„Stranger Things“ hat endlich seinen Groove wiedergefunden

MEINUNG
Die vierte Staffel der erfolgreichen Netflix-Serie „Stranger Things“ knüpft an die Brillanz der ersten Staffel an.
„Stranger Things“ vorzuwerfen, dass sich die Handlungen wiederholen würden, ist überflüssig. Die gesamte Serie ist nun eben einmal eine Art Wiederholung. Eine geführte Tour durch bekannte Muster, die neu gestaltet und eingesetzt werden. Als die Serie 2016 auf den Markt kam, wurde „Stranger Things“ ein großer Erfolg. Vor allem, da die Serie sich von Anfang an stolz als eine Anlehnung an die Popkultur der 1980er Jahre bezeichnete. Jede Szene triefte vor Hommage. Sie nahm bekannte Elemente von Steven Spielberg sowie Stephen King auf und spielte mit ihnen auf eine Weise, die sich sowohl vertraut als auch neu anfühlte. Die Serie war eskapistisch, ohne geschmacklos zu sein.
Aber das hielt nicht lang an. In der zweiten Staffel konnte man dieser Art von 80er-Jahre-Cosplay noch etwas Spaß abgewinnen, aber als „Stranger Things“ 2019 in seine langatmige dritte Staffel ging, fühlte sich der Elan gezwungen und unnatürlich an. Die Anspielungen auf die Vergangenheit waren allgegenwärtig, aber das schien auch das einzige, was die Serie zu bieten hatte.
In der vierten Staffel von „Stranger Things“ werden die Protagonist:innen erwachsen
Wie erfrischend ist es da, dass die gerade zu Ende gegangene vierte Staffel wieder an die brillanten Leistungen der ersten anknüpft. Diese Woche wurde die Staffel für 13 Emmys nominiert, auch in der Hauptkategorie „herausragendste Dramaserie“. Die Schauspieler:innen aus der Serie hingegen erhielten keine Nominierungen. Nach drei Jahren Pause nimmt „Stranger Things“ die Zuschauer:innen endlich wieder mit in die Geheimnisse des fiktiven Hawkins, Indiana, und das gruseliger als jemals zuvor.
Tatsächlich sterben eine Menge Leute. Die Todesfälle sind von Mal zu Mal erschreckender. Die monsterbekämpfenden Kinder, denen wir folgen, sind inzwischen gezwungen, erwachsen zu werden. Sie kämpfen mittlerweile nicht mehr mit Feuerwerkskörpern, sondern mit Speeren und abgesägten Schrotflinten. „Stranger Things“ hat seine Magie wiederentdeckt und eine exzellente Staffel abgeliefert, die einen grandiosen Schluss für die gesamte Serie hätte bilden können.
In der vierten Staffel 4 ist die Kerngruppe über verschiedene Schauplätze verstreut. Während Hawkins von dem mysteriösen Monster Vecna angegriffen wird, wechselt der Blickwinkel häufig zu Charakteren, die in einem sowjetischen Gefängnis gefangen sind, während andere einen Roadtrip durch Amerika in einem wackeligen Pizzawagen machen müssen. Die Hauptfigur der Serie, Eleven (Millie Bobby Brown), kommt langsam mit ihren Erinnerungen ins Reine, die sie sich selbst vorenthalten hatte. Damit beginnt ein Handlungsbogen, der einige wichtige Fragen für die Serie klärt: Wie hat Eleven ihre Kräfte erhalten? Wie hat sich die Upside-Down-Dimension überhaupt geöffnet? Wer ist der große Bösewicht in „Stranger Things“? All diese Antworten finden sich in Elevens Erinnerungen wieder. Erinnerungen, die sich später als zentral für die Konfrontation mit Vecna erweisen.

Staffelfinale von „Stranger Things“ dauert länger als ein Kinofilm
Wenn ich „später“ sage, dann meine ich wirklich „ sehr viel später“. Die Länge der Staffel war ein Thema, das für viel Unverständnis gesorgt hat. „Stranger Things“ kehrt mit neun Episoden zurück, die in zwei Schüben veröffentlicht wurden. Jede Folge dauert locker über 60 Minuten, die meisten eher um die 75 Minuten. Das Staffelfinale sprengte jedoch alles und war mit zwei Stunden und 30 Minuten länger als ein Kinofilm.
Auch wenn ein Großteil der Handlung unnötig war, so war sie doch dank der intelligenten Paarungen der Charaktere und der Einführung des herausragenden Neuzugangs Eddie Munson (Joseph Quinn) sowie des ständig überdrehten Pizzagottes Argyle angenehm anzuschauen. Die Chemie zwischen dem Dreiergespann Steve, Nancy und Robin auf dem Bildschirm sorgte für ein packendes Serienerlebnis.
30 Millionen Dollar Budget pro Folge „Stranger Things“
Das könnte daran liegen, dass die Gebrüder Duffer in dieser Staffel mehr Budget zur Verfügung hatten und zwar schwindelerregende 30 Millionen Dollar für jede Episode. Das macht 270 Millionen Dollar für die vierte Staffel. Zum Vergleich: „Spider-Man: No Way Home“ kostete 200 Millionen Dollar. Die Duffers wollten ganz klar, dass sich jedes Puzzleteil und jede Konfrontation wie ein großes Ereignis anfühlt und das ist der Serie auch gelungen.
Die Abonnent:innen zahlen von Netflix mögen für den Streamingdienstleister ein Grund zur Sorge sein, aber „Stranger Things“ hat sich eindeutig zu seinem Kronjuwel gemausert. Die Serie ist so erfolgreich, dass Kate Bushs „Running Up That Hill“, ein 37 Jahre alter Song, viral ging und in den USA zum ersten Mal in die Top 10 kam. Und das nur aufgrund einer emotionalen Szene, in der das Lied eine Rettungsaktion untermalt (obwohl nicht jeder die Kate Bush Renaissance liebt).
Sogar Metallica und Journey haben durch Schlüsselmomente von „Stranger Things“ eine Popularitätswelle zu spüren bekommen.
Aber auch wenn der ganze Trubel, einschließlich des krassesten Metal-Konzerts in der Geschichte des Fernsehens, ein Nervenkitzel war, verliert die Serie nie ihren roten Faden. Der Horror in Hawkins hat sich verschärft. Der Bösewicht tötet. Wiederholt und auf grausame Weise. Treue Fans der Serie erinnern sich vielleicht noch an die Unschuld der ersten Staffel, als der Bösewicht wegen der Vorliebe der Bande für Dungeons & Dragons (D&D) „Mind Flayer“ genannt wurde. Als Will in der ersten Staffel verschwindet, dreht Eleven das D&D-Brett um und benutzt die Rückseite, um zu beschreiben, was die Kinder als das Upside Down bezeichnen. Wenn sie das Böse in der vierten Staffel nach einem anderen D&D-Element benennen, hat man das Gefühl, dass es ein letzter Versuch ist, einen Schrecken zu begreifen, den sie nicht ganz ergründen können.
Die längere Dauer der vierten Staffel ermöglicht nicht nur mehr Horror, sondern auch ein besseres Verständnis für die Charaktere. Ein Großteil der letzten beiden Episoden wird mit wechselnden Paaren verbracht, die sich gegenseitig erklären, wie genau Hawkins sie verändert hat: Nancy und Steve, Max und Lucas, Hopper und Joyce, Will und Mike, Will und Jonathan, Jonathan und Nancy. Es ist leicht, diese Szenen als unnötig abzutun, aber sie zahlen sich aus: Die Staffel ist lang, weil sie für viele dieser Figuren eine Art Abschluss des Erwachsenwerdens darstellt.
Fünfte und finale Staffel „Stranger Things“ kommt erst 2024
Diese Woche haben wir erfahren, dass Stranger Things im Jahr 2024 zurückkehren wird und dafür sollten die Duffers zur Rechenschaft gezogen werden, denn das ist eine viel zu lange Wartezeit. In dieser Staffel hat „Stranger Things“ seinen Weg gefunden. Es besteht ein großes Risiko, in die nächste Staffel mit einer umfangreicheren Geschichte einzusteigen und die Intimität zu verlieren, die die Serie so erfolgreich macht. Ein noch größeres Risiko besteht darin, dass die Schauspieler:innen, von denen viele erst zwölf oder 13 Jahre alt waren, als sie mit den Dreharbeiten zu der Serie begannen, schnell aus ihren Figuren herauswachsen. Noah Schnapp war elf, als die Dreharbeiten begannen und jetzt ist er alt genug, um sich von Doja Cat ärgern zu lassen.
Was auch immer die letzte Staffel der Serie bereithält, die Duffers haben Geschick im Umgang mit verschiedenen Zeitlinien bewiesen. Obwohl wir die Charaktere zu Beginn ihrer Jugend kennengelernt haben, hat sich das Horror-Vokabular der Serie weiterentwickelt, während die Hawkins-Kinder sich der Schwelle zum Erwachsensein nähern. Das ist vielleicht die beste Errungenschaft der vierten Staffel: Am Ende des Finales sind die Probleme des Upside Downs zu Problemen der realen Welt geworden und der Horror, den einst nur die Kinder sahen, ist der Horror, den nun endlich jeder sieht.
Autorin ist Elamin Abdelmahmoud. Der Artikel erschien am 14. Juli 2022 auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Mine Hacibekiroglu.