Documenta 15: Antisemitismus-Vorwürfe sind „pure Dämonisierung“, sagt Direktor eines jüdischen Museums

Bei der Documenta 15 stellt eine palästinensische Künstler:innengruppe aus. Dass das zu Antisemitismusvorwürfen führte, findet der Direktor eines jüdischen Museums falsch.
Am kommenden Samstag öffnet die Documenta 15 ihre Tore für Besucher:innen aus aller Welt. Die alle fünf Jahre stattfindende Kunstausstellung gilt neben der Biennale in Venedig als international wichtigste Präsentation von Gegenwartskunst. Hier stellten schon einige der bekanntesten Künstler:innen aus, wie beispielsweise Joseph Beuys, der die Postmoderne in der Kunst einläutete. Die diesjährige Documenta 15 kuratiert die Künstler:innengruppe „Ruangrupa“ aus Indonesien. Weil diese auch palästinensische Künstler:innen eingeladen hatte, wurde ihr Antisemitismus vorgeworfen. Der Direktor des jüdischen Museums Hohenems Hanno Loewy findet das problematisch.
Documenta 15: Palästinensische Künstler:innen des Kollektivs „The question of funding“ stellen aus
Antisemitismusvorwürfe erhob auch der Musiker Gil Ofarim – der Antisemitismusvorwurf sei aber Verleumdung, entschied ein Gericht. An seinem Beispiel wird schnell klar, wie „heiß“ das Thema „Antisemitismus“ in Deutschland ist – und vermutlich auch sein sollte. Denn Deutschland hat aufgrund des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Zeit nun einmal eine besonders große Verantwortung, was Judenhass und Antisemitismus anbelangt. Im Gespräch mit BuzzFeed News AT erzählt Lucia Heilman, Überlebende des NS-Regimes, warum die Deutschen nichts aus der Zeit gelernt haben.
Dass bei der Documenta in Kassel aber palästinensische Künstler:innen des Kollektives „The question of funding“ ausstellen, das habe kaum etwas mit Antisemitismus zu tun, findet Hanno Loewy im Interview mit Deutschlandfunk (DLF) Kultur. Er ist Direktor des jüdischen Museums Hohenems und kann der Diskussion über Rassismus und Antisemitismus bei einer Kunstveranstaltung wenig Positives abgewinnen. „Das Problem ist, dass die Auseinandersetzungen über Antisemitismus und Rassismus miteinander immer mehr ins Gehege geraten, immer mehr zu einem Konflikt um Deutungshoheiten werden“, sagt er im Interview mit dem DLF.
„Ruangrupa“ lädt keine israelischen Künstler:innen zur Documenta ein – ist das rassistisch?
Das Kernproblem in der Diskussion, die momentan bei der Documenta 15 über Rassismus und Antisemitismus geführt werde, sei der unterschiedliche Blick auf Israel und Palästina. Man vergesse häufig, dass beides stimme: Israel sei gleichzeitig ein Zufluchtsort für Juden und Jüdinnen im Nahen Osten und für Palästinenser:innen eine Form von europäischem Kolonialismus, sagt er dem DLF. „Solang man das nicht anerkennt, dass die Perspektive des anderen tatsächlich auch eine legitime Seite besitzt, solang fällt man nur übereinander her, und das erleben wir im Moment.“
Oft werde gesagt, Kritik an Israel sei „Dämonisierung“ und „Delegitimierung“. Aber dasselbe gelte auch für Kritik an den Positionen der Palästinenser. „Israelische Politik ist eben auch ein Versuch, die Interessen und Positionen der Palästinenser:innen zu delegitimieren und zu dämonisieren“, sagt Loewy im Interview mit dem DLF. Manche Vorwürfe gegenüber der palästinensischen Künstler:innengruppe wären so schlicht nicht wahr und damit „pure Dämonisiserung“ gewesen, erklärt er. Auch, dass „Ruangrupa“ keine israelischen Künstler:innen zur Documenta eingeladen habe, sei nicht „per se rassistisch“. Das Problem sei, „dass in einem solchen Konflikt zu jeder Waffe gegriffen wird, zu der man greifen kann.“

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Steinmeier kommentiert „Ruangrupa“ und Documenta 15: „Kunst ist streitfrei nicht zu haben“
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will laut Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in seiner Eröffnungsrede am Samstag die Grenzen der Kunstfreiheit aufzeigen. Das kündigte er am Donnerstag, 16. Juni, während seines Staatsbesuchs in Indonesien an. „Völlig klar ist: Kunst ist streitfrei nicht zu haben. Kunst darf und muss anstößig sein, muss Impulse geben in die Gesellschaft hinein. Kunst muss Dialoge und Diskussionen auslösen“, betonte Steinmeier. Trotzdem würden Debatten, Beiträge und auch Botschaften ihre Grenzen haben. „Über diese Grenzen wird zu sprechen sein“, fuhr er laut dpa fort.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth nahm das Künstler:innenkollektiv Ruangrupa vor Vorwürfen des Antisemitismus in Schutz. „Die Herkunft aus einem bestimmten Land sollte nicht vorab zu Verdächtigungen führen, möglicherweise antisemitisch zu sein“, sagte die Grünen-Politikerin nach dpa-Informationen in Berlin mit Blick auf die Documenta. Indonesien sei eines der Länder, die keine diplomatischen Beziehungen zu Israel haben. „Das kann ich schlecht finden. Aber es kann nicht heißen, dass ein:e Künstler:in oder Kollektiv aus Indonesien deshalb per se verdächtig ist.“
Mehr zum Thema Antisemtismus in Verschwörungstheorien: Hier berichten wir über Xaiver Naidoos Erklärung, sich in Verschwörungstheorien verrannt zu haben.