Auch in Deutschland sind Geflüchtete Hass ausgesetzt: BuzzFeed News Deutschland sprach mit dieser geflüchteten Ukrainerin, deren Auto zerkratzt wurde.
Es ist nicht das erste Mal, dass Hass dem Krieg entkommen ist. Im Jahr 2014 marschierten russische Truppen in die östliche Region der Ukraine ein, in der seine Familie lebte. Mehr als 13.000 Menschen wurden getötet, 28.000 verwundet und 1,8 Millionen Bewohner:innen der Krim und des Donbass vertrieben, so das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. Sie zogen nach Kiew, ohne zu wissen, dass sie weniger als ein Jahrzehnt später wieder vertrieben werden würden. „Wir haben damals alles verloren, und jetzt zum zweiten Mal“, so Hass.
Am 24. Februar 2022, um 17 Uhr, hörte er die ersten beiden Bombeneinschläge auf dem nahe gelegenen Flughafen. Er beeilte sich, seine Frau, ihre 13-jährige Tochter und ihren Hund ins Auto zu bringen. Sie verbrachten die erste Nacht in einer Tiefgarage, dem nächstgelegenen Bunker, den sie sich vorstellen konnten. Im Morgengrauen erhielt er einen Anruf von einem Nachbarn, der beim ukrainischen Sicherheitsdienst arbeitete. Er forderte Hass auf, Kiew sofort zu verlassen. Sie rannten zur Wohnung, packten, was sie konnten, und flüchteten. So wie auch diese junge Ukrainerin, die von ihrer dramatischen Flucht aus Kiew berichtete.
Er fuhr mit seinem Auto über die Grenze nach Rumänien. Das war das einzige Mal, dass sie nach Dokumenten gefragt wurden, sagte er gegenüber BuzzFeed News US. Dann fuhren sie nach Ungarn, Italien, Frankreich und schließlich nach Spanien. Insgesamt fuhr er 3000 Meilen (etwa 4828 km) von Kiew nach Alicante. Mit Hilfe eines Netzwerks von Freiwilligen auf dem Weg wurden sie zum Bahnhof der Stadt geschickt. Von dort aus vermittelte ihnen das Spanische Rote Kreuz eine vorübergehende Unterkunft: Ein schönes, sauberes Apartment, das sie mit ihrem Hund bewohnen konnten. Nach Angaben der Organisation hat das Rote Kreuz 90.130 Ukrainer:innen bei ihrer Ankunft in Spanien geholfen, das sind zwei von drei Neuankömmlingen.
Asylbewerber:innen aus der Ukraine erhalten nun einen einjährigen vorübergehenden Schutzstatus, sobald sie ihre Ankunft in Spanien registrieren. Vom ersten Tag an dürfen sie arbeiten, und die Erlaubnis kann um ein weiteres Jahr verlängert werden. Nach Angaben des Roten Kreuzes aus der Zeit vor der russischen Invasion in der Ukraine wird jedoch nur 18 Prozent der Antragsteller:innen nach zwei Jahren erfolgreich Asyl gewährt.
Hass ist ein Sonderfall unter den Geflüchteten. 65 Prozent der ankommenden Ukrainer:innen sind Frauen, 34 Prozent sind minderjährig. Es gelang ihm zu fliehen, kurz bevor Männern die Ausreise untersagt und sie zum Militär eingezogen wurden. Am 17. März kam er in Spanien an. Seine Tochter, die gerne malt und Rollschuh fährt und früher in einem Tanzstudio in Kiew Unterricht nahm, geht jetzt in Alicante zur Schule, wo sie neue Freund:innen gefunden hat. „Aber das Problem ist, dass wir nicht wissen, was morgen passieren wird“, sagt ihr Vater. „Sie hat Angst, ihre Freund:innen wieder zu verlieren und wieder von vorne anzufangen.“
Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen argumentieren, dass es für Geflüchtete, die erst kürzlich ein Trauma erlitten haben, noch zu früh ist, um unmittelbar danach nach einem Arbeitsplatz zu suchen. „Sie stehen unter einem absoluten Schock. Sie können nicht länger als einen Monat in die Zukunft denken“, so Antonia Jiménez Milla, Koordinatorin des Beschäftigungsprogramms für Antragsteller:innen und Begünstigte des vorübergehenden internationalen Schutzes beim Spanischen Roten Kreuz.
Als die russische Invasion in der Ukraine begann, übernahm Spanien eine führende Rolle in der humanitären Krise und verpflichtete sich, jährlich 12.000 Flüchtende aufzunehmen. In den ersten vier Monaten des Krieges sammelte das spanische Komitee für die UN-Kommission für Flüchtende 23 Millionen Euro aus privaten Spenden.
Im April, als die Ankunft ukrainischer Geflüchteter ihren Höhepunkt erreichte, verabschiedete Spanien in dem Bemühen, die wirtschaftliche Erholung nach Ende der Covid-Lockdowns zu fördern, ein Gesetz, das befristete Verträge für Arbeitnehmer:innen einschränkt.
Die Änderung betraf Hotels und Restaurants, von denen viele weiterhin nach Schlupflöchern suchen. Jetzt bieten sie unbefristete Verträge, wie den, den Hass unterschrieben hat, zu einem Mindestlohn an. In einigen Fällen ist der Job auch mit der ungeschriebenen Erwartung verbunden, dass ein Arbeitnehmer:innen mehr Stunden als gesetzlich zulässig arbeitet.
Das spanische Parlament will Unternehmen bei der Suche nach Arbeitskräften aus anderen Ländern helfen, um den Arbeitskräftemangel zu beheben. Hostelería de España, der größte spanische Hotel- und Gaststättenkonzern, der landesweit 315.000 Betriebe vertritt, kündigte kürzlich eine Vereinbarung mit der spanischen Kommission für Geflüchtetenhilfe und dem Roten Kreuz an, um eine Online-Plattform für die Auflistung aller offenen Stellen einzurichten.
Die Vereinbarung geriet jedoch ins Stocken, da die humanitären Hilfsorganisationen Bedenken wegen der Ausbeutung von Geflüchteten am Arbeitsplatz äußerten. „Löhne und Verträge müssen mit dem Gesetz übereinstimmen, andernfalls muss der Arbeitnehmer sie kündigen“, sagte Hostelería España gegenüber BuzzFeed News US.
Einige Befürworter:innen befürchten, dass Unternehmen versuchen, die prekäre Lage von Geflüchteten auszunutzen, da diese weder über Ersparnisse noch über ein Unterstützungsnetz verfügen oder ihre Rechte nicht kennen.
Für Hass schien eine offizielle Beschwerde gegen das Restaurant keine realistische Option zu sein. Er weiß, dass seine Situation prekär ist, und befürchtet, dass seine Jobaussichten anderswo beeinträchtigt werden. Missbräuchliche Arbeitssituationen fördern bereits die Rückkehr von Ukrainer:innen in ihr Heimatland, auch wenn der Krieg noch lange nicht zu Ende ist, so Hanna Vakhitova, Professorin an der Kyiv School of Economics. „Wenn die Bedingungen nahe an der Ausbeutung sind, werden sie sich zweimal überlegen, ob das Sinn macht.“
Genau das steht für Hass jetzt auf dem Spiel. Er kündigte seinen Job in dem Restaurant am Ende des ersten Tages. Er möchte nicht in die Ukraine zurückkehren, aber er muss einen Weg finden, um zu bleiben. „Spanien ist wunderschön, ruhig und gelassen, aber im Moment ist es schwer“, sagt er. „Wenn es keine Arbeit gibt, müssen wir umziehen.“
Autorin ist Irene Benedicto. Dieser Artikel erschien am 14. Juli 2022 zunächst auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Aranza Maier.