Experte mahnt, bei Queerfeindlichkeit sei „jede Schamgrenze verschwunden“

Immer noch reißen Menschen queerfeindliche Witze. Ein Fachmann erklärt, was dahinter steckt und wie wir reagieren können.
Treffen sich zwei Schwule und eine Blondine… Kennen wir nicht alle den Beginn solcher oder ähnlicher Witze? Was für heterosexuelle Menschen schnell vergessen ist, kann für Homosexuelle und queere Menschen lange nachhallen. Doch wer sind diese zumeist heterosexuellen Männer, die so gerne auf Kosten der LGBTQIA+-Community Witze machen?
Eine amerikanische Studie befasst sich seit rund fünf Jahren mit dieser Frage und kam nun zu einem spannenden ersten Fazit: Je stärker bei einem heterosexuellen Mann prekäre Männlichkeitsvorstellungen vorherrschen, desto mehr amüsiert sich dieser auch über sexistischen, schwulen- oder queer-feindlichen Humor. Am schlimmsten ausgeprägt ist diese Vorgehensweise bei jenen Männern, die sich in ihrer Männlichkeit bedroht fühlen. Und nicht selten trifft dabei sogar das Klischee zu, dass die größten Schwulenwitzerzähler:innen zumeist heimlich selbst homosexuell oder queer sind.
„So what, es gibt eben auch andere!“
Für Fachmann Joachim Schulte vom Beratungsverein QueerNet Rheinland-Pfalz ist die Sache eindeutig, wie er gegenüber BuzzFeed News DE von Ippen.Media bekräftigt: „Ich denke diese Menschen eint, dass für sie die Sexualentwicklung in ihrer Differenziertheit eine Bedrohung darstellt. Wenn ich meiner Heterosexualität sicher bin, dann kann ich an anderer Stelle doch ansonsten ganz selbstverständlich sagen: So what, es gibt eben auch andere! Und aus dieser Position heraus können diese heterosexuellen Männer dann auch homosexuelle Freunde haben und dazu stehen. Eine gesicherte Heterosexualität, die nicht bekehrend auftritt, braucht keine Ablehnung von homosexuellen Menschen.“
Der Verein gehört zum Queeren Netzwerk, dem größten deutschlandweiten Bundesverband aller queeren Landesnetzwerke. Nebst der Beratung von queeren Menschen bieten die Vereine auch Informationsveranstaltungen gerade für heterosexuelle Menschen an, damit das Verständnis für queere Lebenswelten von der großen Stadt bis zum weiten Land wachsen kann.
Queerfeindlichkeit und Fundamentalismus
Die US-Studie der drei Wissenschaftler:innen aus dem Fachbereich Psychologie der Western Carolina University im Bundesstaat North Carolina konnte aufzeigen, dass es dieses Spannungsfeld zwischen einer prekären Vorstellung von Männlichkeit und einem Hang für queer-feindliche Witze tatsächlich gibt und es sich nicht nur zufälligerweise um Männer handelt, die generell viel Humor besitzen. Schulte wiederum bestätigt, dass diese grundsätzlichen Tendenzen auch bei heterosexuellen Männern in Deutschland auffindbar sind.
Doch warum ist das Männerbild im Jahr 2023 in der westlichen Welt oftmals noch immer offenbar so fragil, dass Witze über queere Menschen überhaupt noch aus Sicht manch eines heterosexuellen Mannes nötig sind?
Ein prägender Aspekt dabei ist der Glaube, so Schulte weiter: „Das trifft für alle fundamentalistischen Strömungen innerhalb der monotheistischen Religionen zu. Kurz gesagt: Je konservativer, je radikaler, je fundamentalistischer desto homophober oder queer-feindlicher.“ Dabei spielt gerade im Spannungsfeld von Religion die verdrängte Homosexualität oftmals eine Rolle. „Das ist eine psychologische Abwehrstrategie und wenn man, aus welchen Gründen auch immer, einer fundamentalistischen Weltanschauung anhängt, dann ist es leichter, sein eigenes Begehren zur Seite zu schieben, indem man sich doppelt so stark homophob zeigt. Wir kennen das auch sehr gut aus der katholischen Kirche.“
Verbände versuchen, ins Gespräch mit Glaubensinstitutionen zu kommen
Natürlich könne man keine Religion pauschal verurteilen, denn auch innerhalb der Glaubensinstitutionen gibt es Zerreiß- und Spaltungsprozesse zwischen Althergebrachtem und Moderne. „Die Mehrheit der Bischöfe in Deutschland ist durchaus liberal eingestellt, aber das heißt eben leider nicht, dass es nicht auch fundamentalistische Personen gibt.“ Schulte und die einzelnen Landes- sowie der Bundesverein erleben dabei auch immer wieder, dass manche Glaubensvertreter:innen sich beim Thema LGBTQIA+ quer stellen: „Wir versuchen immer wieder mit den einzelnen Verbänden ins Gespräch zu kommen.
Das ist sehr mühsam, weil sie oftmals versuchen, sich dem zu entziehen. Was wir dann beobachten, ist, dass sie den Unterschied zwischen einer religiösen Vorstellung und staatsbürgerschaftlichen Rechten verwischen oder versuchen, diesen ganz auszuhebeln beziehungsweise das religiöse Wertesystem sogar über das Grundgesetz oder die allgemeinen Menschenrechte zu stellen.“
Das geht so weit, so Schulte, dass einige Geistliche ganz abstreiten, dass Homosexualität oder Transsexualität überhaupt existieren. „Oder sie sagen, du kannst etwas dagegen machen beziehungsweise zu einer Behandlung gehen. Salopp gesagt, da gibt es doch was von Ratiopharm.“
„Der sogenannte harte Kerl ist bis heute präsent“
Das eine sind Traditionen, Glaube oder anerzogene Wertevorstellungen, das andere ist die Entwicklung in der Gesellschaft selbst – zwar ist die Vorstellung, wie heutzutage ein Mann sein sollte, vielfältiger geworden und es gibt auch Rollenmodelle abseits des „harten Kerls“, der keinen Schmerz kennt, doch genau dieser Fortschritt mehrt andererseits die Angst vor dem Unbekannten.
„Der sogenannte harte Kerl ist bis heute präsent, gerade in Gruppierungen, die sich sozial abgehängt oder nicht ausreichend beachtet fühlen – hier sind diese Männlichkeitsvorstellungen auch heute noch überproportional vertreten.“ Dabei scheint es laut Schulte eine Parallelentwicklung quer durch alle Generationen hindurch zu geben. „Wir erleben heutzutage in puncto Rollen- und Körperbilder bei Männern eine Differenzierung, aber gleichzeitig gibt es auch eine sehr starke Markierung des traditionellen Bildes – und diese Entwicklung steigert sich immer mehr. Wir beobachten hier, dass es viel Offenheit gegenüber Homosexuellen gibt, aber gleichzeitig wird der offen ausgelebte Hass gegenüber Homosexuellen oder auch trans*-Personen sehr selbstverständlich ausgesprochen. Da ist jede Schamgrenze inzwischen verschwunden.“
Denn eines sei klar: Die gleichen Hass- und Abwehrmechanismen, die bis heute mehrheitlich gegenüber homosexuellen Männern auftreten, greifen auch, wenn verbal seit jüngster Zeit vermehrt gegen Trans*-Menschen ausgeteilt wird. Und auch durch die jüngste Generation Z geht dieser Riss, so Schulte: „Auf der einen Seite gab es noch nie so viele junge Teilnehmer:innen bei CSDs wie in den letzten Jahren, auf der anderen Seite gibt es unter ihnen aber auch eine ganz klare Negation gegenüber allem, was queer ist. Diese Ambivalenz, diese entgegengesetzten Pole werden stärker und größer.“
Und wie können Betroffene jetzt reagieren, wenn sie Opfer von menschenverachtenden Witzen werden?
Die Intensität des verbalen Angriffs sollte darüber entscheiden, wie wir bestenfalls darauf reagieren. Hören wir einen schwulenfeindlichen Witz, sollten wir nicht mitlachen, sondern einfach sagen, dass man diesen nicht lustig findet. Witze sollen Menschen zusammenführen, doch hier werden andere Menschen der Lächerlichkeit preisgegeben. Wenn ich dieses Ritual durch meine Aussage durchbreche, funktioniert das Spiel zumeist nicht mehr. Der Königsweg wäre natürlich, dass man einen Konter-Witz parat hat, aber oftmals ist man als betroffene Person in dieser Situation nicht geistesgegenwärtig genug beziehungsweise so überrumpelt von diesem verbalen Angriff, dass man nicht sofort so reagiert wie gewünscht.
Dabei kann man laut Schulte auch durchaus im Nachhinein oder am nächsten Tag das Thema noch einmal ansprechen. Wird aus dem Witz derweil ein verbaler direkter Angriff, rät der Fachmann zur Klarheit: „Wenn es um verbale Aggression geht, laut STOPP sagen. Einfach ganz klar zum Ausdruck bringen, dass man die Position des Sprechers nicht teilt.“
Kampf gegen queer-feinliche Witze
Wichtig sei zudem auch für Zeug:innen solcher Situationen, eindeutig Stellung zu beziehen. Und, falls nötig, queeren Menschen dabei zu vermitteln, dass es vollkommen in Ordnung ist, schwul, lesbisch oder eben trans* zu sein – ansonsten besteht die Gefahr, dass sich im Unterbewusstsein bei manchen queeren Menschen der Gedanke festsetzt, dass man selbst irgendwie Mitschuld daran trage, Opfer eines menschenverachtenden Witzes geworden zu sein.
„Viele dieser Menschen haben auch häufig sehr schlimme Erfahrungen der Ablehnung gemacht, die dazu geführt haben, dass sie denken, es sei besser, nicht für sich einzustehen oder die eigene Homosexualität oder Geschlechtsidentität zu verschweigen.“ Genau das war auch die Grundintension des amerikanischen Forscherteams – darüber gemeinsam zu reden, um so zusammen Strategien zu finden, sodass der schwulenfeindliche oder queer-feindliche Witz endlich ausstirbt. Das geht am besten Hand in Hand mit heterosexuellen Allys.