Für die LGBTQIA+-Community ist Söder „Bayerns oberster Versprechens-Brecher“

Die CSU in Bayern überrascht mit einem Landesaktionsplan gegen Queer-Hass. „Wertlose Wahlkampfankündigung“ oder doch ein Oster-Wunder?
Die Frühlingszeit rund um Ostern (hier ein Osterquiz für dich) ist immer auch die Zeit für Wunder – anders lässt sich die Überraschung als queerer Mensch kaum erklären, blickt man in diesen Tagen nach Bayern. Dort erklärte vor kurzem Ministerpräsident Markus Söder (CSU), dass er nun doch einen Landesaktionsplan für die Akzeptanz der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt einführen wollen würde.
Ein Donnerknall für die bayerische LGBTQIA+-Community, denn bis zuletzt hatte sich die Regierung stets mit aller Kraft dagegen gesträubt und war damit schlussendlich das einzige Bundesland in ganz Deutschland. Immer wieder war mit fragwürdigen Argumenten erklärt worden, man brauche so etwas nicht – einmal, weil es doch gar keine Hassverbrechen gegen queere Menschen gäbe, ein anderes Mal, weil sowieso alles wunderbar sei für die Community im Freistaat.
CSU will queeren Landesaktionsplan in Bayern – die ultimative Kehrtwende?
Die Realität sah und sieht indes anders aus, wie selbst die bayerische Staatsregierung beinah hörbar zähneknirschend jüngst zugeben musste und bestätigte, dass sich die Fallzahlen bei Hasskriminalität gegenüber LGBTQIA+- Menschen binnen eines Jahrzehnts versiebenfacht haben. Jeder sechste Angriff deutschlandweit geschieht nach den letzten Daten des Bundesinnenministeriums in Bayern.
Kam deswegen nun die späte Einsicht? Die ultimative Kehrtwende? Oder könnte es nicht doch vielleicht einfach damit zu tun haben, dass im Oktober Landtagswahlen im Freistaat sind und über ein Dutzend Pride-Veranstalter:innen sich zusammengeschlossen haben, um diesen Sommer im ganzen Land laut hörbar einen queeren Landesaktionsplan einzufordern? Hat am Ende da jemand aus der CSU Angst um den Verlust von Wähler:innenstimmen?
„Söder ist Bayerns oberster Versprechens-Brecher“
Markus Apel vom bayerischen Lesben- und Schwulenverband hat gegenüber Buzzfeed News DE dazu eine klare Meinung: „Söder und die CSU wollen sich bisher vor allem mit schönen Bildern und Worten ein queerfreundliches Image verschaffen – nicht mit wirksamer Politik. Queerfeindliche Gewalt wurde jahrzehntelang relativiert und bis 2021 kein einziger Cent in queere Strukturen investiert.“ Ähnlich sieht das auch Florian Siekmann, queer-politischer Sprecher der bayerischen Grünen und Mitglied des Landtages: „Markus Söder kündigt viel an und setzt fast nichts um. Er ist Bayerns oberster Versprechens-Brecher. Wir queere Menschen dürfen uns nicht von seinen wertlosen Wahlkampfankündigungen blenden lassen.“
Auch die Ankündigung selbst, einen Landesaktionsplan andenken zu wollen, kam dabei übrigens erst, nachdem die bayerische Regierung die massiven Probleme im Bereich Hasskriminalität und Queerfeindlichkeit eingestehen musste. „Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Diese Probleme bestehen seit Jahren. Markus Söder und seine CSU interessieren sich aber nur wegen des akuten medialen Drucks für das Thema. Die CSU hat kein queerpolitisches Profil. Ihr fehlt das Verständnis für eine vielfältige Gesellschaft“, so Siekmann weiter gegenüber BuzzFeed News DE.
„Bleibt abzuwarten, ob die Staatsregierung nun den Worten Taten folgen lässt“
Grundsätzlich freue man sich natürlich über die jüngsten Ankündigungen, das bestätigt nebst dem LSVD auch Conrad Breyer vom CSD München. „Wir führen das auch darauf zurück, dass die Community in Bayern hier gute Überzeugungsarbeit geleistet hat. Aber die Ankündigung ist das eine. Bleibt abzuwarten, ob die Staatsregierung nun den Worten Taten folgen lässt. Unserer Ansicht nach kann die Staatsregierung keinen Aktionsplan ohne die Community erarbeiten und umsetzen. Dafür fehlt ihr vermutlich die Kompetenz.“
Das sehen auch Apel und Siekmann so, bisher hat die bayerische Staatsregierung nicht gerade durch Expert:innenwissen beim Thema LGBTQIA+ geglänzt. Hinzu kamen immer wieder verbale Totalausfälle von den mitregierenden Freien Wählern, konkret durch dessen Chef Hubert Aiwanger, der mit Blick auf die queere Community meinte, dass die „Normalen jetzt zusammenstehen müssten.“ Siekmann dazu: „Hubert Aiwanger geht bereitwillig auf Kosten queerer Menschen auf Stimmenfang am ganz rechten Rand. Aus queerpolitischer Sicht macht es keinen Unterschied, ob CSU oder Freie Wähler regieren. Beide bringen nichts voran.“
Landesaktionsplan für queere Community in Bayern: „Da haben wir unsere Zweifel“
Aber wenigstens wird Söder jetzt eine kompetente Fachkraft mit der Ausarbeitung des Landesaktionsplans betreuen – oder doch nicht? Sozialministerin Ulrike Scharf soll es richten, auch wenn die 55-jährige Politikerin aus Erding keinen guten Stand in der queeren Community hat: „Wer wie Ulrike Scharf von „Trans-Mode“ spricht, disqualifiziert sich beim Thema selbst. Dahinter steckt Söders Auftrag am konservativ-rechten Rand zu fischen. Auch Söder geht in seinen Bierzeltreden auf Kosten queerer Menschen auf Stimmenfang und missbraucht LSBTIQ* für seinen konservativen Kulturkampf. Ihm fehlt das Verständnis für eine vielfältige und moderne Gesellschaft“, so Siekmann weiter.
Breyer vom Münchner CSD ergänzt: „Da haben wir auch unsere Zweifel, aber jede*r verdient eine zweite Chance. Wie ernst es Frau Scharf mit dem Aktionsplan ist, werden wir ja in den kommenden Wochen sehen.“ Klar ist, die bayerische Regierung wird kompetente Hilfe dringend brauchen, sowohl das Team des CSD München als auch der LSVD bieten sich hier gerne an. Letzterer plant im September dieses Jahres auch eine Fachkonferenz, auf der gemeinsam mit anderen Vereinen und Aktivist:innen ein zivilgesellschaftlicher Entwurf eines Landesaktionsplans erarbeitet werden soll. „Wir tun den Verantwortlichen einen großen Gefallen, indem wir eine solche Fachkonferenz mit eigenen Mitteln durchführen und erwarten für dieses Vorhaben Rückendeckung von allen demokratischen Parteien“, so Apel vom LSVD.

Offen bleibt die Frage, ob die CSU darauf tatsächlich eingehen wird. Ein erster offizieller Brief an das Sozialministerium in Zusammenarbeit mit der queeren Münchner Anlaufstelle Sub blieb bisher unbeantwortet. Anders als mit Druck geht es also wohl auch weiterhin kaum, weswegen der CSD München bereits im Mai zum Internationalen Tag gegen Queerphobie (IDAHoBIT) eine erste Demonstration plant. Zudem soll noch vor der Pride-Saison auch die bayerische Community selbst befragt werden, welche Themen ihnen wirklich unter den Nägeln brennen.
Für die Verbände ist klar, die Kernthemen sind die Erfassung queerfeindlicher Straftaten in der Polizeistatistik, die Fortbildung und Sensibilisierung von Behörden, der Polizei und anderen Staatsbediensteten, die Erarbeitung von Maßnahmen gegen Queer-Hass, auch an deutschen Schulen, Hassgewalt oder auch die demokratische Beteiligung an den Aufsichtsgremien der bayerischen Medienhäuser.
Grüne fordern in Bayern Queer-Beauftragten auf Landesebene
Weitere Aspekte sind die Beendigung der Benachteiligung queerer Personen bei der Gesundheitsversorgung (auch auf die elektronische Patientenakte schaut die Queer-Community besorgt), eine deutlich bessere Aufklärungsarbeit an bayerischen Schulen und die flächendeckende Finanzierung queerer Strukturen und Angebote auf dem Land. Die Grünen fordern zudem die Stelle eines eigenen Queer-Beauftragten auf Landesebene, wie es ihn künftig auch in Berlin geben wird. Die spannende Frage ist dabei in diesen Tagen auch, wie sich die CSU jetzt im Wahlkampf bis zum Oktober überhaupt verhalten wird.
„Gerade in Wahlkampfzeiten hetzt die CSU immer wieder gern gegen Regenbogenfamilien, geschlechtliche Selbstbestimmung oder geschlechtergerechte Sprache. Die bayerische Community wird Söder an seinen Taten messen, nicht an Versprechungen“, so Apel vom LSVD. Und Breyer vom CSD in München gibt zudem zu bedenken: „Wir schauen genau hin. Nichts über uns ohne uns!“ Siekmann von den Grünen hält abschließend fest, dass die Bayer:innen selbst sowieso längst viel fortschrittlicher denken als ihre politischen Vertreter:innen: „Die Menschen in Bayern sind viel weiter als diese aus der Zeit gefallene Regierung von CSU und Freien Wählern.“
Überall im Land gründeten sich neue queere Initiativen und Vereine und fänden CSDs statt. „Auf meiner „Queer durchs Land“-Tour habe ich unzählige engagierte Menschen getroffen, die die Lebensbedingungen für LSBTIQ* verbessern wollen. Es ist überfällig, dass das alte Denken jetzt auch in der Regierung überwunden wird. Bayern braucht endlich eine queer-freundliche Staatsregierung.“
Mehr zum Thema: Erste Gedenkstunde für queere Opfer der Nazi-Zeit im Bundestag.