Dating-Gefahr für queere Männer? Ein Datenexperte warnt vor Naivität bei Grindr und Co.

Auf Dating-Apps wie Grindr lauern Gefahren, die viele erst bemerken, wenn es schon zu spät ist. Ein Datenexperte erklärt, worauf ihr achten solltet.
Die baskische Polizei fahndete in den vergangenen Tage in ganz Spanien nach einem Serienmörder, der im Jahr 2021 mutmaßlich mehr als acht schwule Männer über die Dating-App Grindr kennengelernt und anschließend ermordet haben soll. Inzwischen hat sich ein 25-Jähriger gestellt. Die Methode gleicht dabei sehr der Herangehensweise früherer queerer Verbrechensserien aus Berlin und London – immer wieder wurden queere Männer zu Hause mit K.-o.-Tropfen betäubt und anschließend ermordet. Danach räumte der jeweilige Täter:innen die Wohnung und das Bankkonto leer.
Im Mittelpunkt dieser Delikte steht zumeist in der LGBTQIA+-Community der App-Dienst Grindr – der Anbieter ist mit 27 Millionen Nutzer:innen in mehr als 190 Ländern die weltweit meistgenutzte Dating-App für queere Männer. Doch wie gefährlich sind Dating-Anbieter gerade für queere Menschen?
IT-Fachmann: Warnsignale werden bei Grindr und Co. gern mal beiseite geschoben
Der Berliner IT-Fachmann Christian Nolle berät Unternehmen und Vereine mit Schwerpunkt LGBTQIA+. Seine Einschätzung gegenüber Buzzfeed News Deutschland: „Grundsätzlich gibt es beim Online-Dating immer ein Risiko für alle Beteiligten, allerdings ist die LGBTQIA+-Community schon eine besonders vulnerable Gruppe. Das Internet ist für viele, gerade auch junge und noch ungeoutete Queers ein Safe Space und dementsprechend naiv wird in diesem vermeintlichen Schutzraum auch manchmal agiert.“ Oftmals würden queere Männer auch erotische Kontakte suchen und dabei Warnsignale und Vernunft leichtfertig zur Seite schieben.
„Da werden oft im Eifer des Gefechts sehr schnell sehr intime Daten preisgegeben. Adressen, E-Mails, Telefonnummern. Für Kriminelle ist das natürlich eine wunderbare Spielwiese. Manche sind inzwischen richtige Expert:innen dabei geworden, ihr Gegenüber mit ein paar freizügigen Bildern anzuheizen und ihnen so nebenbei Informationen zu entlocken. Ich erlebe zum Beispiel immer wieder, dass Queers freudig über ihren nächsten Urlaub plaudern, nachdem sie kurz zuvor bereits ihre Anschrift herausgerückt haben. Für Einbrecher ist das perfekt“, so Nolle. Gerade bei Grindr ist dies ein Problem, denn über die App lassen sich Aufenthaltsorte sehr konkret lokalisieren.
„In der Gay-Community macht man sich ja gerne nackt – inklusive des Versands von Dick-Pics. Wenn beide Parteien das wollen, ist dagegen grundsätzlich natürlich nichts einzuwenden. Die Frage ist nur: Willst du nackt oder komplett gläsern sein? Je mehr Daten du bereitstellst, desto klarer wird dein Profil, desto leichter gibt es Möglichkeiten, dir zu schaden. Das sollte man sich bei aller Lust und bei allen romantischen Gefühlen immer bewusst sein“, warnt Nolle.
Auch Unternehmen sammeln Daten bei Grindr und Co.
Nebst Kriminellen selbst sammeln auch die Unternehmen Daten. Da hilft es auch nichts, im selbst angelegten Profil dann den AGBs „offiziell“ zu widersprechen, wie das bei Planetromeo manche Nutzer:innen machen. „Das ist an Naivität nicht mehr zu überbieten. Ich lege ein Profil an und muss dabei den AGBs zustimmen. Danach im Profiltext das abzulehnen, zeugt nur von einer grundsätzlich fehlenden Medienkompetenz.“ Gerade Grindr sorgte in den vergangenen Jahren mehrfach für Schlagzeilen, weil das Unternehmen intime Nutzer:innendaten von der sexuellen Orientierung bis zum HIV-Status der User:innen an externe Software- und Werbefirmen weitergegeben haben soll.
Gerade für LGBTQIA+-Menschen sei es sinnvoll, nur solche Bilder zu verschicken, die nichts über den Wohnort verraten, beispielsweise Schnappschüsse aus dem Urlaub. Nacktbilder sollten nur ohne Gesicht geteilt werden. Beim Dating – egal ob für ein schnelles Abenteuer oder eine beginnende Romanze – rät Nolle ebenso zu Vorsichtsmaßnahmen: „Soll das Treffen bei mir stattfinden, verabredet man einen Treffpunkt in der Nähe. Dort lässt sich persönlich abchecken, ob ich die andere Person für vertrauensvoll halte. Niemals sollte ich meine Adresse und meinen richtigen Nachnamen in Kombination herausgeben.“ Ist das Gegenüber vertrauensvoll, sollten auch zu Hause Vorkehrungen getroffen werden. Wertvolle Dinge wie Uhren oder Schmuck sollten versteckt werden. Auch wenn Drogen in Teilen der LGBTQIA+-Community beliebt sind, sollte man zumindest bei den ersten Dates darauf verzichten.
Auch im Gegenzug sollte man sich absichern: „Mach´ einen Screenshot des Treffpunkts und schicke es einer Vertrauensperson. Bist du vor Ort und irgendetwas ist seltsam, verschwinde schnellstmöglich“, so Nolle. Wer oft digital flirtet, sollte sich ein zweites Smartphone mit einer Prepaid-Karte anschaffen – so bleiben die persönlichen Daten auch bei Weitergabe der Telefonnummer anonym. Weitere Aspekte: Niemals sollten mitgeschickte Dateien geöffnet werden. Auch sollte niemals Geld an den vermeintlichen Traumprinzen überwiesen werden (Romance Scamming).
Auf welche Warnsignale Nutzer:innen von Grindr und Co. achten sollen
Kommen sofort übertriebene Komplimente, ist das Foto des Gegenübers zu perfekt (Google-Rückwärtssuche hilft) und kann er keine weiteren Gesichtsbilder von sich zeigen, fragt er dich aus und will alles ganz genau wissen, will er dich auf eine unseriöse Plattform locken, ist sein Profil unglaubwürdig, sind seine Antworten seltsam oder unpersönlich – Stichwort Bots, du flirtest also mit einem Computer -, geizt dein Gegenüber mit persönlichen Informationen, will er Details über deinen Job wissen, hat das Gegenüber ein ganz neues Profil – allesamt Alarmsignale“, so Nolle.
Der Fachmann rät zum Videocall vor dem ersten Treffen. Zudem sollte man ein Date-Profil nicht mit seinen anderen Profilen bei Instagram oder TikTok vernetzen, bei denen wir persönlichere Daten veröffentlichen. „Wir neigen dazu, glauben zu wollen, weil wir ja aus einem bestimmten Grund online flirten – wir suchen Nähe, Liebe, Lust. Wir wollen dem Gegenüber glauben! Aber wir sollten uns immer auch fragen: Wie komme ich aus der Situation wieder raus, wenn etwas schiefläuft“, so Nolle abschließend. (Autor: JHM Schmucker)