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Ukrainischer Chefkoch flieht nach Spanien - die Arbeitsbedingungen dort schockieren ihn

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Chefkoch Hass in Koch-Montur beim Zubereiten eines Gerichts in einer Küche
Hass arbeitete in der Ukraine, bevor der Krieg ihn nach Spanien trieb. © Courtesy Hass

Spanien hofft auf mehr Arbeitskräfte durch Geflüchtete aus der Ukraine. Doch die treffen oft auf schlechte Löhne und Ausbeutung.

Nachdem er dem Ukraine-Krieg entkommen war, freute sich der 43-jährige Koch Hass, eine Stelle in einem schönen Restaurant in Alicante, Spanien, gefunden zu haben. Mit bequemen Korbsesseln und Blick aufs Mittelmeer. Auf der Speisekarte standen Meeresfrüchte, Paella und Tapas. Auf den ersten Blick schien es der perfekte Ort zu sein. Doch schon bald wurde er von den spanischen Arbeitsbedingungen überrascht. Sein Chef teilte ihm mit, dass er sechs Tage in der Woche arbeiten müsse, seine Schichten oft länger als acht Stunden dauerten und er keinen Urlaub bekäme – und das alles für einen Mindestlohn von 1.100 Euro im Monat. Er befürchtete, dass dies nicht ausreichen würde, um seine Frau und seine Tochter zu versorgen.

Die Zeit, in der er Nothilfe erhielt, wurde immer knapper. Er hatte bereits vier Monate des einjährigen vorübergehenden Schutzes genutzt, den Spanien den Ukrainer:innen gewährt – das ist doppelt so viel wie bei anderen Flüchtenden. Während dieses Zeitraums erhalten sie Unterkunft und Verpflegung, aber keine finanzielle Unterstützung. Hass brauchte finanzielle Sicherheit, bevor die Hilfen ausliefen. Da er in einem 12-Stunden-Job feststeckte, hatte er keine Zeit, sich nach einem anderen Job umzusehen. Er beschloss also, am ersten Tag zu kündigen und anderswo Arbeit zu finden, bevor es zu spät war.

„In Spanien denken die Leute, dass Ukrainer:innen für weniger Geld arbeiten“, sagte Hass, der darum bat, mit seinem Spitznamen angesprochen zu werden, um seine zukünftigen Jobaussichten und seine persönliche Sicherheit zu wahren. „Wir wollen nur unter guten Bedingungen arbeiten“.

Geflüchtete sollen den Arbeitskräftemangel in Spanien beheben

Angesichts des weltweiten Arbeitskräftemangels hoffen spanische Unternehmer:innen und Politiker:innen, dass ukrainische Flüchtende wichtige Positionen im Gastgewerbe besetzen, um die spanische Tourismuswirtschaft anzukurbeln. Spaniens Wirtschaft ist vom saisonalen Tourismus abhängig, der in den ersten beiden Jahren der Pandemie zum Stillstand kam. Jetzt hofft das Land mit seinen 57 Millionen Einwohner:innen, die 85 Millionen Tourist:innen, die es vor der Einstellung des internationalen Reiseverkehrs durch Covid-19 jährlich verzeichnete, wieder anzuziehen. Die Wirtschaft braucht mindestens 100.000 neue Arbeitskräfte, die Hälfte davon im Gastgewerbe. Seit Mitte Juni 2022 suchten mehr als 120.000 Ukrainer:innen in Spanien Zuflucht, bis Mai lag die Zahl der nach Deutschland geflüchteten Ukrainer:innen bei über 400.000.

Diese Pläne sind jedoch ins Stocken geraten, da die neu ankommenden Ukrainer:innen den gleichen schwierigen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, wie viele Migrant:innen vor ihnen, vor allem aus afrikanischen Ländern, einschließlich langer Arbeitszeiten und kurzfristiger Verträge. Jetzt, wo der Krieg in der Ukraine weiter tobt, der viele Leben verändert hat, werfen Spaniens Arbeits- und Einwanderungsbefürworter:innen den Unternehmer:innen und lokalen Politiker:innen vor, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse als verlockende Gelegenheiten in Krisenzeiten dargestellt zu haben.

Schlechte Arbeitsbedingungen in Spanien: Viele Geflüchtete kehren in die Ukraine, und somit in den Krieg, zurück

Das sollte eigentlich anders sein. Anfang dieses Jahres wurde in Spanien ein Gesetz verabschiedet, das bestimmte Arten von Zeitarbeitsverträgen verbietet und damit angeblich den Weg dafür ebnen soll, dass Beschäftigte in Dienstleistungsbranchen wie Hass Zugang zu Leistungen wie bezahltem Urlaub und Arbeitslosenunterstützung nach Vertragsende erhalten. Die Regierung und lokale NGOs haben kostenlose Berufsausbildungskurse für den Umgang mit Lebensmitteln, für Hausmeistertätigkeiten und für die Gastronomie angeboten. Aber die Arbeit, für die die Auszubildenden nach dieser öffentlich finanzierten Ausbildung infrage kommen, entspricht in der Regel nicht den gesetzlichen Anforderungen. In Spanien beträgt die Wochenarbeitszeit 40 Stunden und die obligatorische wöchentliche Ruhezeit zwei Tage. Pro Arbeitsmonat gibt es zwei Urlaubstage – Bedingungen, von denen Hass nach eigenen Aussagen ausgeschlossen war.

Die Bedingungen sind so schlecht, dass zu befürchten ist, dass die Menschen in das vom Krieg zerrüttete Land, zurückkehren und sich selbst in Gefahr begeben, so ein Dutzend Sozialarbeiter:innen und Anwält:innen gegenüber BuzzFeed News US. Ein Drittel der Ukrainer:innen, die das Land seit Beginn des Krieges im Februar verlassen haben, ist nach Angaben der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache bereits zurückgekehrt.

Nur 6,5 Prozent der ukrainischen Geflüchteten, die seit Februar nach Spanien gekommen sind, haben nach den offiziellen Zahlen Spaniens im Juli eine Arbeit gefunden. Dennoch sind sie wegen ihres Bildungsgrades nach wie vor sehr begehrt (61 Prozent haben einen Universitätsabschluss) und sind im Gegensatz zu vielen anderen Migrant:innen der letzten Jahre weiß, obwohl Befürworter:innen und Beamt:innen die Rolle, die Rassismus hier spielt, selten öffentlich erwähnen, so fünf Sozialarbeiter:innen.

Spaniens Umgang mit afrikanischen und ukrainischen Geflüchteten: „Weniger Ablehnung und Misstrauen als andere Nationalitäten“

Spaniens Offenheit gegenüber ukrainischen Flüchtenden steht im Gegensatz zu den Bemühungen der Europäischen Union, Flüchtende aus den afrikanischen Nachbarländern fernzuhalten. Im Juni starben 37 Migrant:innen, als eine Gruppe von 2.000 Menschen versuchte, den Hochsicherheitszaun zu überwinden, der die spanische Enklave Melilla in Nordafrika schützt. Auf Videoaufnahmen war zu sehen, wie marokkanische Beamt:innen die Migrant:innen verprügelten; Spanien bedankte sich bei ihnen für ihr wirksames Vorgehen.

Der Kontrast zwischen dem Umgang der spanischen Behörden mit afrikanischen und ukrainischen Geflüchteten ist deutlich. Ukrainische Arbeitskräfte stoßen „auf weniger Ablehnung und Misstrauen als andere Nationalitäten“, so Mercedes Ena, Koordinatorin der spanischen Kommission für Geflüchtetenhilfe in der Region Valencia. „Die kulturellen Muster sind viel ähnlicher“, sagt sie.

Auch in Deutschland sind Geflüchtete Hass ausgesetzt: BuzzFeed News Deutschland sprach mit dieser geflüchteten Ukrainerin, deren Auto zerkratzt wurde.

24. Mai 2022, Bakhmut, Oblast Dontesk, Ukraine: Außenansicht der Ruinen des durch russischen Beschuss zerstörten Wohnhauses in Bakhmut, Donbas.
24. Mai 2022, Bakhmut, Oblast Dontesk, Ukraine: Außenansicht der Ruinen eines durch russischen Beschuss zerstörten Wohnhauses in Bakhmut, Donbas. © Alex Chan Tsz Yuk/ZUMA Wire/IMAGO

Hass nach seiner Flucht vor dem Ukraine-Krieg: „Wir haben damals alles verloren, und jetzt zum zweiten Mal“

Es ist nicht das erste Mal, dass Hass dem Krieg entkommen ist. Im Jahr 2014 marschierten russische Truppen in die östliche Region der Ukraine ein, in der seine Familie lebte. Mehr als 13.000 Menschen wurden getötet, 28.000 verwundet und 1,8 Millionen Bewohner:innen der Krim und des Donbass vertrieben, so das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. Sie zogen nach Kiew, ohne zu wissen, dass sie weniger als ein Jahrzehnt später wieder vertrieben werden würden. „Wir haben damals alles verloren, und jetzt zum zweiten Mal“, so Hass.

Am 24. Februar 2022, um 17 Uhr, hörte er die ersten beiden Bombeneinschläge auf dem nahe gelegenen Flughafen. Er beeilte sich, seine Frau, ihre 13-jährige Tochter und ihren Hund ins Auto zu bringen. Sie verbrachten die erste Nacht in einer Tiefgarage, dem nächstgelegenen Bunker, den sie sich vorstellen konnten. Im Morgengrauen erhielt er einen Anruf von einem Nachbarn, der beim ukrainischen Sicherheitsdienst arbeitete. Er forderte Hass auf, Kiew sofort zu verlassen. Sie rannten zur Wohnung, packten, was sie konnten, und flüchteten. So wie auch diese junge Ukrainerin, die von ihrer dramatischen Flucht aus Kiew berichtete.

Er fuhr mit seinem Auto über die Grenze nach Rumänien. Das war das einzige Mal, dass sie nach Dokumenten gefragt wurden, sagte er gegenüber BuzzFeed News US. Dann fuhren sie nach Ungarn, Italien, Frankreich und schließlich nach Spanien. Insgesamt fuhr er 3000 Meilen (etwa 4828 km) von Kiew nach Alicante. Mit Hilfe eines Netzwerks von Freiwilligen auf dem Weg wurden sie zum Bahnhof der Stadt geschickt. Von dort aus vermittelte ihnen das Spanische Rote Kreuz eine vorübergehende Unterkunft: Ein schönes, sauberes Apartment, das sie mit ihrem Hund bewohnen konnten. Nach Angaben der Organisation hat das Rote Kreuz 90.130 Ukrainer:innen bei ihrer Ankunft in Spanien geholfen, das sind zwei von drei Neuankömmlingen.

Arbeitsbedingungen in Spanien: Asylbewerber:innen erhalten einen speziellen Schutzstatus

Asylbewerber:innen aus der Ukraine erhalten nun einen einjährigen vorübergehenden Schutzstatus, sobald sie ihre Ankunft in Spanien registrieren. Vom ersten Tag an dürfen sie arbeiten, und die Erlaubnis kann um ein weiteres Jahr verlängert werden. Nach Angaben des Roten Kreuzes aus der Zeit vor der russischen Invasion in der Ukraine wird jedoch nur 18 Prozent der Antragsteller:innen nach zwei Jahren erfolgreich Asyl gewährt.

Hass ist ein Sonderfall unter den Geflüchteten. 65 Prozent der ankommenden Ukrainer:innen sind Frauen, 34 Prozent sind minderjährig. Es gelang ihm zu fliehen, kurz bevor Männern die Ausreise untersagt und sie zum Militär eingezogen wurden. Am 17. März kam er in Spanien an. Seine Tochter, die gerne malt und Rollschuh fährt und früher in einem Tanzstudio in Kiew Unterricht nahm, geht jetzt in Alicante zur Schule, wo sie neue Freund:innen gefunden hat. „Aber das Problem ist, dass wir nicht wissen, was morgen passieren wird“, sagt ihr Vater. „Sie hat Angst, ihre Freund:innen wieder zu verlieren und wieder von vorne anzufangen.“

Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen argumentieren, dass es für Geflüchtete, die erst kürzlich ein Trauma erlitten haben, noch zu früh ist, um unmittelbar danach nach einem Arbeitsplatz zu suchen. „Sie stehen unter einem absoluten Schock. Sie können nicht länger als einen Monat in die Zukunft denken“, so Antonia Jiménez Milla, Koordinatorin des Beschäftigungsprogramms für Antragsteller:innen und Begünstigte des vorübergehenden internationalen Schutzes beim Spanischen Roten Kreuz.

Demonstration gegen den Nato-Gipfel in Madrid: Zahlreiche Menschen demonstrieren gegen die Nato am 26. Juni 2022 in Madrid, Spanien
Demonstration gegen den Nato-Gipfel in Madrid: Zahlreiche Menschen demonstrieren am 26. Juni 2022 in Madrid, Spanien. © Oscar Gonzalez/NUR Photo/IMAGO

Ukraine-Krieg: Spanien verpflichtete sich, mehrere Tausend Flüchtende aufzunehmen

Als die russische Invasion in der Ukraine begann, übernahm Spanien eine führende Rolle in der humanitären Krise und verpflichtete sich, jährlich 12.000 Flüchtende aufzunehmen. In den ersten vier Monaten des Krieges sammelte das spanische Komitee für die UN-Kommission für Flüchtende 23 Millionen Euro aus privaten Spenden.

Im April, als die Ankunft ukrainischer Geflüchteter ihren Höhepunkt erreichte, verabschiedete Spanien in dem Bemühen, die wirtschaftliche Erholung nach Ende der Covid-Lockdowns zu fördern, ein Gesetz, das befristete Verträge für Arbeitnehmer:innen einschränkt.

Die Änderung betraf Hotels und Restaurants, von denen viele weiterhin nach Schlupflöchern suchen. Jetzt bieten sie unbefristete Verträge, wie den, den Hass unterschrieben hat, zu einem Mindestlohn an. In einigen Fällen ist der Job auch mit der ungeschriebenen Erwartung verbunden, dass ein Arbeitnehmer:innen mehr Stunden als gesetzlich zulässig arbeitet.

Arbeitskräftemangel in Spanien: Eine Online-Plattform, die Flüchtenden die Arbeitssuche erleichtern soll, steht in der Kritik

Das spanische Parlament will Unternehmen bei der Suche nach Arbeitskräften aus anderen Ländern helfen, um den Arbeitskräftemangel zu beheben. Hostelería de España, der größte spanische Hotel- und Gaststättenkonzern, der landesweit 315.000 Betriebe vertritt, kündigte kürzlich eine Vereinbarung mit der spanischen Kommission für Geflüchtetenhilfe und dem Roten Kreuz an, um eine Online-Plattform für die Auflistung aller offenen Stellen einzurichten.

Die Vereinbarung geriet jedoch ins Stocken, da die humanitären Hilfsorganisationen Bedenken wegen der Ausbeutung von Geflüchteten am Arbeitsplatz äußerten. „Löhne und Verträge müssen mit dem Gesetz übereinstimmen, andernfalls muss der Arbeitnehmer sie kündigen“, sagte Hostelería España gegenüber BuzzFeed News US.

Einige Befürworter:innen befürchten, dass Unternehmen versuchen, die prekäre Lage von Geflüchteten auszunutzen, da diese weder über Ersparnisse noch über ein Unterstützungsnetz verfügen oder ihre Rechte nicht kennen.

Chefkoch Hass nach seiner Flucht nach Spanien: „Wenn es keine Arbeit gibt, müssen wir umziehen“

Für Hass schien eine offizielle Beschwerde gegen das Restaurant keine realistische Option zu sein. Er weiß, dass seine Situation prekär ist, und befürchtet, dass seine Jobaussichten anderswo beeinträchtigt werden. Missbräuchliche Arbeitssituationen fördern bereits die Rückkehr von Ukrainer:innen in ihr Heimatland, auch wenn der Krieg noch lange nicht zu Ende ist, so Hanna Vakhitova, Professorin an der Kyiv School of Economics. „Wenn die Bedingungen nahe an der Ausbeutung sind, werden sie sich zweimal überlegen, ob das Sinn macht.“

Genau das steht für Hass jetzt auf dem Spiel. Er kündigte seinen Job in dem Restaurant am Ende des ersten Tages. Er möchte nicht in die Ukraine zurückkehren, aber er muss einen Weg finden, um zu bleiben. „Spanien ist wunderschön, ruhig und gelassen, aber im Moment ist es schwer“, sagt er. „Wenn es keine Arbeit gibt, müssen wir umziehen.“

Autorin ist Irene Benedicto. Dieser Artikel erschien am 14. Juli 2022 zunächst auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Aranza Maier.

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