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Merz wirft Ukrainer:innen „Sozialtourismus“ vor und entfacht erneut „Flixbus-Verschwörung“

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Von: Jana Stäbener

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Für seine Aussagen zum „Sozialtourismus“ von Ukrainer:innen bekommt Friedrich Merz viel Kritik. Im Netz geben sie der „Flixbus-Verschwörung“ neues Futter. Was steckt dahinter?

Nicht nur von Politiker:innen wie Manuela Schwesig (SPD) oder Christian Dürr (FDP), sondern auch auf Twitter muss sich Friedrich Merz (CDU) so einiges zu seinen „Sozialtourismus“-Äußerungen gegen ukrainische Geflüchtete anhören. Er sagte bei Bild TV, dass sich Geflüchtete das System in Deutschland (zum Beispiel Hartz IV) zunutze machen würden.

Mittlerweile hat er sich für seine Äußerungen entschuldigt – trotzdem ebbt die Diskussion um Merz Thesen ähnlich langsam ab, wie damals als Merz Cancel Culture als „größte Bedrohung für Meinungsfreiheit“ bezeichnete. Vor allem auf Twitter fühlen sich gerade rechte Nutzer:innen bestärkt. Ihr scheinbarer Beweis für Merz Thesen: Screenshots von ausgebuchten Flixbusfahrten.

Friedrich Merz Äußerungen zu „Sozialtourismus“ bestärken „Flixbus-Verschwörung“ rechter User:innen

Friedrich Merz, der CDU-Partei- und Unionsfraktionsvorsitzende, hatte bei Bild TV am 26. September gesagt: „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.“ Der Hintergrund dafür sei laut Merz, dass Geflüchtete aus der Ukraine seit Juni die Grundsicherung, also die gleichen Leistungen wie etwa Hartz-IV-Empfänger:innen erhielten. Sie würden dies ausnutzen, so seine Theorie.

Auf diese These stürzen sich Menschen bei Twitter unter dem Hashtag #Flixbus (siehe Tweet hier). Rechte User:innen teilen Screenshots von ihrer Flixbus-App und Aussagen, wie: „Ladet doch einfach mal einen Fahrer von FlixBus ein! Route Kiew-Berlin. Der weiß, wie das so aussieht, wenn man zum Geld holen nicht zum nächsten Geldautomaten in Kiew, sondern ins Sozialamt nach Berlin fährt.“ Ein anderer twittert zur „Flixbus-Verschwörung“: „Ich finde die Bezeichnung #Sozialtourismus noch viel zu verharmlosend dafür, dass organisierte Flixbus-Banden aus der #Ukraine die deutschen Sozialkassen plündern.“

Für die junge Ukrainerin Valeria klängen die Vorwürfe von „Sozialtourismus“ wohl wie ein schlechter Witz. Für sie war die Flucht aus der Ukraine dramatisch. „Mein Leben bricht auseinander“, sagt die TikTokerin über ihre Flucht aus Kiew.

Friedrich Merz und Flixbus.
Nach Friedrich Merz Äußerungen zum „Sozialtourismus“ der Ukrainer:innen, kocht die „Flixbus-Verschwörung“ im Netz wieder hoch. Ukrainer:innen sollen mit Bussen von der Ukraine nach Deutschland fahren und so illegale Sozialleistungen beziehen – so die Theorie (Symbolbild). © Michael Kappeler/dpa/Manfred Segerer/IMAGO/Collage

Flixbusfahrten in die Ukraine: „Vielleicht ist es einfach Sorge um die eigenen Angehörigen“

Tatsächlich sind Flixbusfahrten in der App von Berlin nach Kiew (im Vergleich mit beispielsweise der Strecke Berlin – Warschau) über Wochen im Voraus ausgebucht. Doch dass das nicht unbedingt an Hartz-IV-Betrug liegen muss, dürfte klar sein. Der Justizminister Marco Buschmann schreibt dazu etwa: „Wenn Menschen teils unter Lebensgefahr zwischen Deutschland und der Ukraine pendeln, dann ist das kein #Sozialtourismus. Vielleicht ist es einfach Sorge um die eigenen Angehörigen, den eigenen Mann oder Vater, die Militärdienst leisten, oder die eigene Heimat?“

AfD-Abgeordnete wie René Springer und andere Twitter-User:innen nehmen Aussagen wie die von Buschmann nicht hin. „Mich würde ja mal die alternative Erklärung der Journalisten für die ausgebuchten Flixbus-Linien nach Kiew interessieren, wenn nicht #Sozialtourismus der Grund ist“, twittert der Arbeits- und sozialpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion mit dem Hashtag #Flixbus.

Wir von BuzzFeed News DE fragen bei Flixbus nach und bekommen die Antwort: „Wir sehen bereits seit Monaten eine starke Nachfrage für FlixBus-Fahrten zwischen der Ukraine und Deutschland. Das zeigt die Bedeutung, die Mobilität für die Menschen vor Ort in der aktuellen Zeit hat.“ Außerdem verweist ein Sprecher auf eine Recherche von Correctiv, zum angeblichen Hartz-IV-Betrug durch Ukrainer:innen, die per Flixbus einreisen. Auch hier habe man schon Auskunft gegeben.

In einem Fake-News-Ticker zum Ukraine-Krieg sammelten wir von BuzzFeed News DE in den vergangenen Monaten noch mehr Fehlinformationen, die im Netz rund um Russland und die Ukraine kursierten.

Ursprungsquelle zu Hartz-IV-Betrug und „Flixbus-Verschwörung“ ist eine Sprachnachricht

Correctiv konnte als Ursprungsquelle für den angeblichen Hartz-IV-Betrug und die „Flixbus-Verschwörung“ eine Sprachnachricht identifizieren. In der heißt es, Ukrainer:innen kämen angeblich mit dem Flixbus nach Deutschland und würden hier sogar ohne eine Meldeadresse Hartz IV beziehen und sofort wieder in die Ukraine zurückfahren. „Die Ämter“ seien angewiesen, wegzuschauen und würden den Betrug dulden, so die Behauptung. Als Quelle wird in der Nachricht der Nachbar „Frank“, beziehungsweise dessen Sekretärin genannt – sie habe Familie in der Ukraine.

Für Hartz IV (oder auch Arbeitslosengeld II) brauche es in Deutschland eine Meldeadresse, teilt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) Correctiv mit. „Ohne dauerhafte Anwesenheit in der Bundesrepublik besteht folglich auch für neu aus der Ukraine eingereiste Menschen kein Leistungsanspruch“, dementiert das BMAS die Theorie. Ein Pressesprecher der Arbeitsagentur betont zudem, dass es auffalle, wenn sich Menschen mit Hartz IV nicht im Land aufhalten oder hier keine Meldeadresse haben – denn ihnen keine Post zugestellt werden könne.

Das Unternehmen Flixbus teilte Correctiv auf die Frage, ob man beobachte, dass Menschen aus der Ukraine bereits nach wenigen Tagen wieder mit dem Flixbus in die Ukraine zurückreisten, mit, dass „keine Auffälligkeiten bekannt“ seien.

Rund um den Ukraine-Krieg wurden immer wieder Falschnachrichten verbreitet. Wir sammeln 11 Fake News zum Ukraine-Krieg, die erschreckend erfolgreich waren.

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