in den vergangenen zwei Wochen um ganze neun Prozentpunkte gestiegen. Ob als Grünen-Kanzlerkandidatin oder als Bundesaußenministerin, Annalena Baerbock stellt den Status Quo infrage – genauso wie eine feministische Außenpolitik.