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Feuerwerk ist Mist – Böllern würde mir an Silvester trotzdem fehlen

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Von: Felicitas Breschendorf

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Junge, der Feuerwerk anzündet. Kinder und Feuerwerk sind eine gefährliche Kombi? Mag sein, aber ich habe trotzdem gute Erinnerungen.
Kinder und Feuerwerk sind eine gefährliche Kombi? Mag sein, aber ich habe trotzdem gute Erinnerungen. (Symbolbild) © Imago / China Foto Press/ Chromorange

Böllern verpestet die Umwelt und tötet Menschen. Trotzdem kann ich mir eine Kindheit ohne Feuerwerk an Silvester nicht vorstellen.

MEINUNG

Ich muss etwas gestehen: Ich liebe Silvester. Ich liebe es, das neue Jahr zu feiern, ich liebe die Spannung kurz vor Mitternacht, ich liebe es, sich über Neujahrsvorsätze lustig zu machen, ich liebe Bleigießen (also eigentlich so ziemlich alles an Silvester außer Raclette). Aber ganz besonders liebe ich Feuerwerk. Ja, ich weiß, Böllern ist schlecht für die Umwelt, gefährdet Menschenleben und hält die Krankenhäuser auf Trab. Trotzdem ist Feuerwerk mein guilty pleasure.

Die unendliche Schönheit von Feuerwerk

Meine ersten Kindheitserinnerungen verbinde ich mit Feuerwerk. Ich bin in einem Dorf in Baden-Württemberg im Schwarzwald aufgewachsen. Unsere Straße war nur für Anwohner frei gelassen und meistens ruhig. Aber nicht an Silvester. Das ganze Dorf war auf den Beinen, viele hatten Feuerwerkskörper in der Hand. Dazwischen stand ich und reckte gespannt meinen kleinen Kopf in die Höhe.

Nicht, als 2006 alle Autos verrückt spielten, weil Deutschland Sieger der Herzen wurde (lange vor der WM in Katar). Nicht, als an Fasching die Straßen voll mit Hexen, Clowns und Fabelwesen waren. Nein, es gab kein anderes Ereignis im Jahr, bei dem unser Dorf so schön aussah wie an Silvester. Rot, grün, gelb, orange: wie Blumen, die sich über dem Nachthimmel ausbreiteten. Überall knallte es – ich wusste gar nicht, wohin ich den Blick zuerst richten sollte.

Böllern produziert Feinstaub und Unfälle

Mir ist heute klar, dass diese Schönheit viel Feinstaub bedeutet, der die Umwelt belastet. Jährlich werden rund 2050 Tonnen Feinstaub (PM10) laut Umweltbundesamt durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern frei gesetzt – der größte Teil davon in der Silvesternacht. Das entspricht knapp einem Prozent der jährlich insgesamt freigesetzten Feinstaubmenge in Deutschland. 

2014 bin ich zum Studieren nach Berlin gezogen. Hier gibt es noch mehr Feuerwerk und noch viel mehr schlechte Nachrichten. Immer wieder gibt es an Silvester Schlagzeilen von schweren bis tödlichen Unfällen. An Silvester 2020/2021 gab es wegen der Pandemie ein Böller-Verbot. Die Zahl der durch Feuerwerk verletzten Menschen in den Krankenhäusern sei dadurch nach Angaben der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft (DKG) um rund zwei Drittel gesunken. Am 1. Januar 2020 seien 111 Schwerstverletzte im Krankenhaus behandelt worden, im Jahr darauf nur noch 32. 

Mir sind solche Nachrichten nicht fremd: Ein Bekannter von mir hat durch selbstgebautes Feuerwerk sein Auge und einen Finger verloren. Natürlich bin ich traurig, dass diese Unfälle passieren und würde mir wünschen, dass die Menschen beim Böllern vorsichtiger sind. Die Freude an Feuerwerk kann mir das aber nicht nehmen.

Schon das Einkaufen von Feuerwerkskörpern war aufregend

Vor Silvesterabend ging ich zusammen mit meinem Vater einkaufen. Überall lagen kleine Glücksschweine, Kleeblätter und Schornsteinfeger aus Marzipan. Noch aufregender war die nächste Abteilung: Berge an Feuerwerkskörper in allen Größen und Formen. Dazwischen kramte ich eine große Plastikverpackung hervor, die „für Kinder“ war.

Offiziell heißen die Packungen nicht Kinderfeuerwek, sondern „Little Creatures“, „Kuddelmuddel“ oder „Captain Pyro“. Manche Inhalte sind ab zwölf Jahren, manche ab 16 Jahren freigegeben. Drin waren zum Beispiel Wunderkerzen und weiße Knallerbsen, die man in die Hand nehmen und auf die Straße pfeffern konnte. Aber auch kleine Patronen, die man erst anzünden und dann so schnell es geht wegwerfen musste – bis ein lauter Knall ertönte. Ich war zwölf Jahre alt, als ich meine erste Packung bekam.

Silvester ist das Fest, an dem ich als Kind das erste Mal etwas Verbotenes tun durfte

Fünf, vier, drei, zwei, eins und schon war es Mitternacht und die ersten Böller ertönten. Mein Kater versteckte sich womöglich gerade unter dem Klavier (Tipps, wie du Haustiere an Silvester schützen kannst, gibt es hier). Als die Erwachsenen mit Sekt anstießen, konnte ich durch das Wohnzimmerfenster schon die leuchtenden Farben sehen. Mein Herz begann zu schlagen – bis heute pocht es beim Anblick von Feuerwerk. Schnell rannte ich zu meinem Vater. „Darf ich ein Feuerzeug haben, biitteee“. Falls jetzt die Alarmglocken klingeln: Natürlich war das gefährlich. Und die guten Erinnerungen habe ich mit Sicherheit nur, weil ich Glück hatte.

Ich bin mit meiner Cousine, die auch etwa zwölf Jahre alt war, direkt auf die Straße gerannt. Mit dabei hatte ich die frisch gekaufte „Kinder-Packung“. Die Knallerbsen waren einfach, aber bei den roten Patronen habe ich mich doch recht oft verbrannt. Nicht an den Patronen, sondern am Feuerzeug. Es hatte diesen Drehverschluss, den man aufschnipsen muss. Meinen Finger habe ich über die Silvesternacht hinweg wund geschnippst.

Selbst als alle Eltern längst im Haus waren, standen ich und die anderen Kinder noch draußen und warfen Patronen. Während sie ihre Brettspiele spielten, hatten wir Kinder den Spaß unseres Lebens. Für manche ist es das Nippen am Bier in der Kneipe, oder das erste Mal über Rot gehen. Ich verbinde Silvester damit, dass ich zum ersten Mal etwas Verbotenes tun durfte. Etwas, was eigentlich nur die Erwachsenen dürfen.

Ein großes Feuerwerk der Stadt ist keine Lösung

Wenn ich Jahre später an Neujahr die Berliner Straßen entlang laufe, wird mir ganz ungemütlich. Überall liegen Verpackungen und zerbrochene Raketen. Am Bürgersteig klebt schwarzer Ruß. An manchen Ecken erschrickt man durch einen letzten Knall, weil ein Jugendlicher noch sein übriggebliebenes Feuerwerk aufbraucht. Es fühlt sich nach Endzeitstimmung an. Natürlich verstehe ich, wenn sich Menschen fragen: wozu eigentlich das Ganze?

Mein erster Freund hatte viele seltsame Hobbys und eins davon war Pyrotechnik. Zu meinem 18. Geburtstag schenkte er mir ein Feuerwerk. Es war Teil eines Wettbewerbs zwischen Pyrotechniker:innen beim Japan-Tag in Düsseldorf. Alles war durchorganisiert, es gab eine Sicherheitsaufsicht. Es gibt viele Stimmen, die dafür plädieren, dass es an Silvester nur noch ein einziges Feuerwerk geben soll, das zentral von der Stadt ausgerichtet wird. Niemand würde mehr verletzt, es gäbe weniger Müll und trotzdem einen schönen Himmel. Ich hatte viel Spaß damals in Düsseldorf und trotzdem fühlt es sich anders an, selbst ein Teil davon zu sein.

Warum Feuerwerk für mich Freiheit bedeutet

In Berlin wohne ich an der Bösebrücke an der S-Bahn-Station Bornholmer Straße. Dort war zu DDR-Zeiten ein Grenzübergang, der erste, der 1989 geöffnet wurde. An Silvester stehe ich, seit ich in Berlin lebe, fast jedes Jahr an dieser Brücke. Ich blicke in Richtung Fernsehturm, der gut zu erkennen ist, und nicht nur er – ganz Berlin leuchtet. Von links und rechts, früher also Westen und Osten, strömen die Menschen, um sich auf dieser Brücke das Feuerwerk anzusehen. Mein Vater hätte das früher nicht gekonnt (er ist in der DDR aufgewachsen). Zusammen stehen wir auf dieser Brücke, stoßen auf ein neues gemeinsames Jahr an und freuen uns. Deshalb ist Feuerwerk für mich ein Stück Freiheit.

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