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Meinungsfreiheit auf Twitter „gilt nur so lange, bis es Musk betrifft“, warnt Reporter ohne Grenzen

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Von: Jana Stäbener

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Selbst wenn Musk als Twitter-Chef zurücktreten sollte, sieht es für die Meinungs- und Pressefreiheit dort nicht gut aus, warnt Reporter ohne Grenzen.

Bei Twitter gab es in den vergangenen Monaten einiges an Drama, das wir in einem Twitter-Ticker gesammelt haben. Seit Elon Musk den Kurznachrichtendienst übernommen hat, führte er einige Änderungen durch. Blaue Haken gibt es für Geld zu kaufen, Donald Trump ist zurück und der Account @ElonJet, der Elon Musks Privatjet trackte, wurde gesperrt.

Kurz darauf sperrte Elon Musk auch die Accounts von mehreren Journalist:innen, die über den Privatjet berichteten. Das war ein „herber Schlag“, sagt Juliane Matthey, eine Sprecherin und USA-Expertin bei Reporter ohne Grenzen im Gespräch mit BuzzFeed News DE. Sie gibt uns eine Einschätzung, warum es vielleicht wirklich besser ist, wenn Elon Musk jetzt zumindest als Firmenchef von Twitter zurücktritt.

Pressefreiheit auf Twitter: Elon Musk sperrte Accounts von Journalist:innen

Am Donnerstagabend, 15. Dezember 2022, sperrte Musk mehrere Journalist:innen-Accounts. Der Vorwurf laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) „Doxxing“, also die Weitergabe von persönlichen Dokumenten einer Person, einschließlich Informationen wie ihrer Adresse. „Sie haben meinen exakten Echtzeit-Standort gepostet, im Grunde die Koordinaten für ein Attentat“, schrieb Musk, nannte jedoch keine Details oder Beweise.

Viele Stimmen warfen Twitter-Chef Musk daraufhin vor, Pressefreiheit zu unterbinden. Ein paar Tage später waren die Konten der meisten Journalisten, die von der Plattform suspendiert worden waren, wiederhergestellt, berichteten unsere Kolleg:innen von BuzzFeed News US. Linette Lopez von Business Insider, die Untersuchungen über Musks Elektroautofirma Tesla verfasst hat, und der frühere MSNBC-Moderator Keith Olbermann blieben jedoch suspendiert.

Elon Musk tritt als Twitter-Chef zurück – schwindet deswegen sein Einfluss?

Wie die dpa berichtet, steht der Unternehmer Musk jetzt kurz vor dem Rücktritt als Chef von Twitter. In einer vom 51-Jährigen selbst eingeleiteten Twitter-Umfrage sprach sich die Mehrheit am Montag, 19. Dezember, für diesen Schritt aus. Von den 17,5 Millionen abgegebenen Stimmen waren 57,5 Prozent für den Rücktritt und 42,5 Prozent dagegen. Zuvor hatte Musk versichert, sich an das Ergebnis des Votums zu halten.

Als Mehrheitseigentümer wird Musk aber auch künftig Einfluss auf den weltweit wichtigsten Kurznachrichtendienst haben, so die dpa. Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen sieht Musks Abstimmung kritisch: „Anstatt auf solche willkürlichen Abstimmungen, deren Ausgang ebenso unvorhersehbar ist wie deren Umsetzung, sollten wir den Blick darauf lenken, dass die zahlreichen Kündigungen des Fachpersonals die schon vorhandenen Probleme auf der Plattform massiv verstärkt haben.“

Twitter habe sich stark verändert – egal ob Musk als CEO zurücktrete oder nicht. Seit seiner Übernahme wird die App Hive als Twitter-Alternative gehandelt, obwohl auch sie problematisch ist. Außerdem meldeten sich auch viele deutsche Promis wie Jan Böhmermann bei Mastodon an. Matthey wundert das nicht. Sie ist bei Reporter ohne Grenzen als Sprecherin für die USA zuständig und beobachtet die Auswirkungen von Twitter auf die Pressefreiheit seit Längerem.

„Für den demokratischen Diskurs ist das, was bei Twitter passiert, eine große Gefahr“ 

Normalerweise seien soziale Medien etwas sehr Positives, weil sie gerade in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit der einzige Weg seien, sich unabhängig zu informieren. „Wenn auf sie, wie bei Twitter momentan, so stark eingegriffen wird, ist das schon ein herber Schlag.“ Vor allem, weil es um die Pressefreiheit schlechter nicht stehen könnte.

Das zeigt die aktuelle Jahresbilanz von Reporter ohne Grenzen, nach der 533 Journalist:innen, also mehr als je zuvor, inhaftiert sind. Wenn das Leben und die eigene Freiheit bedroht werde, so beispielsweise im Iran, wo Menschen gegen das Regime protestieren, sei das sicher noch einmal eine andere Kategorie, sagt Matthey. „Für den demokratischen Diskurs in einer offenen Gesellschaft ist das, was bei Twitter passiert, jedoch eine große Gefahr.“ 

Elon Musk sperrte Journalist:innen, reaktivierte ihre Accounts und will jetzt als Twitter-Chef zurücktreten. Er „verhält sich sehr unvorhersehbar“, sagt eine Sprecherin von „Reporter ohne Grenzen“.
Elon Musk sperrte Journalist:innen, reaktivierte ihre Accounts und will jetzt als Twitter-Chef zurücktreten. Er „verhält sich sehr unvorhersehbar“, sagt eine Sprecherin von Reporter ohne Grenzen. © Adrien Fillon/dpa

„Elon Musk verhält sich sehr unvorhersehbar“

„Es braucht klare, nachvollziehbare Standards, wann ein Konto gesperrt oder ein Tweet gelöscht wird“, sagt Matthey. Dass es die aber nicht gebe, egal wer auf dem Chefposten sitzt, sei gefährlich, denn so regiere auf Twitter die Willkür. „Elon Musk verhält sich sehr unvorhersehbar. Innerhalb von 24 Stunden kann er komplett das Gegenteil von dem tun, was er angekündigt hat.“ Auch die Ansage, dass er nun zurücktrete, muss man deswegen vielleicht mit Skepsis betrachten.

„Elon Musk betonte ja immer wieder, wie wichtig ihm absolute Meinungsfreiheit ist. Dass er Journalist:innen-Accounts sperren ließ, zeigt: Das gilt nur so lange, bis es ihn betrifft“, mahnt die Sprecherin von Reporter ohne Grenzen. „Einerseits unterdrückt er also Meinungen, die ihn kritisieren, will aber andererseits keinerlei problematische Inhalte moderieren.“ Das sei ein weiteres Problem, denn auch Hetze auf Twitter sei eine Gefahr für die Pressefreiheit.

[Anm. der Red.: Pressefreiheit ist, wenn Medien ihre Meinung unabhängig von Staat und anderen Institutionen sagen dürfen. Meinungsfreiheit ist das Recht jedes Einzelnen auf freie Meinungsäußerung. Reporter ohne Grenzen beschäftigt sich hauptsächlich mit der Pressefreiheit, Meinungsfreiheit zählt jedoch am Rande darauf ein.]

Als er Twitter übernahm, warnte Elon Musk die Twitter-Belegschaft: Seid bereit für „hardcore“ oder geht.

Pressefreiheit auf Twitter: „In den USA muss man sich ernsthaft Gedanken machen“

„In den USA muss man sich ernsthaft Gedanken machen“, sagt Matthey. Sie kann sich gut vorstellen, dass bei Twitter nicht zum letzten Mal Journalist:innen gesperrt wurden. Auch weil Twitter viel Personal einspare, sehe sie diese Gefahr jedoch nicht in Deutschland, das da eher „unter dem Radar läuft“. In der Europäischen Union sorge außerdem bald der Digital Services Act dafür, dass sich Netzwerke wie Twitter sich an gewisse Standards halten müssten.

Trotzdem: „Für Journalisten ist es schwerer, guten Gewissens mit Twitter zu arbeiten.“ Denn bei Twitter werde nun an den Algorithmen herumgespielt, ohne offenzulegen wie, Haken seien jetzt für Geld käuflich und all das trage dazu bei, dass man Twitter nicht mehr richtig trauen könne. „Schon vor der Übernahme durch Musk war der blaue Haken keine Garantie für verlässliche Inhalte, aber mittlerweile ist er nahezu bedeutungslos geworden.“

„Das Vertrauen in etablierte Medien könnte noch weiter schwinden, wenn selbst die Nutzer:innen, die sich Mühe geben, nicht erkennen, was Fake News sind und was nicht“, gibt Matthey zu bedenken. Und auch für Journalist:innen und Medien, die mit der Plattform Klicks machen, sehe es nicht gut aus. „Man kann ja nicht wissen, ob man noch kritische Dinge über Musk posten darf oder ob der Algorithmus dann die eigene Reichweite drosselt.“

Mehr zu Elon Musk? Musk kassiert Shitstorm für Ukraine-Friedensplan auf Twitter -„komplett einen an der Waffel“.

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