Böhmermann veröffentlicht NSU-Akten – das war „längst überfällig“
Im „ZDF Magazin“ machte Jan Böhmermann den Inhalt verschlossener NSU-Akten öffentlich. Die Bildungsstätte Anne Frank und der Paritätische Wohlfahrtsverband Hessen „begrüßen“ das.
Jan Böhmermanns „ZDF Magazin“ deckte im Mai den Skandal um Fynn Kliemanns Maskenproduktion in Asien auf. Am Freitag, 28. Oktober, ging es in seiner Satire-Show um die NSU-Morde – genauer gesagt um die Akten, die der Verfassungsschutz nicht öffentlich machen wollte. Jan Böhmermann veröffentlichte genau diese Akten. Auf YouTube wird er dafür von seinen Zuschauer:innen gefeiert: „Dieser Moment, wenn du realisierst, dass eine Comedy Show bessere Arbeit leistet, als die Polizei und der Verfassungsschutz…“, schreibt ein:e User:in.
Doch nicht alle sehen Böhmermanns Veröffentlichung der NSU-Akten so positiv. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen stellte Strafanzeige wegen der unrechtmäßigen Weitergabe von als Verschlusssachen eingestuften Dokumenten gegen Unbekannt. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz sei „nicht begeistert“ von der Veröffentlichung der NSU-Dokumente, gab er am Montag, 31. Oktober, bekannt. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Hessen und die Bildungsstätte Anne Frank halten dagegen und „begrüßen die Veröffentlichung der NSU-Akten ausdrücklich“.
Olaf Scholz kritisiert Jan Böhmermann: NSU-Akten aus guten Gründen geheim
Am 31. Oktober kritisierte Bundeskanzler Olaf Scholz, der an Halloween so einige „linksgrüne“ Aktionen verurteilte, dass Jan Böhmermann den hessischen NSU-Bericht veröffentlicht hatte. Wie das ZDF berichtet, ließ Scholz durch einen Sprecher ausrichten, dass die NSU-Akten aus guten Gründen als geheim eingestuft wurden. Es gebe Regeln für die „Entstufung von Akten“, also die Aufhebung der Geheimhaltung. Dass ZDF-Moderator Jan Böhmermann gegen diese Regeln verstoßen hat, sei nichts, was man „begeistert zur Kenntnis“ nehme.
Das „ZDF Magazin“ hatte mit „FragDenStaat“ den hessischen Bericht aus dem Jahr 2014 zu den rechtsterroristischen NSU-Morden veröffentlicht. Dieser sollte laut ZDF eigentlich 120 Jahre, dann 30 Jahre unter Verschluss bleiben. Er zeigt, dass der hessische Verfassungsschutz zahlreiche Dokumente zu den NSU-Morden verloren hat. Laut Böhmermann zeichnet er „ein mehr als zweifelhaftes Bild von der Arbeit des hessischen Verfassungsschutzes“.
Im „ZDF Magazin“ geht Böhmermann darauf ein, wie der Verfassungsschutz Akten schredderte und immer wieder Geld an V-Männer wie Tino Brandt gezahlt habe. „Wenn Neonazis Geld dafür bekommen, Neonazi-Informationen aus der Neonazi-Szene zu verraten, dann bleiben die doch natürlich Neonazis“, so Böhmermann in seiner Sendung. Besonders „gruselig“ sei auch Andreas Temme (der auch im Mordfall Walter Lübcke aussagte), weil dieser bei einem Mord der NSU „zufällig“ am Tatort war.

Paritätischer Wohlfahrtsverband Hessen begrüßt „Veröffentlichung der NSU-Akten ausdrücklich“
Yasmin Alinaghi, Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Hessen, kann die Kritik von Scholz an Böhmermanns Veröffentlichung des NSU-Berichts nicht verstehen. „Wir begrüßen die Veröffentlichung der NSU-Akten ausdrücklich“, sagt sie gegenüber BuzzFeed News DE. Dass die Taten des NSU und die Rolle des hessischen Verfassungsschutzes in dessen Umfeld aufgearbeitet werden, sei „längst überfällig“.
„Als Paritätischer Hessen bauen wir darauf, dass die kommende Landesregierung unter einem neuen Innenminister hier eine Kehrtwende vollzieht. Verfassungsschutz und Polizei müssen in Hessen so reformiert werden, dass dort kein Platz mehr bleibt für strukturellen Rassismus und Rechtsextremismus.“
Geleakter NSU-Akten-Inhalt zeigt „Scheitern des hessischen Verfassungsschutzes im NSU-Komplex“
Laut Bildungsstätte Anne Frank gebe es sicherlich gute Gründe, warum der Verfassungsschutz und der Staat Berichte nicht veröffentlichen wollen. „Diese dürfen aber nicht dafür instrumentalisiert werden, eigene Versäumnisse vor der Öffentlichkeit zu vertuschen“, sagt Eva Berendsen, Leitung der Kommunikation bei der Bildungsstätte Anne Frank, gegenüber BuzzFeed News DE. Der Bericht sei ein „Dokument des institutionellen Versagens“. Mit der Veröffentlichung durch Böhmermann sei „das Scheitern des hessischen Verfassungsschutzes im NSU-Komplex für alle nachlesbar“.
In den 90er-Jahren habe die Behörde beim Thema Rechtsextremismus, „fahrlässig und unverantwortlich gearbeitet“, so Berendsen. Wenn man über die Rechtmäßigkeit der Leaks diskutiere, müsse man auch darüber sprechen, wie zentral Aufklärung sei – und das nicht nur für die Angehörigen der NSU-Mordopfer. „Auch für den Verfassungsschutz wäre es ein Weg gewesen, um an seiner – völlig erschütterten – Glaubwürdigkeit zu arbeiten“, so Berendsen. Der „notorische Verweis auf Quellenschutz“ werfe immer wieder die Frage auf, ob die Sicherheit von V-Leuten wichtiger sei, als die der Menschen, die zur Zielscheibe werden.
„Die Politik muss einen Umgang mit der Frage finden, wie wir künftig mit Geheimdokumenten im NSU-Komplex umgehen“, sagt Berendsen gegenüber BuzzFeed News DE. Die Bundesregierung habe im Koalitionsvertrag signalisiert, ein NSU-Archiv einzurichten. „Anstatt die Schuldigen jetzt in den Medien und der kritischen Zivilgesellschaft zu suchen, könnte sich die Bundesregierung an ihr eigenes Versprechen erinnern und aktiv etwas für Aufklärung und Transparenz tun.“
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