Ende von Paragraf 219a: Stellvertretende Pro-Familia-Chefin begrüßt Entscheidung - „jahrelanger Aktivismus“

Paragraf 219a abschaffen – das fordern viele seit Jahren. Nun ist es soweit. Ärztinnen und Ärzte dürfen öffentlich und ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren.
Es war ein „untragbarer Zustand“ und eine Abschaffung „längst überfällig“, hieß es von Politiker:innen der FDP und den Grünen Anfang März. Heute, am 24. Juni 2022, hat der Bundestag beschlossen, dass der umstrittene Paragraf 219a, der die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ verbietet, aufgehoben wird. Ärzt:innen, die auf der Homepage ihrer Praxis über Schwangerschaftsabbrüche, Methoden und Risiken informieren, müssen künftig nicht mehr mit strafrechtlichen Ermittlungen rechnen.
„Das ist das Resultat von jahrelangem Aktivismus“, sagt Fiona Franz, stellvertretende Bundesvorsitzende bei Pro Familia, einem Verband für Sexualität, Partnerschaft und Familienplanung, im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland. Die Abschaffung von 219a motiviere sie, weil es zeige, dass die Demos, Redebeiträge und Petitionen etwas bewirken können.
Schwangerschaftsabbruch regelt Paragraf 218 und 219a im Strafgesetzbuch
Franz ist 24 Jahre alt und studiert im sechsten Semester Medizin in Hamburg. 2019 stieg sie bei Pro Familia ein und bewarb sich bald auf eine freigewordene Stelle im Bundesvorstand. „Ich hab die Chance gesehen, schon zu Beginn des Studiums etwas zu bewirken. Der ausschlaggebende Moment, als mich die Situation so aufregte, dass ich tätig werden wollte, war als ich zum ersten Mal den Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch las“, sagt die Medizinstudentin. Der Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs regelt in Deutschland den Schwangerschaftsabbruch. Darin heißt es: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Ausnahme: Seit der Befruchtung sind nicht mehr als zwölf Wochen vergangen. Dann gelten die Handlungen nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.
„Ich dachte mir, wow, das kann doch nicht sein, dass wir in Deutschland einen Paragrafen haben, der veralteter nicht sein kann“, so Franz. Seit 1871 stellte der Paragraf 218 Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe. Erst die sozialliberale Koalition plante 1972 eine Änderung des Paragrafen und seit 1976 ist der Abbruch einer Schwangerschaft in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten straffrei, wenn eine Beratung stattfand und er von einem Arzt oder einer Ärztin durchgeführt wird.
Medizinische Ausbildung zum Schwangerschaftsabbruch verbessern
Franz gründete in Hamburg einen Ableger der studentischen Arbeitsgruppe „Medical Students for Choice“. Die Gruppe setzt sich für eine Verbesserung der medizinischen Ausbildung zum Schwangerschaftsabbruch ein. Paragraf 218 sieht Franz dabei als Problem: „Die Lehrenden müssen etwas lehren, das im Strafgesetzbuch steht.“ Natürlich werde ein Abbruch gelehrt, zum Beispiel im Sinne einer medizinischen Indikation, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr sei, aber „der Schwangerschaftsabbruch ist einer der am häufigsten durchgeführten gynäkologischen Eingriffen und es wird im Medizinstudium gar nicht der Raum geschaffen, sich eine eigene Meinung zu bilden“.
Franz und ihre Mitstreiter:innen wollen das mit Medical Students for Choice ändern. Sie wollen ihren Kommiliton:innen die Möglichkeit bieten, sich fundiert eine Meinung zu bilden und wünschen sich, dass mehr Personen, wenn sie an die Gynäkologie denken, Schwangerschaftsabbrüche mitdenken.
Versorgungslage in Deutschland: Weniger Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen
Nach dem Medizinstudium beginnt die Facharztausbildung Gynäkologie und da gehen laut Franz die Probleme weiter:
Wenn die eigene Klinik keine Abbrüche durchführt, muss man sich jemanden suchen, der oder die einem das beibringt. Dass man sich da selbst so dahinter klemmen muss, ist eine Hürde. Und dann sind wir bei der Versorgungslage in Deutschland, die immer schlimmer wird.
Seit Jahren nehme die Anzahl der Ärzt:innen und Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ab, was bedeute, dass es in immer mehr Regionen keine oder kaum Anlaufstellen für ungewollt Schwangere gebe, berichtet auch die Aktivist:innengruppe „Mehr als du denkst“. In der rund 128.000 Einwohner:innen großen Stadt Würzburg in Bayern gebe es demnach keine einzige Praxis, die auf der Liste der Bundesärztekammer stehe, in die sich solche Anlaufstellen freiwillig eintragen können.
Die Liste sei allerdings nicht vollständig, weil sich Ärzt:innen aus Angst vor Anfeindungen und Diffamierungen bewusst dagegen entscheiden, heißt es unter dem Post. „In Bayern sind die Abtreibungsgegner:innen sehr stark“, so Franz gegenüber BuzzFeed News Deutschland. Sie stellen sich vor Beratungsstellen, greifen Ärzt:innen an und schreiben Droh-E-Mails. Auch in Hamburg sei sie bei einer Veranstaltung, bei der sie mit Bürger:innen ins Gespräch kommen wollte, als „Mörderin“ betitelt worden, berichtet die 24-Jährige. Aber sie stecke das weg, „weil die Argumente einfach sehr irrational sind“.
Zahlen der Weltgesundheitsorganisation untermauern die Wichtigkeit der Arbeit von Pro Familia. Der Chef der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, sagte Anfang Mai, dass ein erschwerter Zugang zu Abtreibungen „nicht die Anzahl der Abbrüche“ reduziere, wie die Tagesschau berichtet. Der Zugang zu sicheren Abtreibungen rette Leben.
Nach Paragraf 219a soll jetzt 218 fallen: Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs regeln
In Deutschland könnte sich die Lage in den kommenden Jahren verschärfen. Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche seit 40 Jahren durchführen, gehen in Rente und finden keinen Nachwuchs, so Franz. Der fehlende Schutz vor Abtreibungsgegner:innen spiele dabei sicherlich auch eine Rolle. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht, dass sie sogenannten Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegner:innen gesetzliche Maßnahmen entgegensetzen will. „Ich halte es für extrem wichtig, Ärzt:innen, die Abbrüche durchführen, zu schützen“, sagt die 24-Jährige.
Dass der Paragraf 219a gestrichen werde, feiert Pro Familia als Erfolg, aber es gebe immer noch Paragraf 218 im Strafgesetzbuch. „Höchste Priorität hat jetzt, dass der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt wird, um die Kriminalisierung zu beenden und stattdessen mit Leitlinien eine Basis für verbesserte Lehre zu schaffen, die psychosoziale Versorgung der ungewollt Schwangeren verbessern und den Schwangerschaftsabbruch zu entstigmatisieren“, sagt Franz. Denn daran hänge auch die flächendeckende Versorgung mit Beratungseinrichtungen und Praxen in Deutschland, die einen sicheren Schwangerschaftsabbruch durchführen.
„Die Streichung des Paragrafen [219a] ist ein wichtiger und großer Schritt für eine verbesserte medizinische Versorgung von ungewollt Schwangeren und ein Bekenntnis zu reproduktiver und sexueller Selbstbestimmung“, heißt es in einem Statement im Namen aller Bundesvorstandsmitglieder von Pro Familia, das BuzzFeed News Deutschland vorliegt. „Die Arbeit liegt nun weiterhin darin, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren und neue, zeitgemäße Regelungen zu diskutieren.“