„Sporthallen lassen sich vermeiden“ – Was sich 2023 für Geflüchtete in Deutschland ändern muss

In diesem Jahr werden wieder viele Menschen nach Deutschland fliehen. Wir haben Filiz Polat, Migrationsexpertin der Grünen, gefragt, wie sie hier ihren Platz finden können.
Bereits im vergangenen Jahr hat sich gezeigt, dass Deutschland mit der Unterbringung von Geflüchteten an seine Grenzen stößt. Die Chefin der EU-Asylbehörde Nina Gregori, geht von einer weiteren Zunahme von Asylbewerbern in der Europäischen Union aus, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet. Auch Berlins regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey rechnet laut dpa im kommenden Jahr mit vielen neuen Geflüchteten.
Filiz Polat, stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss des Bundestags und Migrationsexpertin der Grünen, sagt gegenüber BuzzFeed News DE, dass die Zahl an Geflüchteten und Asylsuchenden in diesem Jahr hoch bleiben wird. Als Gründe nennt sie, weltweit anhaltende Krisen und Kriege, wie der Ukraine-Krieg. Viele der Geflüchteten kommen „nicht nur aus der Ukraine, sondern, weiterhin, auch aus Afghanistan, Irak, Iran, Syrien sowie der Türkei“, sagt Polat.
Migrationsexpertin Filiz Polat fordert „sichere Zugangswege für Geflüchtete“
„Auf EU-Ebene dürfen die Anstrengungen nicht nachlassen, ein gerechteres Verteilsystem für Geflüchtete zu errichten“, fordert Polat. Es bleibe eine wichtige Aufgabe, „sichere Zugangswege für Geflüchtete zu schaffen“. Ein Anfang sei das humanitäre Aufnahmeprogramm für afghanische Geflüchtete, das die Bundesregierung im vergangenen Oktober startete.
Mit dem Bundesaufnahmeprogramm ist geplant, im Monat etwa 1000 besonders gefährdete Afghan:innen mit ihren Familienangehörigen aus Afghanistan aufzunehmen. Das reduziere laut Polat „die Zahl von Menschen auf den todbringenden Fluchtrouten“. Pro Asyl kritisiert an dem Programm, dass Menschen, die in Nachbarländer von Afghanistan geflohen sind und sich nicht in Afghanistan aufhalten, ausgeschlossen werden.
Wie kann Deutschland das Problem der Unterbringung von Geflüchteten lösen?
Der Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete in deutschen Kommunen zeigte sich 2022 in vollem Ausmaß: In Sporthallen, Zelten oder Containern mussten Geflüchtete laut dpa provisorisch übernachten. Das Erreichen der Kapazitätsgrenzen deutscher Kommunen liege laut dem Verein „Wir packen‘s an“ an dem Krieg in der Ukraine. „Von vielen konservativen Politiker:innen wird aber suggeriert, das läge an den Menschen, die beispielsweise über die sogenannte Balkanroute kommen, was falsch ist“, sagt der Sprecher des Vereins, Axel Grafmanns, gegenüber BuzzFeed News DE. Eine „explosionsartige Zunahme insgesamt“, könne der Verein nicht bestätigen.
„Die Erstaufnahmekapazitäten müssen weiter ausgebaut werden“, schlägt Polat vor. Finanzieren könnten die Länder den Ausbau mit einer „flüchtlingsbezogenen Pauschale“ in Höhe von 1,25 Milliarden Euro, welche Bundesregierung und Länder-Ministerpräsident:innen im vergangenen Jahr beschlossen haben. Insgesamt erhalten Länder und Kommunen damit im laufenden Jahr im Bereich Flucht und Migration 2,75 Milliarden Euro. „Es wurde verabredet, diese Hilfen gegebenenfalls in diesem Frühjahr nochmal anzupassen“, sagt Polat. Schließlich seien im aktuellen Bundeshaushalt die Mittel für Integration und Integrationskurse erhöht worden.
Geflüchtete aus der Ukraine konnten schon kurz nach Kriegsbeginn bei ihren Familien leben, die bereits in Deutschland wohnten. Polat möchte diese Option auch Schutzsuchenden aus anderen Ländern ermöglichen. „Damit werden schnell Kapazitäten frei, und Nutzungskonflikte um kommunale Einrichtungen wie Sporthallen lassen sich vermeiden“, sagt sie.
Abschaffen des Beschäftigungsverbots für Geflüchtete
In Deutschland herrscht Fachkräftemangel, weshalb der Arbeitsagentur-Chef erst vergangenen Sommer mehr Zuwanderung forderte. Die Bundesregierung will in diesem Jahr das „Beschäftigungsverbot für Geflüchtete abschaffen, um eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen“, sagt Polat. Das sei im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung festgelegt.
Verein „Wir packen‘s an“ verlangt Rechtsstaatlichkeit von der Europäischen Union
„Angesichts der Menschenrechtsverletzungen von Frontex und lokalen Polizeibehörden an den EU-Außengrenzen (Polen, Griechenland, Ungarn, Kroatien) fordern wir Rechtsstaatlichkeit“, schreibt Grafmanns. Es sei alles in der Genfer Flüchtlingskonvention und den Menschenrechten geregelt. Die Vereinbarungen seien nicht mit der Einschränkung „wenn es einmal zu viel wird, gelten die Gesetze nicht mehr“ beschlossen worden.
Grafmanns weist gegenüber BuzzFeed News DE auf die Mitverantwortung der Europäischen Union und Deutschland für den „Klimawandel, bewaffnete Auseinandersetzungen wie in Afghanistan oder ungerechte Freihandelsabkommen“ hin – also letztlich für Fluchtursachen. „Menschen, die flüchten, sind das Resultat einer falschen Politik, nicht die Ursache“.
„Wir packen‘s an“ fordert deshalb, dass die „Verursacher der Fluchtursachen mindestens für die Auswirkungen dieser Politik aufkommen müssen, auch angesichts der kolonialen Vergangenheit vieler europäischen Staaten.“ Zudem wünscht sich der Verein anhaltende „Solidarität für Menschen in Not“. Politische Entscheidungen wie der Bau des „Abschiebezentrums am Flughafen BER“ zeigten „in die falsche Richtung“. „Deutschland braucht Zuwanderung und keine Abschreckung.“
Deutschland braucht Zuwanderung und keine Abschreckung.