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„Mindestens 40 Prozent“: Die Frauenquote von Steinmeier zum Verdienstorden ist ein Witz

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Von: Felicitas Breschendorf

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verleiht den Verdienstorden an die Bildungsaktivistin Gloria Boateng aus Schleswig-Holstein.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verleiht den Verdienstorden an die Bildungsaktivistin Gloria Boateng aus Schleswig-Holstein. © Wolfgang Kumm/ dpa/ Collage/ BuzzFeed News Deutschland

MEINUNG

Von denen verliehenen Verdienstorden gehen nur rund 30 Prozent an Frauen. Bundespräsident Steinmeier fordert jetzt eine Frauenquote von unglaublichen 40 Prozent. Ernsthaft? 

Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich für einen Pflichtdienst aussprach, will bei der Vergabe von Verdienstorden eine Frauenquote von mindestens 40 Prozent einführen. Das berichtete die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Im vergangenen Jahr waren nach einer öffentlichen Statistik des Bundespräsidenten 34 Prozent der Preisträger:innen Frauen. In den Jahren davor sah es ähnlich bis schlechter aus. Es kommt mir so vor, als wollte Steinmeier uns mit seiner Anhebung des Frauenanteils um etwa zehn Prozent verarschen. Was ist so schwer daran, die Quote auf faire 50 Prozent festzulegen?

Um was geht es bei den Verdienstorden?

Zu den Verdienstorden gehören verschiedene Verdienstkreuze der Bundesregierung. Das bekannteste ist das Bundesverdienstkreuz. Steinmeier verleiht die Verdienstorden an in- und ausländische Bürger:innen „für politische, wirtschaftlich-soziale und geistige Leistungen“, wie es auf der Seite des Bundespräsidenten heißt. Darüber hinaus werden die Verdienstorden demnach für „alle besonderen Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland, wie zum Beispiel im sozialen und karitativen Bereich“ verliehen.

Jede Bürger:in kann laut dpa eine andere Person für die Auszeichnung mit dem Verdienstorden vorschlagen. Der Vorschlag ist an die Staats- oder Senatskanzlei des jeweiligen Bundeslandes zu richten. Diese prüfen die Ordensanregung und geben sie dann zur Entscheidung an den Bundespräsidenten weiter. Steinmeier erwartet nun von den Staats- und Senatskanzleien, dass ihre Vorschläge künftig mindestens 40 Prozent Frauen enthalten. Solange das nicht der Fall ist, müssten in der Konsequenz Männer länger auf eine Auszeichnung warten.

Steinmeiers Verdienstorden-Frauenquote vs. die Anzahl von Frauen

Im Jahr 2021 lebten laut Statistischem Bundesamt 42.170.000 Frauen und 41.067.000 Männer in Deutschland – also sogar eine Million mehr Frauen als Männer. Durch den Krieg in der Ukraine sei die Zahl der Frauen noch weiter gestiegen, weil die meisten Geflüchteten weiblich sind. Im 1. Halbjahr 2022 kamen 1,2 Prozent mehr Frauen hinzu, wie das Statistische Bundesamt angibt. Bei Männern seien es nur 0,8 Prozent.

Es wäre also schlicht und einfach gerecht von Steinmeier, mindestens die Hälfte der Verdienstorden an Frauen zu verleihen.

Frauen verdienen mehr Anerkennung als eine Frauenquote von „nur“ 40 Prozent

„Frauen leisten Großes in unserer Gesellschaft“, sagte Steinmeier am Mittwoch. „Ob in Vereinen, Unternehmen, an Universitäten oder in der Kultur – Frauen sorgen für Zusammenhalt, Menschlichkeit, Fortschritt und Kreativität“ Dafür gebühre ihnen Dank, „aber auch mehr sichtbare Anerkennung“.

Sehen 40 Prozent für Steinmeier nach sichtbarer Anerkennung so aus, die Frauen ohnehin schon fehlt?

Frauen sind in vielen gesellschaftlichen Bereichen, die er erwähnt, weiterhin unterrepräsentiert. Der Anteil an Professorinnen etwa lag an den fünfzig größten staatlichen Universitäten in Deutschland im Jahr 2018 laut dem Portal Zeitgeschichte gerade einmal bei 23 Prozent. Die Physikerin Jess Wade versucht deshalb Frauen in der Wissenschaft mit Wikipedia-Artikeln sichtbar zu machen.

Steinmeier hingegen hilft Frauen nicht dabei, eine größere Öffentlichkeit zu bekommen, wenn er ihnen „nur“ 40 Prozent an Raum zugesteht.

Frauen sind stärker benachteiligt als Männer – und sollen trotzdem weniger Verdienstorden bekommen?

Der Frauenanteil in Vorstandsgremien von Deutschlands börsennotierten Unternehmen lag laut EY im Juli dieses Jahres bei 14,1 Prozent. Hinzukommt, dass Frauen in der Arbeitswelt schlechter behandelt werden als Männer. Caroline Farberger, trans* Frau und CEO, hat dazu BuzzFeed News DE von ihren Erfahrungen berichtet. Sie selbst leitete zuerst als Mann und nach ihrer Transition als Frau ein schwedisches Versicherungsunternehmen.

Stichwort Gender Pay Gap: Frauen bekommen auch immer noch weniger Gehalt als Männer. Schon Schüler:innen sind sich bewusst, dass sie später weniger verdienen. Auch insgesamt kann man sagen, dass Frauen mehr zu kämpfen haben als Männer: „Die Zahl der Femizide, Vergewaltigungen und sexualisierter Gewalttaten ist weiterhin ungebrochen hoch“, sagt der Soziologe und Männlichkeitsforscher Rolf Pohl im Interview mit BuzzFeed News DE. Für ihn liegt das ganz klar daran, dass wir in Sachen Gleichberechtigung immer denken, wir seien schon weit genug. Dabei seien wir es eben nicht, sagt er.

Eine Quote, die offiziell unter dem 50:50-Anteil an Frauen in der Bevölkerung bleibt, fühlt sich deswegen falsch, ja gar rückschrittlich an. Als würde man resignieren, was Gleichberechtigung anbelangt. Frauen haben endlich mehr Beachtung verdient – auch durch Verdienstorden. Lieber Herr Steinmeier, wie wäre es also mit einer Quote von 50 Prozent?

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