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CSD nicht für „Stimmenfang bei queeren Menschen“: Pride-Paraden bald ohne Politik?

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Christopher Street Day in Kassel
Unter dem Motto „Say Gay“ habe Menschen bei einer „Christopher-Street-Day“-Parade in Kassel gefeiert. © Peter Hartenfelser/Imago

Beim Christopher Street Day in Kassel wurden politischen Parteien keine spezifische Sichtbarkeit in Form von beispielsweise Parteiflaggen oder Infoständen gewährt.

Vor 50 Jahren kam es in Deutschland zu den ersten Demonstrationen von Homosexuellen, die für Akzeptanz und Gleichberechtigung auf die Straße gingen – nicht in Berlin, München oder vielleicht Köln, sondern ausgerechnet im eher beschaulichen Münster. Ein ähnliches Jubiläum feiern die Briten Anfang Juli: 50 Jahre Pride London. Im letzten halben Jahrhundert hat sich dabei viel verändert, aus den ersten Demonstrationen mit ein paar hundert Teilnehmer:innen wurden mit der Zeit Events, die Millionen von Menschen anlocken. Und nicht nur die, auch Unternehmen und politische Parteien haben den Pride immer mehr für sich entdeckt.

Doch passt das im Jahr 2022 eigentlich noch zusammen? Eine Demonstration im Kampf um mehr Rechte Hand in Hand mit Firmen und vor allem politischen Parteien, die diese Veranstaltungen als Werbemöglichkeit für sich nutzen? Oder ist es doch ein gutes Signal, dass alle demokratischen Parteien dabei sein wollen?

Widerstand aus LGBTQIA+-Community gegen Vereinnahmung der Pride-Paraden

In Großbritannien wie auch in Deutschland formiert sich ein erster Widerstand gegen die Vereinnahmung der Pride-Paraden durch politische Parteien. In London forderte vor wenigen Tagen Peter Tatchell, eines der bekanntesten Gesichter der britischen LGBTQIA+-Community und ein Aktivist der ersten Stunde, dass die gesamte Pride-Bewegung zu ihren aktivistischen Wurzeln zurückkehren müsse und das bestenfalls nicht nur in Großbritannien.

Ein ähnliches Credo verfolgte in diesem Jahr bereits der Christopher Street Day (CSD) in Kassel, der im Vorfeld der Demonstration für Aufsehen mit dem Statement gesorgt hatte, dass den politischen Parteien keine Sonderstellung oder spezifische Sichtbarkeit in Form von beispielsweise Parteiflaggen, Infoständen oder Redebeiträgen gewährt wird: „Der CSD ist nicht dafür da, dass Parteien ihre parteipolitischen Interessen durchsetzen können. Ein CSD ist auch nicht da, um auf Stimmenfang bei queeren Menschen zu gehen“, so die offizielle Erklärung der Organisatoren.

Geschadet hat es dem CSD nicht – am vergangenen Wochenende kamen rund 3.000 Menschen zu der Veranstaltung nach Kassel. Einer davon war Markus S. – der LGBTQIA+-Aktivist ist seit über zwanzig Jahren in der queeren Community aktiv und arbeitete in den letzten Jahren in zwei CSD-Vorständen: „Ich habe den Pride in Kassel als sehr besonders wahrgenommen. Es war für mich eine ganz besondere Stimmung, gerade weil die große politische Show dieses Mal nicht im Mittelpunkt stand. Es ging um uns, um queere Menschen“, sagt er gegenüber BuzzFeed News Deutschland.

Deutschland landet beim Thema Queerfreundlichkeit nur auf Platz 15. Der Frage, warum wir nur Mittelmaß in Europa sind, gehen wir hier nach.

Laut LGBTQIA+-Aktivist sind viele Organisator:innen in Parteien oder bei Medienunternehmen

Markus will nicht mit Klarnamen genannt werden, denn nachdem er sich kritisch im letzten Vorstand einer der größten Pride-Veranstaltungen Deutschlands zu der inzwischen gängigen Praxis vieler Pride-Organisatoren geäußert hatte, wurde er massiv angegriffen, bis man ihm schlussendlich nahelegte, den Vorstand zu verlassen.

Meistens ist das sowieso ein unliebsamer Job, es gibt nicht so viele queere Menschen, die sich die ganze Arbeit ehrenamtlich aufhalsen wollen und nebenbei noch ein normales Leben mit Job und Partnerschaft meistern können.

Markus S.

„Vielleicht verständlich, warum deswegen meiner Erfahrung nach viele Orga-Teams inzwischen mit solchen Leuten besetzt sind, die auch anderweitige Interessen abseits der Community haben. Viele Menschen im Hintergrund der Prides sind in einer Partei aktiv oder fördern diese intensiv, andere arbeiten für ein Medienunternehmen und wollen so mögliche Anzeigenschaltungen in die richtigen Bahnen lenken.“

Was kann es bewirken, wenn Parteien bei den Prides eingebunden sind?

Die Idee, die künftigen CSDs wieder zu den Ursprüngen zurückzuführen, findet Markus reizvoll, wenn auch teilweise unrealistisch. „Jeder mittelgroße oder große CSD braucht Fördergelder, also bedarf es einer gewissen Kooperation mit Unternehmen. Der Grat zwischen freundlicher Förderung und exzessiver Image-Werbung ist klein. Die andere Frage ist, warum Parteien sich überhaupt auf Prides so lautstark zu Wort melden dürfen. Wie soll man beispielsweise in diesem Jahr die drei Parteien der Ampel-Koalition kritisieren, wenn Akteur:innen der Parteien auf den CSD-Bühnen stehen und ihren scheinbaren Erfolg feiern?“

Es gibt natürlich auch andere Stimmen in der LGBTQIA+-Community, die darauf hinweisen, dass Parteien besser in die Pflicht genommen werden können und zudem auch hinter den Kulissen mit hochrangigen Parteimitglieder:innen offen und intensiv über Community-Themen gesprochen werden kann, wenn Parteien bei den Prides eingebunden sind.

Gegenüber BuzzFeed News Deutschland blickt Markus kritisch auf diese Argumentation: „Ich habe noch nie erlebt, dass es wirklich zu Gesprächen mit Langzeitwirkung am Rande eines Prides gekommen wäre. Das ist eher ein Mythos. Viel mehr Eindruck würden wir hinterlassen, wenn wir wieder eine starke, geeinte Bewegung werden würden, die sich nicht auf die Seite einer einzelnen Partei schlägt. Wir als Mitglieder:innen unserer Community sollten in erster Linie für uns einstehen, nicht für ein Parteiprogramm. Wenn wir von einer bunten Community sprechen, sind damit nicht die Farben einzelner Parteien gemeint. Vielleicht machen wir uns das wieder bewusster.“ (Von JHM Schmucker)

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