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Diskussion über Angriffe an Silvester bedient „rassistische Stereotype“

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Von: Jana Stäbener

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Jens Spahn (CDU) schiebt die Silvester-Ausschreitungen in Berlin auf die Migrationspolitik. Ein „Beruhigungs-Schnuller“, findet ein Migrationspädagoge.

In Berlin und weiteren deutschen Städten kam es in der Silvesternacht 2022/2023 zu Ausschreitungen. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtete, konnte die Feuerwehr in Berlin-Neukölln einen brennenden Reisebus, der unter einem Wohngebäude stand, nur unter Polizeischutz löschen. Außerdem wurde dort ein fahrender Rettungswagen mit einem Feuerlöscher beworfen. Insgesamt seien 56 Einsatzkräfte verletzt worden.

Weil es in Berlin in den vergangenen Jahren immer wieder zu Silvester-Zwischenfällen kam, entbrennt nun eine Debatte über Ursachen und Konsequenzen. „Es gibt hier natürlich Gesprächsbedarf, das ist völlig klar“, sagte Franziska Giffey, regierende Bürgermeisterin von Berlin, laut dpa am Montag, 2. Januar 2023. Auch weil Böllern per se gefährlich ist, wie diese Schlagzeilen zeigen, spricht sich die Berliner Gewerkschaft der Polizei für ein bundesweites Verbot von Böllern und Raketen für Privatleute aus.

Feuerwehrleutelöschen an der Sonnenallee (Berlin-Neukölln) einen Reisebus, der von Unbekannten angezündet worden war.
Feuerwehrleute löschen an der Sonnenallee (Berlin-Neukölln) einen Reisebus, der von Unbekannten angezündet worden war. © Paul Zinken/dpa

Silvesternacht in Berlin Neukölln entfacht Diskussion über Böllerverbot

Der CDU-Landeschef Kai Wegner und der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn halten wenig von einem Böllerverbot. Spahn sieht als Grund für die Silvester-Randale in Neukölln eher die Migrationspolitik. Gegenüber t-online sagt er: „Krawalle in einigen Stadtteilen oder auf bestimmten Plätzen bekämpft man nicht mit einem bundesweiten Böllerverbot.“

Deutschland solle sich vielmehr ernsthaft die Frage stellen, warum Silvester immer wieder an denselben Orten mit den gleichen Beteiligten so eskaliere. „Da geht es eher um ungeregelte Migration, gescheiterte Integration und fehlenden Respekt vor dem Staat statt um Feuerwerk.“ Damit polarisiert er, finden der Diplom-Sozialpädagoge Batuhan Canigür, die Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan und die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram gegenüber BuzzFeed News DE.

Union zettelt laut Grünen- und SPD-Politikerinnen „rassistischen Diskurs“ an

Die grüne Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost) verurteilt Spahns Aussagen gegenüber BuzzFeed News DE: „Dass Kollegen aus der Unionsfraktion diese Vorfälle nun nutzen, um einen rassistischen Diskurs anzuzetteln, ist wohl dem Wahlkampf in Berlin geschuldet und nicht geeignet, Antworten auf die Herausforderungen zu finden.“ Immer wieder fiel die Union in den vergangenen Monaten durch ihre Meinungen zur Migrationspolitik auf.

Es sei zunehmend eine Aggressivität und Rücksichtlosigkeit im öffentlichen Raum zu beobachten – nicht nur an Silvester, so Bayram. Für die Verfolgung von Straftaten seien jedoch die Ermittlungsbehörden zuständig, die mit Hochdruck an der Aufklärung arbeiteten. „Wir sollten über gesellschaftliche Probleme miteinander reden können, ohne dabei rassistische Stereotype zu bedienen.“

„Die Gewalttaten und gezielten Attacken gegen Einsatzkräfte sind abscheulich und müssen schnell und konsequent mit der ganzen Härte des Rechtsstaats bestraft werden“, sagt die Antirassismus-Beauftragte der Bundesregierung Reem Alabali-Radovan (SPD) auf Anfrage von BuzzFeed News DE. Es sei jedoch wichtig, Täter anhand ihrer Taten zu beurteilen, nicht anhand ihrer vermuteten Herkunft. „Wer jetzt mit Generalverdacht gegenüber Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte reagiert, trägt zur weiteren Stigmatisierung von Teilen der Gesellschaft bei und spaltet, statt die sozialen Ursachen des Problems zu bekämpfen.“

Warum kam es in der Silvesternacht zu Gewalt?

Batuhan Canigür ist Diplom-Sozialpädagoge und leitet die Einrichtung „Tuerkise Biographien“, in der Familien kulturspezifische Hilfen zur Erziehung bekommen. Gemeinsam mit seinem Fachteam von Migrationspädagog:innen beschäftigt er sich tagtäglich mit der Identität von migrantischen Familien, Jugendlichen und Kindern und der Frage, was gelungene Integration ausmacht.

„Herr Spahn hat recht damit, dass jegliche Angriffe auf Rettungskräfte nicht in Ordnung sind. Aber er lässt einen wichtigen Aspekt komplett außen vor: den Grund, warum Menschen gewalttätig werden“, sagt Canigür gegenüber BuzzFeed News DE. Gewalt habe etwas mit „Walten“ zu tun. Die Ausübung von Gewalt sei oft ein Versuch, über etwas zu herrschen, das man nicht beherrschen könne und zeuge davon, „wie viel Gewaltlosigkeit ich eigentlich spüre“.

Junge Menschen drückten ihre Resignation auch aus, indem sie Straftaten begingen – so wie in der Silvesternacht. Das sei falsch und müsse bestraft werden. „Aber man kann das ja auch anders framen. Man könnte zum Beispiel sagen, es war eine gewalttätige Demonstration. So würde man zumindest andeuten, dass man die Resignation der Straftäter versteht, und konsequent gegen Gewalt ist“, findet Canigür.

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In Neukölln haben etwa 45 Prozent der Bewohner:innen einen Migrationshintergrund. © Schoening/IMAGO

In Neukölln kam es vor allem wegen Feuerwerkskörpern zu Verletzten. Das zeigt wieder einmal, dass Feuerwerk Mist ist – unserer Autorin würde das Böllern an Silvester trotzdem fehlen.

„Ist der Migrant das Problem oder eben einfach der Mensch mit sozialen Schwierigkeiten?“

Wenn Politiker:innen wie Jens Spahn sagten, das Problem sei Migration, oder eine andere Kultur, dann stellten sie damit „infrage, dass Perspektivlosigkeit und Resignation existieren“, sagt Canigür gegenüber BuzzFeed News DE. Stattdessen werde polarisiert, so wie auch bei der schnelleren Einbürgerung, die den deutschen Pass laut CDU „entwerte“. „Der eine Pol, das sind die, die friedlich feiern. Der andere Pol, das sind Migranten, die mit Böllern auf die Polizei schießen.“ Dabei wüssten wir alle, dass es komplexer sei als diese zwei Pole.

„Natürlich birgt Migration eine gewisse Problematik. Aber ist der Migrant das Problem oder eben einfach der Mensch mit sozialen Schwierigkeiten, der migriert?“ Wahrscheinlich werde man darüber noch ewig diskutieren, und das müsse auch so sein, denn komplexe gesellschaftliche Probleme könne man nicht einfach mit zwei Polen beantworten.

Der Migrationspädagoge erklärt das Ganze metaphorisch: „Spahn erzeugt mit solchen Aussagen einen Schnuller, um die zu beruhigen, die die Komplexität des Problems nicht verstehen wollen oder können.“ Viele Menschen würden solch einen „Beruhigungs-Schnuller“ dankend annehmen, glaubt Canigür.

Wäre das Leben ein Ponyhof, würde ich mir wünschen, mit Spahn mal eine Nacht in Neukölln zu verbringen und ihm klarzumachen, dass nicht jeder Migrant auf Silvester wartet, nur um am 31.12. bei Aldi Böller kaufen zu gehen, weil er Polizisten beschießen will.

Batuhan Canigür, Pädagoge

Mehr zum Thema Migration? Erfinder:innen mit Migrationshintergrund sind „unverzichtbar für die Innovationskraft Deutschlands“.

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