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Erste queere Kita in Berlin geplant – „da wird genau angeschaut, was wir machen“

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Von: Michael Schmucker

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Junge schaut hoch. Im Hintergrund spielt ein kleines Mädchen und sitzt eine Frau.
Im Frühjahr 2023 eröffnet die deutschlandweit erste queere Kita in Berlin. (Symbolbild) © Mareen Fischinger/Westend61/Imago

Schon vor der Eröffnung 2023 demonstrieren Kritiker:innen in Berlin gegen die erste queere Kita. Bei Eltern kommt das Konzept gut an, auch wenn im Vorfeld alte Klischees hochkamen.

Im Frühjahr 2023 eröffnet die deutschlandweit erste queere Kita in Berlin und sorgt bereits vorab immer wieder für Schlagzeilen. Dabei muss zu Beginn gleich einmal festgehalten werden, dass der Begriff „queere Kita“ an sich schon falsch ist, denn was genau soll das eigentlich sein? Die Betreibergesellschaft Schwulenberatung Berlin hat selbst so auch nie von einer queeren Kita gesprochen.

Geboren wurde die Idee im Jahr 2014 unter dem Namen „Lebensort Vielfalt“ – am Südkreuz in Berlin entstand in den letzten Jahren ein Großprojekt mit 69 Wohnungen für LGBTQIA+-Menschen, je nach Bedarf inklusive Betreuung. Daneben wird es eine Tagesstätte für Erwachsene mit psychischer Beeinträchtigung und eine Kindertagesstätte (Kita) mit zwei Gruppen für insgesamt 93 Kinder geben – 70 Vorreservierungen gibt es bereits, ein Drittel davon kommt aus Regenbogen-Familien, die restlichen zwei Drittel ganz klassisch von heterosexuellen Eltern.

Was bedeutet queere Kita?

Aber was ist denn nun dann so queer an der queeren Kita, weswegen sie immer wieder für Schlagzeilen sorgte? „Wir wollen queere Lebensweise sichtbarer machen, das bedeutet, ein Großteil des Personals ist LGBTQIA+ und wir werden bei der Auswahl von pädagogischem Material darauf achten, dass auch queeres Leben präsent ist, nicht nur, aber auch. Ansonsten unterscheidet sich unsere Kita nicht von jeder anderen“, sagt Geschäftsführer Marcel de Groot gegenüber BuzzFeed News von Ippen.Media.

Darüber lässt sich als vernünftiger Mensch schwer aufregen, weswegen es für Mitglieder:innen der AfD Jugend sehr gelegen kam, dass seit über zehn Jahren im Vorstand des übergeordneten Trägervereins namens Psychosoziales Zentrum für Schwule bis vor kurzem auch der Soziologe und Autor Rüdiger Lautmann saß. Lautmann sieht sich aufgrund mehrerer Publikationen („Die Lust am Kind. Portrait des Pädophilen“) immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, Pädophilie zu verharmlosen. Er selbst bestreitet die Vorwürfe, trat aber aufgrund des öffentlichen medialen Drucks schlussendlich vom Vorstand des Trägervereins zurück.

Dabei muss deutlich gesagt werden, dass Lautmann selbst zu keinem Zeitpunkt Einfluss auf die Kita oder beispielsweise das pädagogische Material gehabt hätte. De Groot gesteht allerdings trotzdem ein: „Ich würde jetzt im Nachhinein sagen, wir müssen unsere eigene Rolle selbstkritisch reflektieren. Wir müssen uns fragen, ob wir die Rolle des externen Vorstands Rüdiger Lautmann anders hätten beurteilen sollen.“

Alte Klischees „alle schwulen Männer seien Kinderschänder“ kommen wieder hoch

Die Kritiker:innen versuchten trotzdem auf einer Demonstration vor wenigen Tagen, die neue Einrichtung als „Pädo-Kita“ zu verunglimpfen. Gelungen ist ihnen dies glücklicherweise nicht, eine überwältigende Mehrheit von Gegendemonstrant:innen solidarisierte sich mit Transparenten wie „Lieber Vielfalt statt Einfalt“ für das Projekt. Auch die Nachbar:innen sprachen sich klar dafür aus.

„Die Verbindung der Worte ‚Pädo‘ und ‚Kita‘ hat bei einigen trotzdem sofort für Aufregung gesorgt, ohne, dass diese wirklich etwas über unsere Kita oder das Konzept dahinter wissen. Da sind viele alte Vorurteile hochgekommen“, sagt de Groot, der sich zwischenzeitlich auch mit alten Klischees konfrontiert sah: „Wir merken an Kommentaren, die wir bekommen haben, dass Homosexualität und Pädophilie immer noch schnell gleichgesetzt werden, sprich, das alte Klischee wieder hochkommt, alle schwulen Männer seien Kinderschänder.“

Bis zur Eröffnung der queeren Kita in Berlin muss Aufklärungsarbeit geleistet werden

Bis zur geplanten Eröffnung der Kita im April oder Mai 2023 wird eine Aufgabe des Teams nun darin bestehen, Aufklärungsarbeit zu leisten, denn die Regenbogen-Kita ist ein Projekt mit Vorbild-Charakter. „Ich denke, wir müssen die Menschen einladen und sagen, schaut euch die Kita selbst an, bildet euch selbst eine Meinung darüber. Wir müssen darüber aufklären und informieren, worum es bei diesem Projekt wirklich geht.“ Dabei lassen sich viele Vorurteile bereits durch Fakten schnell entkräften. De Groot: „Die absurde Kritik der Frühsexualisierung kann man direkt außer Kraft setzen. Unser Konzept musste wie alle anderen Kita Konzepte auch vom Land Berlin abgesegnet werden. Da wird genau angeschaut, was wir hier machen.“

Wer heute immer noch glaubt, man könne Kindern Homosexualität irgendwie „anerziehen“, sollte sich die Frage stellen, wie in Deutschland rund sieben Prozent der Bundesbürger queer geworden sind bei einem bis heute rein heterosexuell geprägten Kindererziehungskonzept. Die Anfragen jedenfalls häufen sich bereits bei der Schwulenberatung Berlin, viele Elternbeiräte, Jugendeinrichtungen und Schulen wollen wissen, wie das Projekt genau umgesetzt wird.

Wir wollen mit der Kita die Diskussionen deutschlandweit anregen und verdeutlichen, dass wir ein Teil der Gesellschaft sind. Diese Diskussion ist wichtig, wenn wir auf die nach wie vor hohen Suizidraten unter queeren Jugendlichen blicken. Das sollten wir als Gesellschaft nicht hinnehmen und vielleicht können wir mit unserer Kita einen Beitrag dagegen leisten. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Kitas gibt, wo das Thema Leben in Vielfalt sichtbar wird.

Marcel de Groot

Hier berichtet ein homosexueller Afghane berichtet von Flucht und Folter –„Warum helft ihr nicht?“

Kritik von Kindheitspädagoge: Größtenteils queere Mitarbeiterinnen „nicht unbedingt sinnvoll“

Kritik kommt auch mit Blick auf die größtenteils queeren Mitarbeiter:innen. „Kindertageseinrichtungen sollten die Vielfalt und Breite der Gesellschaft widerspiegeln. Daher finde ich es sinnvoll, dass alle Kinder etwas über Geschlechtervielfalt erfahren, zum Beispiel durch entsprechende Bilderbücher“, sagt Tim Rohrmann, Professor für Kindheitspädagogik gegenüber BuzzFeed News. Eine ‚queere‘ Kita sei aus seiner Sicht dagegen nicht unbedingt sinnvoll, weil sie diese Breite nicht abbilden könne und eventuell auch nicht wolle.

„Mit demselben Argument müsste man allerdings auch streng religiöse Kitas kritisieren oder Kitas, die nur Kinder von Führungspersonal aufnehmen.“ Geschäftsführer de Groot kann diese Befürchtungen direkt entkräften, denn das Ziel der Einrichtung ist ein „Mehr“ an Vielfalt und nicht eine verengte Sicht nur auf queeres Leben. Zudem dürften auch die Kinder sowohl aus homosexuellen wie heterosexuellen Familien für einen guten Mix an Vielfalt sorgen.

Gründe, warum sich Eltern für queere Kita in Berlin interessieren

Die Gründe, warum sich Familien bereits jetzt für die Regenbogen-Kita entscheiden, reichen von dem Wunsch nach einem Umfeld frei von Mobbing bis hin zu dem Ansinnen, das eigene Kind in einer Kita unterzubringen, in der eine LGBTQIA+-Lebensweise mitgedacht wird.

De Groot hält dabei fest: „Nach der ganzen Pädo-Debatte hat bis heute keine einzige Familie ihr Kind bei uns abgemeldet. Ich finde das ein sehr positives und starkes Signal. Wir spüren natürlich als erste Kita dieser Art in Deutschland den Druck, alles richtig zu machen, aber wir stellen uns diesem gerne.“

Ganz normal ist die Regenbogen-Kita am Ende dann allerdings doch nicht, wie de Groot erklärt; damit die Kita in Sicherheit ihre Pforten öffnen kann, wird derzeit ein Sicherheitskonzept mit der Polizei erarbeitet. Ein Unterschied im Vergleich zu anderen Kitas, der allerdings nicht gegen die Einrichtung spricht, sondern einmal mehr unterstreicht, wie wichtig das Konzept einer vielfältigen „queeren Kita“ für die Zukunft unserer Gesellschaft ist.

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