Expertin erklärt, wie gefährlich Dating-Coaches auf TikTok sein können

Dating-Coaches auf TikTok geben Männern Tipps in Sachen Frauen und Beziehung. Dabei verbreiten und begünstigen sie vor allem Sexismus.
Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung, Antisemitismus und Rassismus.
Bist du in einer Situationship, in einer Freundschaft+ oder doch lieber single? In Zeiten von Tinder, Bumble, Hinge und Co. ist Dating komplizierter denn je. Dating-Coaches auf TikTok wollen Licht ins Dunkel bringen, doch verbreiten dabei sexistische Stereotypen. Ihre Tipps richten sich vor allem an Männer, die gerade eher Pech in der Liebe haben. Aber auch für Frauen haben sie einige Weisheiten bereit, sie sollen zum Beispiel dem Mann die Kontrolle übergeben, sich nicht zu freizügig anziehen und auch nicht in den Club gehen.
Manche Männer sind überzeugt, dass vor allem sie beim Daten benachteiligt werden. Aus einer US-amerikanischen Studie geht hervor, dass Männer heutzutage durchschnittlich weniger Sex haben. Außerdem sind sie eine der einsamsten Gruppen der Gesellschaft, wie eine Studie aus dem Jahr 2021 zeigt. Warum ist das so? Es liegt vor allem daran, dass Frauen heutzutage wählerischer sind, beziehungsweise, sein können, erklärt Psychologe Greg Matos bei Psychology Today. Wobei ‚wählerisch’ bedeutet, dass sie sich einen Partner wünschen, der emotional intelligent ist, gut kommunizieren kann und die gleichen Werte teilt.
Die Wissenschaft unterscheidet zwischen Pick-up Artists und Dating-Coaches
Dating-Coaches auf TikTok sind allerdings überzeugt, dass mangelnder Erfolg beim Dating daran liegt, dass Männer heutzutage verweichlicht und nicht mehr männlich genug sind. Frauen, auf der anderen Seite, werden ihrer Meinung nach zu männlich. Trotzdem kann man nicht alle Dating-Coaches über einen Kamm scheren, erklärt die Soziologin Lea Stahel von der Universität Zürich, wo sie unter anderem zum Hate Speech forscht: „In der Forschung wird unterschieden, auf der einen Seite stehen die sogenannten Pick-up Artists, auf der anderen Seite tatsächliche Dating-Coaches, bei denen es vor allem um längerfristige Beziehungen geht.“
Zwar geben einige Dating-Coaches auf TikTok auch Tipps für feste Beziehungen, doch in ihren Ansichten und Methoden ähneln sie doch mehr Pick-up Artists. Deren Hauptziele sind es, so Stahel, „einerseits, mit so vielen attraktiven Frauen wie möglich Sex zu haben und andererseits ihr Selbst in Richtung Selbstoptimierung zu transformieren“.
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Dating-Coaches auf TikTok: Tipps, Tricks und Sexismus
Das Rollenbild der Dating-Coaches auf TikTok ist klar definiert: Der Mann steht über der Frau. Das erklärt auch Stahel: „Der Mann soll in seinen Handlungen aktiv sein, die Frau passiv.“ Alle Tipps und Anweisungen der Dating-Coaches bauen auf diesem ungleichen Geschlechterverständnis auf. Männer sollen sich also immer dominant und bestimmt verhalten, damit Frauen sie auch als ‚echte Männer‘ wahrnehmen. Außerdem müsse man(n), so erklären die Dating-Coaches, stets am eigenen Erfolg arbeiten, denn Frauen würden sich ihren Partner danach aussuchen, wie erfolgreich und attraktiv er sei. Frauen, die dem Ganzen widersprechen, werden entweder beleidigt oder als verbitterte Feministinnen abgetan.
In der Sprache der Dating-Coaches und Pick-up Artists wird vor allem eines deutlich: Gefühle haben hier keinen Platz. Sie drücken sich besonders rational aus und „stützen sich auf soziobiologische und evolutionspsychologische Theorien“, so Stahel. Solche Theorien, wie zum Beispiel das sogenannte „mate choice copying“ – darunter versteht man, dass weibliche Tiere sich für ein Männchen entscheiden, weil dieses bereits von mehreren Weibchen umgeben ist – finden sich tatsächlich in der Natur wieder. Inwieweit sie sich allerdings auf den Menschen und die Gesellschaft übertragen lassen, ist nicht eindeutig klar.
Ihre Tipps präsentieren diese Dating-Coaches meist als Fakten und verallgemeinern dabei das Verhalten von Männern und Frauen. In einem seiner Videos erklärt @DatingcoachMark zum Beispiel, dass alle „Frauen Aufmerksamkeit und Männer vor allem Respekt wollen.“ Habe man diese „Erkenntnis“ verinnerlicht, sei die Partnersuche kein Problem. TikToker @coach_romeo110 ist sich derweil sicher, dass Männer, die auf „sel[b]stbewusste Feministinnen stehen“, noch an ihrer Mutter hängen und „selber nichts können“.
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Wie die Sprache von Dating-Coaches unsere Gesellschaft beeinflusst
Es ist vor allem ihre Ausdrucksweise, die Dating Coaches auf TikTok so problematisch macht, denn so verbreiten sie ihre Ansichten unter ihren vor allem männlichen Zuschauern. Dass Sprache, Gedanken und Wirklichkeit einander beeinflussen, ist wissenschaftlich erwiesen. In ihrem Buch „Gender – Sprache – Wirklichkeit“ schreibt Hilke Elsen, Linguistin an der Ludwig-Maximilian-Universität München „Sprache wirkt auf das Denken und unsere Sicht auf die Welt. Dadurch konstruiert sie die Wirklichkeit mit.“ Dating-Coaches auf TikTok schaffen mit ihren sexistischen Aussagen also eine Handlungsgrundlage für Misogynie.
Durch ihre ständige verbale Abwertung von Frauen wird sexistisches Gedankengut am Leben erhalten und unter Leute gebracht. Hierbei spielen besonders Likes und positive Kommentare eine Rolle, erklärt Stahel: „Ein Risiko stellt vor allem die Anerkennung dar, die diese Pick-up Artists bekommen.“ Durch das positive Feedback fühlen sich auf der einen Seite die Männer selbst in ihrer Meinung bestätigt, auf der anderen Seite sehen andere, dass sie durch dieses Verhalten soziale Anerkennung erhalten. Es funktioniert allerdings auch andersherum, so Stahel, „negative Kommentare haben einen Einfluss auf die Zuschauer:innen und sorgen dafür, dass sie den Pick-up Artists kritischer gegenüber stehen.“
Auch deshalb ist es wichtig, diese Männer zu kritisieren, denn in all ihren Videos werden Frauen erniedrigt. Zum Beispiel seien nur unattraktive Frauen Feministinnen, weil nur solche es ja nötig hätten, da ist sich zumindest @DatingcoachMarc sicher. Doch solche Aussagen sind nur die Spitze des misogynen Eisbergs. Der Sexismus dieser Männer ist tief in ihrer Sprache und in ihrem Weltverständnis verankert. Dating-Coaches und Pick-up Artists sehen Frauen nicht als Individuum, sondern als Objekt und „Mittel zum Zweck“, erklärt Stahel. Einige gehen sogar noch weiter und sehen es als ihr Recht an, mit Frauen zu schlafen. Diese Objektivierung führt zur Abwertung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, welche laut Stahel „am Anfang eines Radikalisierungsprozesses stehen“ und „im Extremfall in Gewalt enden“ kann.
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Wieso sind Dating-Coaches auf TikTok trotzdem erfolgreich?
Besonders anfällig für diese Ideologie und für so eine Radikalisierung sind „junge Männer bis etwa 30, die oft persönliche Probleme haben und sich somit schlecht in ein soziales Umfeld einfügen können“, erklärt Stahel. Außerdem hätten sie, so die Wissenschaftlerin, häufig Probleme mit ihrer psychischen Gesundheit und in der Familie. Solchen unsicheren, oft einsamen und orientierungslosen Männern, helfen die „klaren Muster und Regeln der Pick-up Artists“, so die Wissenschaftlerin.
Woher kommt diese Orientierungslosigkeit? Mit der fortschreitenden Gleichberechtigung von Männern und Frauen kann es sein, so erklärt Stahel, dass „[sie] bei der Interaktion mit Frauen überfordert sind, weil sie ihnen zu komplex erscheint.“ Dabei ist es gar nicht so kompliziert, wie Greg Matos erklärt: In allererster Linie geht es um Respekt. Männer müssten in Sachen gesunde Beziehung einiges aufholen. Das liegt laut Matos vor allem daran, dass Jungen in ihrer Kindheit nicht lernen, richtig mit ihren Emotionen umzugehen. Das Pochen auf Rationalität und Emotionslosigkeit der Dating-Coaches ist also mehr als kontraproduktiv.
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Wie Dating-Coaches auf TikTok anderen Männern schaden
Was macht einen Mann zu einem Mann? Laut diesen Dating-Coaches ist ein richtiger Mann natürlich hetero und cis, dominant, erfolgreich – im Beruf und bei Frauen – selbstbewusst und rational. Jeder, der von diesem Idealbild abweicht, gilt sofort als verweichlicht und feminin. Und ist offensichtlich auch kein richtiger Mann mehr. Für einige Dating-Coaches und Pick-up Artists ist sogar eine Beziehung unmännlich, es geht ja schließlich um Gefühle. „Männer in der Pick-up Artist Szene objektivieren sich selbst und andere Männer“, erklärt Stahel.
Besonders das Unterdrücken der eigenen Emotionen ist schädlich. Laut der Bundesagentur für gesundheitlichen Aufklärung (BZgA) werden bei Frauen zwar häufiger Depressionen diagnostiziert, „doch rund drei Viertel aller vollendeten Suizide entfallen auf Männer“. Das, so die BZgA, liege vor allem an einer geringeren Bereitschaft, Hilfsangebote anzunehmen. Dafür machen mehrere Studien, unter anderem im American Journal of Men‘s Health und PLOS ONE, Geschlechterstereotypen verantwortlich, die Männer häufig davon abhalten, sich Hilfe zu holen, da sie nicht schwach oder verletzlich wirken wollen. Doch genau dieses Männerbild verbreiten viele Dating-Coaches auf TikTok.
Es ist ein Teufelskreis: Jungen lernen, dass sie am besten keine Emotionen zeigen, was dazu führt, dass sie als Erwachsene ein Defizit, wie Matos sagt, haben, wenn es um (gesunde) Beziehungen geht. Einige von ihnen suchen sich Hilfe bei selbsternannten Dating-Coaches, die sie jedoch noch weiter in die toxische Männlichkeit schieben. Der sogenannte Echo-Kammer-Effekt, erklärt Stahel, sorge dafür, dass sich Männer weiter radikalisieren können, weil sie nur noch die eigene Meinung hören. „Auch der Community-Aspekt ist wichtig: Die Community bietet eine Ideologie, eine gemeinsame Sprache, ein Angebot an Identität und eine eigene Kultur“, so die Wissenschaftlerin.

Pick-up Artists, Incels und die Manosphäre: Eine ganz andere Welt
In der Wissenschaft werden Pick-up Artists der sogenannten Manosphäre zugeordnet, einem weltweiten, losen antifeministischem Netzwerk aus Websiten, Blogs und Foren. Auch einige Dating-Coaches auf TikTok sind Teil der Szene, die es seit Ende der 2000er gibt. Die Männer in der Manosphäre sehen sich „als Opfer von Frauen und Feminismus“, erklärt Stahel. Eben weil sie so ein veraltetes Rollenbild haben, ist das Streben nach Gleichberechtigung für sie völlig unverständlich.
Nicht alle Männer in der Szene haben die gleichen Motive oder die gleiche Einstellung: Da gibt es die bereits erwähnten Pick-up Artist, denen es vor allem um Selbstoptimierung, Status und Sex mit möglichst vielen attraktiven Frauen geht oder die Incels (involuntary celibate, dt.: unfreiwillig im Zölibat lebend), die es als ihr „Recht ansehen, eine Frau zu ‚besitzen‘“, so Stahel.
Allerdings ist nicht nur Sexismus in den Foren der Incels alltäglich: auch Antisemitismus und Rassismus sind an der Tagesordnung. In einem Post vom 15. März 2023 schreibt ein User im größten, englischsprachigen Incel-Forum über Schwarze Männer, die jüdische Frauen daten: „Das ist die einzige Rassenmischung, die ich gut finde. Nichts würde mich glücklicher machen, als die Zerstörung aller jüdischen Genpools.“ Unter seinem Usernamen steht außerdem „vernichtet alle nicht-weißen Menschen“.

Geht von der Manosphäre eine Gefahr für weiblich gelesene Personen aus?
Da die Manosphäre sich mehr oder weniger über die ganze Welt erstreckt, sei das Gefahrenpotenzial schwer einzuschätzen, erklärt Stahel. Wie viele Männer tatsächlich in einzelnen Ländern der Manosphäre zugeordnet werden können, lässt sich kaum feststellen, da in der Szene größtenteils auf Englisch kommuniziert wird. „Zur Gleichberechtigung tragen sie sicher nicht bei“, so Stahel, schließlich klammert sich die Szene an ein veraltetes Rollenbild. Gerade die damit einhergehende Abwertung von Frauen ist es, die gefährlich werden kann: „Einzelne Pick-up Artists werden dafür kritisiert, dass sie Strategien anbieten, um Frauen faktisch zu vergewaltigen“, so die Wissenschaftlerin. Da viele in der Szene überzeugt sind, dass Frauen ihnen Sex ‚schulden’, besteht stets die Gefahr, dass sie weiblich gelesene Personen belästigen oder im schlimmsten Fall sogar vergewaltigen.
Manche gehen noch weiter: Im Oktober 2022 gab laut ABC News ein Mann, der sich selbst als ‚Incel’ bezeichnet, zu, dass er eine Massenschießerei geplant hatte. Er wollte an der Universität von Ohio Frauen erschießen. Etwa ein Jahr früher, im August 2021, erschoss der 22-jährige Jake Davison in Plymouth, England, fünf Menschen und sich selbst. Auch er soll laut Belltower News Teil der Manosphäre gewesen sein. In der Community werden solche Männer als Märtyrer gefeiert, wie zum Beispiel Elliot Rodger, der 2018 in Kalifornien, USA, mehrere Menschen erschossen beziehungsweise erstochen hatte, wie BBC berichtet. In seinem Manifest erklärte der 22-Jährige, dass er mit seinem Attentat „Vergeltung“ üben wolle, dass er „keine andere Wahl“ habe, als sich „an der Gesellschaft zu rächen“, die ihm Sex und Liebe „verweigert“ hätte.
Die Bundesregierung antwortet auf eine kleine Anfrage der Linken im Februar 2022, dass die Incel-Subkultur „ideologische Anknüpfungspunkte an den Rechtsextremismus [aufweist].“ Trotzdem schätze man den Einfluss der Szene im deutschsprachigen Raum als „begrenzt“ ein. Eine Gefahr sieht die Bundesregierung bei „irrational handelnde[n] Einzeltätern [...], deren potenzielle Handlungen sich einer polizeilichen Prognostizierbarkeit entziehen“. Diese Einschätzung scheint in Anbetracht einer globalen, dezentralisierten Szene, die sich eben vor allem im Internet organisiert, etwas kurzsichtig. Gerade weil die Community kaum greifbar ist, ist es wichtig, das Problem bei der Wurzel zu packen und die Gleichberechtigung weiter voranzutreiben, damit das veraltete Rollenbild der Manosphäre ausstirbt, denn, wie Stahel erklärt: „Eine Radikalisierung von Pick-up Artist zu Incel ist möglich. Auch innerhalb der Incel-Community können sich Männer weiter radikalisieren, von Hatespeech im Internet bis hin zu Attentaten.“