Nahrungsergänzungsmittel: Medizinerin sagt, was Tiktok-Trends wirklich taugen

Wir haben Mediziner:innen gefragt, ob es sich lohnt, die von TikTok beworbenen Nahrungsergänzungsmittel wie Probiotika, L-Glutamin zu kaufen und, ob sie zu einer besseren Darmgesundheit beitragen.
Solange ich denken kann, leide ich unter Verdauungsproblemen und interessierte mich daher sofort für den Hashtag #guttok, als ich mich auf Tiktok anmeldete. Dann wurde meine „Für dich“-Seite von Videos überflutet, in denen es darum ging, welche Nahrungsmittel und welche Nahrungsergänzungsmittel ich zu mir nehmen sollte, um meine Darmgesundheit auf magische Weise zu verbessern. In den Tiktoks wurde auch versprochen, dass ich strahlend und ohne Magenprobleme sein würde, wenn ich nur Hunderte US-Dollar für Probiotika, L-Glutamin, Verdauungsenzyme und verschiedene andere Öle und Pulver ausgeben würde, die ich in meine grünen Smoothies rühren kann.
Mit Carrie Bradshaws Stimme im Ohr „I could‘t help but wonder...“, kam ich nicht umhin mich zu fragen, welche Nahrungsergänzungsmittel und Produkte für die Darmgesundheit tatsächlich wirksam genug sind, um sie sich anzuschaffen.
Um herauszufinden, ob manche davon wirklich hilfreich sind, habe ich mich an medizinische Expert:innen wie Dr. Kyle Staller gewandt, einem Gastroenterologen am Massachusetts General Hospital, der sich auf Störungen der gastrointestinalen Motilität – also auf diverse Magen-Darm-Erkrankungen – spezialisiert hat.
Wie sinnvoll sind Nahrungsergänzungsmittel für die Darmgesundheit?
„Ich glaube, bei all diesen Dingen übersteigt der Wunsch nach einer magischen Antwort die Wissenschaft“, sagt Staller. „Die meisten davon sind nicht sonderlich schädlich – außer für deinen Geldbeutel.“
Durchfall, Verstopfungen und andere Darmerkrankungen sind Probleme, die häufig auftreten und deren Problemlösung ein großes Geschäft ist. 2021 wurde eine Studie in der Zeitschrift Gastroenterology veröffentlicht, an der mehr als 73.000 Menschen teilnahmen. Die Forscher:innen fanden heraus, dass 20 bis 40 Prozent der befragten Personen, eine funktionelle gastrointestinale Störung, wie zum Beispiel das Reizdarmsyndrom hatten. Obwohl diese Erkrankungen nicht lebensbedrohlich sind, können sie die Lebensqualität ernsthaft beeinträchtigen, so Staller. Er empfiehlt jedoch, eine:n Ärzt:in aufzusuchen, um mögliche Abhilfe zu schaffen, anstatt sich auf trendige Blitzlösungen zu verlassen.
Hier sind die Produkte, die die Expert:innen, mit denen wir gesprochen haben, wirklich empfehlen – aber denk daran, dass nicht alle Produkte von jeder Person genutzt werden können und einige nicht langfristig verwendet werden sollten, wenn sie nicht helfen.
Probiotika – „es wird versprochen, dass sie alles heilen“
Probiotika – davon hast du bestimmt schon mal gehört und denkst positiv darüber. Alle wissen, dass Probiotika – also gesunde Mikroorganismen – gut für einen sind, oder? Halt, nicht so schnell. Obwohl Ärzt:innen manchmal Probiotika empfehlen, tun sie das nicht bei jeder Person und in jeder Situation. Ähnlich wie Vitamine können sie eine Menge Geld kosten und bei manchen Menschen oder unter bestimmten Umständen überhaupt nichts bewirken.
„Von Probiotika wird versprochen, dass sie alles heilen“, sagt Dr. Folda May, die als Gastroenterologin und Assistenzprofessorin an der Universität in Kalifornien (UCLA) arbeitet. „Vom Reizdarmsyndrom über Verstopfungen und Bauchschmerzen bis hin zur Laktoseintoleranz habe ich schon alles gehört. Sogar bei Allergien. Aber die Realität ist, dass Studienergebnisse einfach nicht belegen, dass sie dir generell helfen.“
Probiotika sind lebende Mikroorganismen, die deiner Gesundheit helfen sollen, indem sie deinem Mikrobiom – den Billionen von Organismen, die in deinem Darm leben und von der Nahrungsverdauung bis zur Immunregulierung alles unterstützen – mehr ‚gute‘ Bakterien oder Hefen hinzufügen.
Keine durchgängigen Beweise für klinische Wirksamkeit von Probiotika
Das Problem ist, dass die Probiotikabranche weitgehend unkontrolliert agiert und es keine durchgängigen Beweise für die klinische Wirksamkeit gibt. Auch in den Richtlinien für Probiotika der American Gastroenterological Association wird auf die fehlenden Beweise hingewiesen. Trotzdem glauben immer mehr Menschen, dass Probiotika eine wirksame Möglichkeit sind, das Mikrobiom des Darms positiv zu unterstützen.
May und Staller stimmen beide zu, dass es zwar nicht schädlich sei, Probiotika zu sich zu nehmen, sie es jedoch nicht allgemeingültig empfehlen, da sie teuer sein können und es keine überzeugenden Beweise für die Wirksamkeit gibt. (Im Allgemeinen haben die Studien gemischte Ergebnisse erbracht und zahlreiche verschiedene Sorten untersucht).
Laut Nancee Jaffee, einer Ernährungsberaterin an der UCLA, gibt es einige stichhaltige Beweise dafür, dass Probiotika bei antibiotikabedingtem Durchfall, Reisedurchfall oder C. diff (einem potenziell lebensbedrohlichen Keim, der schweren Durchfall und Entzündungen des Dickdarms verursacht) hilfreich sein können. Eine der häufigsten Erkrankungen, bei denen Probiotika helfen sollen, ist das Reizdarmsyndrom (IBS). Aber auch hier ist die Beweislage uneinheitlich.
Kann man es trotzdem mit Probiotika versuchen?
Jaffe rät es erst für zwei Monate zu testen, wenn man Probiotika einnehmen möchte. Wenn du nach dieser Zeit noch keine Verbesserung bemerkst, solltest du die Einnahme abbrechen. Es kann sein, dass die Probiotika nicht die richtigen Bakterienstämme haben, um wirksam zu sein – und du willst bestimmt keine unnötigen oder unwirksamen Ergänzungsmittel einnehmen.
Jaffe empfiehlt außerdem präbiotische und probiotische Lebensmittel einzunehmen, wenn das möglich ist. Sie sagt, dass fermentierte Lebensmittel wie Kimchi, Miso und Sauerkraut nachweislich zu einer Verringerung der Entzündungsmarker führen. Kefir, Kombuchas und Joghurts fallen ebenfalls in diese Kategorie. „Unser Körper mag Mäßigung, deshalb sollten wir von den meisten Dingen eine mittlere Menge zu uns nehmen“, sagt Jaffe. „Das Ziel ist es, normale Portionen als Teil einer gesunden Ernährung zu essen.“
Pfefferminzöl
Etwas, das vielen von Mays Patient:innen erfolgreich hilft, ist reines Pfefferminzöl in Kapselform. Auch Jaffe erwähnt, dass es Belege für die Wirksamkeit von Pfefferminzölkapseln bei starken Blähungen und Bauchbeschwerden in der Forschungsliteratur gebe. Sie sagt, dass Pfefferminzöl nicht nur Blähungen mildern kann, sondern auch die Nerven im Darm beruhigt. Da das Völlegefühl oft von den Nerven ausgeht, kann das Öl helfen.
Verdauungsenzyme
Der Körper stellt von Natur aus viele verschiedene Arten von Verdauungsenzymen her, die jeweils eine eigene Rolle bei der Aufspaltung von Nahrungsmitteln haben. Da sie überall im Magen-Darm-Trakt produziert werden – auch im Speichel, in der Bauchspeicheldrüse, in der Gallenblase und in der Leber – müssen die meisten Menschen sie nicht zusätzlich einnehmen, um eine gesunde Verdauung zu haben.
Wenn du eine Erkrankung hast, die deinen Speichel, deine Gallenblase oder deine Leberfunktion beeinträchtigt, oder wenn du an einer sogenannten Pankreasinsuffizienz leidest, dann könnte es laut May von Vorteil sein, einige dieser Verdauungsenzyme zu ersetzen. Wenn du nicht an einer solchen Erkrankung leidest, wird die Einnahme von Verdauungsenzymen in der Regel nicht empfohlen.
Staller sagt, dass er nicht unbedingt von der Einnahme abraten würde, wenn jemand das Gefühl habe, dass es hilft. Er erklärt jedoch auch, dass man fast 90 Prozent der Bauchspeicheldrüse zerstören müsste, bevor so viele Verdauungsenzyme fehlen, dass man über deren Ersatz nachdenken müsste. Aus diesem Grund wird die durchschnittliche Person mit Magenproblemen nicht von Verdauungsenzymen profitieren.
Bei jeder Nahrungsergänzung achte Jaffe sehr genau darauf, welche Art von Enzymen sie den Patient:innen vorschlägt. „Wir wollen sicherstellen, dass wir nicht nur Enzyme verabreichen, deren Wirkung belegt ist, sondern diese auch in einer Dosis, die tatsächlich schon Menschen geholfen hat.“
Für Menschen, die Probleme mit bestimmten Zuckern haben, die in Soja und Bohnen vorhanden sind - sogenannte Galacto-Oligosacchariden, die zu intensiven Blähungen führen können – empfiehlt Jaffe 300 oder mehr Einheiten des Verdauungsenzyms Galactosidase A. Auch wenn es nicht das trendigste Darm-Produkt auf dem Markt ist, erfüllt Beano, das seit Jahrzehnten verkauft wird, dieses Kriterium.
L-Glutamin
Das war das einzige Ergänzungsmittel, von dem ich davor nie gehört hatte, und das überall auf Tiktok zu sein schien. May erklärt, dass Glutamin eigentlich eine Aminosäure ist, die wichtig für die Muskeln ist, weshalb Athlet:innen es oft für eine schnelle Genesung einnehmen. Laut May gebe es jedoch keine aussagekräftigen wissenschaftlichen Daten, die die Verwendung unterstützen würden, es wird somit nicht allgemeingültig empfohlen. Als Hilfsmittel für gute Darmgesundheit hat das L-Glutamin sich eigentlich nur nach einer schweren Infektion oder einer Antibiotikabehandlung bewiesen, so Jaffe. Es kann vorübergehend Symptome rückgängig machen.
In einer Studie, die 2019 veröffentlicht wurde, nahmen Menschen mit einem Durchfall-anfälligen Reizdarmsyndrom nach einer Infektion 15 Gramm pures L-Glutamin für acht Wochen zu sich, oder sie nahmen ein Placebo. 80 Prozent der Menschen, die das L-Glutamin zu sich nahmen, verspürten eine Verbesserung gegenüber 6 Prozent der Menschen, die Placebo einnahmen.
„Es ist wie ein Gips für den Darm“, sagt Jaffe. „Es stabilisiert den Darm, damit er sich selbst heilen kann. Man nimmt es ein paar Monate lang und setzt es dann ab. Im besten Fall ist der Darm dann geheilt ist und kann die Arbeit selbst erledigen. Ob eine Einnahme über einen langen Zeitraum ungefährlich ist, wissen wir nicht.“
Ballaststoffe
Expert:innen sind sich einig, dass es am sinnvollsten ist, wenn du dir bei Verdauungsproblemen deine eigene Ernährungsweise ansiehst. Wenn du herausfinden kannst, ob du irgendeine Form von Mangel oder Empfindlichkeit hast, kannst du wahrscheinlich deine Symptome verbessern indem du deine Ernährungsweise anpasst. Wenn das nicht möglich ist, werden zur Nahrungsergänzung zu allererst Ballaststoffe empfohlen.
Es mag vielleicht nicht so TikTtok-tauglich sein, wie Knochenbrühe oder Seemoos-Gel, aber der Ballaststoff Metamucil ist nicht ohne Grund eines der gängigsten Ballaststoffpräparate – es ist relativ billig und es wirkt. Es ist jedoch wichtig, mit einer Ärzt:in oder eine:r Ernährungsberater:in wie Jaffe zu sprechen, um zu ermitteln, welche Art von Ballaststoffen du benötigst.
Die beiden wichtigsten Arten sind lösliche und unlösliche Ballaststoffe
Jaffee verglich lösliche Ballaststoffe (die in schwarzen Bohnen, Haferflocken, Chiasamen und vielen anderen Lebensmitteln enthalten sind) mit einem Schwamm, der Wasser aufnehmen kann. Das fördert den Stuhlgang. Mit anderen Worten: lösliche Ballaststoffe sind am besten geeignet, wenn Durchfall dein größtes Problem ist. Unlösliche Ballaststoffe können nicht vollständig verdaut werden, und das ist auch gut so, denn sie machen den Stuhl fester und helfen, Verstopfung zu vermeiden. Sie finden sie in Gemüse, Weizenkleie und Vollkornprodukten. Unlösliche Ballaststoffe können nicht vollständig verdaut werden, und das ist auch gut so, denn sie machen den Stuhl fester und helfen, Verstopfung zu vermeiden. Sie finden sich in Gemüse, Weizenkleie und Vollkornprodukten.
Du kannst auch rezeptfreie Ergänzungsprodukte wie Metamucil mit Flohsamenschalen kaufen, was zu etwa 70 Prozent aus löslichen, aber auch aus unlöslichen Ballaststoffen besteht.
Wundermittel: Flohsamenschalen
„Es gibt eine Form der Ballaststoffe, bei der es egal ist, ob man eher zu Durchfall oder zu Verstopfung neigt, und die sind in Flohsamenschalen enthalten“, fügt Jaffe hinzu. „Was ich an Flohsamenschalen so liebe ist die Tatsache, dass es eine Menge Untersuchungen gibt, die gezeigt haben, dass sie vor allem bei Verstopfung gut sind. Aber es gibt auch Beweise dafür, dass sie sowohl bei Durchfall, als auch bei Verstopfung wirken, je nachdem, wie grob die Samen sind. Wenn wir die Flohsamenschalen zu einem sehr feinen Pulver mahlen, sind sie besser für Durchfall geeignet. Wenn sie grobkörniger sind, sind sie besser für Verstopfung.“
Wenn du aus irgendeinem Grund kein Fan von Metamucil bist, oder dein Bauch nach einem anderen Ballaststoff-Präparat verlangt, gibt es eine Vielzahl an anderen Optionen auf dem Markt.
Jaffes wichtigster Ratschlag bei der Einführung eines neuen Ballaststoffpräparats zur Ernährung lautet: langsam beginnen. Manche Menschen glauben, dass sie es nicht vertragen, weil es zu Blähungen und Völlegefühl führen kann, wenn man mit der vollen Dosis anfängt. Daher sollte man sich langsam herantasten.
„Es gibt noch viel mehr, das wir über Ballaststoffe lernen müssen. Aber es gibt viele Ballaststoffe, die wirklich nützlich für eine gesunde Verdauung sind, und zwar auf eine Weise, die nicht zu teuer ist und für die es solide Beweise gibt“, sagt Staller. „Ich denke, Ballaststoffe sind ein vernachlässigter Tiktok-Star. Sie müssen wirklich die Runde auf Tiktok machen.“
Autorin ist Loren Cecil. Der Artikel erschien am 29. April 2022 auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Lea Samira Maier.