Mit einer geheimen Schule wehrt sich eine junge Frau in Afghanistan gegen die Taliban
Weil die Taliban es für Mädchen unmöglich machen, zur Schule zu gehen, nimmt Sodaba Nazhand die Sache selbst in die Hand und unterrichtet im Geheimen.
Sie konnte den Taliban nur eine gewisse Zeit lang entgehen, bevor sie schließlich in einer Polizeistation in Kabul von ihnen verhört wurde. Sodaba Nazhand wusste, dass sie vorsichtig sein musste – nicht nur ihre persönliche Sicherheit war in Gefahr, sondern auch eine geheime Operation, die sie erst vor wenigen Monaten begonnen hatte.
Denn Nazhands macht etwas, das normalerweise nicht als illegal angesehen werden würde: unterrichten. Aber sie unterrichtete heimlich Mädchen im Grundschulalter und Straßenkinder und widersetzte sich damit dem Verbot der Taliban, wonach Mädchen nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen dürfen. Es trat vor mehr als einem Jahr in Kraft.
Nachdem sie drei Monate lang eine Gruppe von Mädchen und Straßenkindern in einem nahe gelegenen Park in Kabul unterrichtet hatte, hängte Nazhand ein Plakat in der Gegend auf, um weitere Schüler:innen zu ermutigen, sich anzumelden. Das erregte die Aufmerksamkeit der Taliban-Wachen, die sie verhörten, um herauszufinden, was genau sie da tat. Nazhand konnte sie davon überzeugen, dass sie Straßenkindern Religionsunterricht gab und ihnen nur wenig Allgemeinwissen beibrachte.

Das Interesse an Sodaba Nazhands Schule ist groß
Eine Zeit lang funktionierte es. In den folgenden Wochen zog ihre geheime Mädchenschule immer mehr Schülerinnen an, darunter auch die Tochter eines Taliban-Befehlshabers aus der nordafghanischen Provinz Kundus, die wegen des Krieges und der strengen Ideologie ihres Vaters nie zur Schule hatte gehen können.
Schließlich landete die mutige junge Frau jedoch im Polizeipräsidium, wo sie von den Taliban verhört wurde. Sie versuchten herauszufinden, ob sie mit einer ausländischen Hilfsorganisation oder Agentur in Verbindung stand. „Ich sagte den Taliban, dass es nur darum geht, Straßenkinder zu unterrichten“, so Nazhand gegenüber BuzzFeed News US. „Frauen oder ältere Mädchen würden nur für den Religionsunterricht kommen, nicht für andere Schulfächer.“
Nachdem sie freigelassen wurde, unterrichtete Nazhand drei Monate lang in einem Park, bevor ortsansässige Freiwillige für sie ein geschütztes Klassenzimmer fanden, in dem sie dem rauen Winterwetter trotzen kann.

Sogar die Tochter eines Taliban-Befehlshabers besucht Sodaba Nazhands Schule
Jetzt unterrichtet die 21-Jährige aus Kabul mehr als 100 Mädchen, die die sechste Klasse überschritten haben, in Naturwissenschaften und Englisch. Unter ihnen sind auch einige Straßenkinder. Nazhands Träume, akademisch mal was aus sich zu machen, sind seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 dahin. Seitdem müssen sich Frauen überall – auch im Fernsehen – komplett verschleiern, und haben kaum noch Rechte.
Was sie tut, wird von den Taliban nicht gebilligt. Die Wachen befahlen ihr, ihr Schild an der Schule zu entfernen. Sie musste ihren Bruder bitten, täglich beim Unterricht anwesend zu sein, um die Anweisung der Taliban zu erfüllen, dass ein Mann die Leitung innehat. Die Tochter des Taliban-Kommandeurs muss extreme Maßnahmen ergreifen, um ihre Identität zu verbergen. „Sie war nie in einer Schule eingeschrieben, aber jetzt hat sie die Möglichkeit gefunden, sich weiterzubilden“, so Nazhand.
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Mehrere islamische Geistliche verurteilen das Schulverbot für Mädchen
Vor mehr als 400 Tagen gaben die Taliban bekannt, dass Mädchen ab der sechsten Klasse nicht mehr zur Schule gehen dürfen, bis die Führung des Regimes eine längerfristige Entscheidung trifft. Das weckten Erinnerungen an die Zeit vor 20 Jahren, als die Taliban Frauenrechte untergruben und sie so aus dem öffentlichen Leben ausschlossen.
Das von den Taliban verhängte Schulverbot und andere frauenfeindliche Maßnahmen wurden von führenden Politiker:innen aus aller Welt, darunter auch von führenden islamischen Geistlichen, scharf verurteilt. Sogar innerhalb des Taliban-Regimes selbst herrscht wenig Einigkeit über das Verbot. Vor einigen Wochen kritisierte der stellvertretende Außenminister der Taliban, Sher Mohammad Abbas Stanikzai, der über zwei Jahre lang die Friedensverhandlungen mit den USA führte, die Schließung von Schulen im Namen des Islam. So überzeugte er zumindest indirekt die radikalen Fraktionen der Taliban, einige Schulen wieder zu öffnen.
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„Ein Jahr des verlorenen Wissens und der verlorenen Möglichkeiten“
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan herrschte laut AP News unter den Einwohner:innen vorsichtiger Optimismus, als das neue Regime während der Friedensverhandlungen mit den Vereinigten Staaten im Sommer 2021 versprach, die Rechte von Frauen zu achten und keine Einschränkungen für die Bildung von Mädchen einzuführen. Nur wenige Monate zuvor hatten der US-Außenminister und seine westlichen Amtskollegen in einer gemeinsamen Erklärung das Unterrichtsverbot der Taliban verurteilt.
Am ersten Jahrestag des Verbots sagte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, im Oktober 2022, dass die vergangenen zwölf Monate „ein Jahr des verlorenen Wissens und der verlorenen Möglichkeiten sind, die sie nie zurückbekommen werden“.

„Es liegt in ihrem Interesse, Frauen einzuschränken, weil sie es bei Männern nicht tun können.“
Im Juli kündigten die Taliban laut Tolo News ein Treffen von verschiedenen Geistlichen an, um über das Fortbestehen des Bildungsverbots zu entscheiden. Doch nur zwei Geistliche sprachen sich für die Bildung von Mädchen aus. Seitdem haben die Taliban keine weiteren Anstalten gemacht, einen Kompromiss zu finden.
„Anfangs hatten wir die Hoffnung, dass sie die Schulen wieder öffnen würden, aber mit der Zeit haben wir festgestellt, dass sie etwas anderes vorhaben. Sie erlassen einfach jeden Tag frauenfeindliche Urteile“, sagt Nazhand. „Ich glaube nicht, dass sie bereit sind, Schulen wieder zu öffnen.
Die Taliban haben kein Problem mit Mädchenschulen, aber sie wollen sie politisch ausnutzen. Sie wollen ihre Herrschaft über die Gesellschaft fortsetzen, indem sie Schulen für Mädchen verbieten. Es liegt in ihrem Interesse, Frauen einzuschränken, weil sie es bei Männern nicht tun können.“ Eine junge Frau setzte sich gegen diese frauenverachtende Politik der Taliban ein und landete in Haft.
UNICEF-Bericht zeigt: Mädchen gingen bereits vor der Machtübernahme der Taliban weniger zur Schule
Nach der US-Militärintervention in Afghanistan Ende 2001, durch die die Taliban entmachtet wurden, gab es in dem vom Krieg gezeichneten Land eine Reihe von sozioökonomischen Reformen und Wiederaufbauprogrammen. Die 2004 verabschiedete neue Verfassung erweiterte das Recht der Frauen, zur Schule zu gehen, zu wählen, zu arbeiten, in zivilen Einrichtungen mitzuwirken und zu protestieren. Im Jahr 2009 kandidierten erstmals in der Geschichte des Landes Frauen für das Präsidentenamt. Doch die vier Jahrzehnte des Krieges und der Feindseligkeiten haben der grundlegenden Infrastruktur Afghanistans massiv geschadet – und auch dem Bildungswesen des Landes.
Schon vor der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 ging aus einem Bericht von UNICEF hervor, dass in Afghanistan mehr als 4,2 Millionen Kinder nicht zur Schule gehen (60 Prozent davon Mädchen). Obwohl Mädchen und Jungen gleichermaßen hohe Einkommensverluste erleiden, wenn sie nicht zur Schule gehen, ist die fehlende Schulbildung von Mädchen besonders kostspielig. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und der Wahrscheinlichkeit, dass Schülerinnen später heiraten, Kinder bekommen, am Erwerbsleben teilnehmen, Entscheidungen über ihre eigene Zukunft treffen und später mehr in die Gesundheit und Bildung ihrer eigenen Kinder investieren.
Die Analyse zeigt, dass Afghanistan nicht in der Lage sein wird, das während des Umbruches verlorene Bruttoinlandsprodukt zurückzugewinnen und sein ganzes Produktivitätspotenzial zu erreichen, wenn Mädchen nicht das Recht auf eine weiterführende Schulbildung erhalten und diese auch abschließen können. UNICEF schätzt außerdem, dass die derzeitige Zahl von drei Millionen Mädchen, wenn sie ihre Sekundarschulbildung abschließen und am Arbeitsmarkt teilnehmen könnten, einen Beitrag von mindestens 5,4 Milliarden Dollar zur afghanischen Wirtschaft leisten würden.
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Taliban hindern Frauen in ganz Afghanistan an der Arbeit
„Die meisten weiblichen Regierungsangestellten wurden angewiesen, zu Hause zu bleiben, mit Ausnahme derjenigen, die in bestimmten Bereichen wie Gesundheit und Bildung arbeiten“, heißt es in einem Amnesty-Bericht. „In der Privatwirtschaft wurden viele Frauen aus hochrangigen Positionen entlassen. Die Politik der Taliban scheint zu sein, dass sie nur Frauen, die nicht durch Männer ersetzt werden können, weiterarbeiten lassen. Frauen, die weiterhin arbeiten, hätten es in Bezug auf ihre Kleidung und ihr Verhalten äußerst schwer. Ärztinnen dürften zum Beispiel keine männlichen Patienten behandeln oder nicht mit männlichen Kollegen interagieren.
„Als die Taliban vor zwanzig Jahren die Kontrolle über Afghanistan übernahmen, haben sie als Erstes den Frauen den Zugang zur Bildung verboten“, sagt Nazhand. „Die Taliban sorgten dafür, dass viele Frauen von der Außenwelt abgeschottet und als Analphabetinnen lebten. Das Ergebnis war eine gelähmte und rückständige Gesellschaft. Wir sollten nicht vergessen, dass die Taliban noch immer unter der radikalen und eingeschränkten Denkweise leiden, die sie vor 20 Jahren an den Tag legten. Wir sollten nicht die Frauen bleiben, die wir vor 20 Jahren waren, und wir werden nicht schweigen.“

Sicherheitsbedrohungen und Terroranschläge sind für Student:innen in Afghanistan ebenfalls ein großes Thema. Ende Oktober verübte ein Selbstmordattentäter einen Anschlag auf eine Klasse mit über 500 Schüler:innen im Westen Kabuls und tötete mindestens 54 Absolvent:innen, darunter laut UN auch 54 junge Mädchen. Der Anschlag war der zweite tödliche Angriff auf Bildungseinrichtungen im Land, seitdem die Taliban die Macht übernommen hatten.
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Taliban beschränken sich bei Frauen nicht nur auf Bildungs-Verbote
Das harte Vorgehen der Taliban gegen afghanische Frauen beschränkt sich nicht auf das Verbot von Bildung für Mädchen nach der sechsten Klasse. Nach der Machtübernahme hat das Regime auch das afghanische Frauenministerium und die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission abgeschafft.
Anfang dieses Monats ordnete Richard Bennett, UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in Afghanistan, in seinem ersten Bericht an den Menschenrechtsrat die Menschenrechtsverletzungen unter den Taliban seit der Machtübernahme im August 2021 ein. Dazu gehören eine starke Einschränkung der Rechte von Frauen und Mädchen, die Verfolgung von Gegner:innen und Kritiker:innen, Angriffe auf Minderheiten wie LGBTQIA+-Menschen oder auch die schiitischen Hazara und ein hartes Vorgehen gegen die Medien.
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Afghanische Frauen kämpfen weiterhin für ihre Freiheit
„In keinem anderen Land sind Frauen und Mädchen so schnell aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens verschwunden. Trotzdem stehen Frauen und Mädchen weiterhin an vorderster Front bei den Bemühungen um die Aufrechterhaltung der Menschenrechte und fordern weiterhin Gerechtigkeit“, schreibt Bennett in seinem Bericht für den UN-Menschenrechtsrat.
„Zwischen 1996 und 2001, als die Taliban an der Macht waren, wurden die Schulen für Mädchen geschlossen“, schreibt Bennett. „Trotz ihres Versprechens, allen afghanischen Mädchen nach dem 21. März 2022 die Rückkehr in die Schule zu ermöglichen, kündigten sie zwei Tage später an, dass die weiterführenden Schulen für Mädchen geschlossen bleiben würden. Angeblich, bis die Schulregeln und die Uniformen den Grundsätzen des islamischen Rechts und der afghanischen Kultur entsprechen.
Die Sonderberichterstatterin stellt mit großer Besorgnis fest, dass dies Mädchen den Zugang zu weiterführenden Schulen unmöglich macht. Sekundarschulen für Mädchen sind in 24 von 34 Provinzen geschlossen, was etwa 850.000 Mädchen vom Schulbesuch abhält.“ Nazhand sagt, dass, wie auch sie, alle Frauen in Afghanistan immer noch auf die Hilfe der restlichen Welt hoffen, genauso wie auch die Frauen im Iran, denen Joko und Klaas deshalb ihre Reichweite schenkten.
Autor ist Syed Zabiullah Langari. Der Artikel erschien am 13. November auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Friederike Hilz.