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Männlichkeitsforscher: „Zwischen Sexismus und Flirten gibt es keinen fließenden Übergang“

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Von: Jana Stäbener

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Was steckt eigentlich hinter all den sexistischen Kommentaren, die sich Frauen im Internet gefallen lassen müssen? BuzzFeed News fragt den Männlichkeitsforscher Rolf Pohl.

Sexismus und Frauenhass im Internet beschränken sich nicht nur auf Andrew Tate. Gerade für viele Frauen in der Öffentlichkeit sind sexistische Beleidigungen und Drohungen nichts Ungewöhnliches. Bei manchen Politikerinnen wie Ricarda Lang oder Aktivistinnen wie Luisa Neubauer gehören vor Hass triefende Kommentare fast schon zur Tagesordnung. So auch einer des rechten Autors Akif Pirinçci, den das Landgericht Frankfurt 2021 sogar als Verletzung des Persönlichkeitsrechts wertete. Weil er seiner Entschädigungszahlung nicht nachkam, ließ Luisa Neubauer das Geld nun von Pirinçcis Konto pfänden.

„Teilweise ist der Hass so heftig, dass es sprachlos macht. Aber ich werde ganz bestimmt nicht verstummen, nur weil es Hasskampagnen und Hetze im Netz gibt“, sagte Neubauer damals zum Spiegel. Doch das Problem Frauenhass beschränkt sich nicht nur auf das Internet. Auch reale Gewalt gegen Frauen hat ihren Ursprung meist in Frauenhass. Sie wird momentan an der Situation im Iran sichtbar, die Frauen weltweit mit Stolz und Angst beobachten.

„Die Zahl der Femizide, Vergewaltigungen und sexualisierter Gewalttaten ist weiterhin ungebrochen hoch“, sagt der Soziologe und Männlichkeitsforscher Rolf Pohl im Interview mit BuzzFeed News DE und erklärt uns, dass Männlichkeit in der Krise steckt. Wir fragen ihn, warum das so ist und ob es ihn eigentlich wundert, dass einige Menschen in Deutschland sogar googeln, ab wann Flirten übergriffig ist.

Proteste in München, die Gewalt gegen Frauen, Antifeminismus und Frauenhass thematisieren.
Auf dieser Demonstration protestieren auch Männer gegen Frauengewalt. Laut Soziologe Rolf Pohl muss sich eine neue Männlichkeit entwickeln, die „eben nicht überlegen, besser und stärker sein muss als Weiblichkeit.“ © IMAGO/Sachelle Babbar/ZUMA Wire

Weibliche Prominente müssen sich im Internet häufig sexistische Beleidigungen anhören – zum Beispiel Luisa Neubauer. Woran liegt das ihrer Meinung nach?

Das Internet und Social Media bieten einer bestimmten Gruppe, also meist Männern zwischen 15 und 35, den idealen Raum für die Entfaltung ihrer Frauenhass-Impulse. Dort fühlen sie sich geschützt, sind relativ anonym. Und bei bekannten Frauen kommt ihre Wichtigtuerei besonders zur Geltung. Sie haben dann das Gefühl, ihr Frauenhass fällt auf eine breite, allgemein akzeptierte Basis und lassen ihn dann einfach raus.

Also steckt hinter solchen Beleidigungen ein Grundproblem – und das ist Frauenhass?

Genau. Für Frauenfeindlichkeit, auch Misogynie genannt, ist in Gesellschaften mit männlicher Vorherrschaft das Potenzial schon immer da. Und durch Social Media wird sie kanalisierbar. Natürlich kann es auch sein, dass sich Frauenfeindlichkeit durch soziale Netzwerke noch verstärkt und noch pointierter und zielgerichteter wird. Aber da war sie im Grunde genommen schon immer.

Warum existiert Frauenfeindlichkeit in unserer heutigen Gesellschaft überhaupt noch?

Weil wir, was die gleichstellungspolitischen Fortschritte anbelangt, noch lange nicht so weit sind, wie wir glauben. Immer wieder gibt es Rückschritte und Gegenbewegungen, die ihren Ursprung vor allem in einer „Krise der Männlichkeit“ haben, die sich gefühlt in den letzten zehn Jahren stark zugespitzt hat.

Das müssen Sie genauer erklären.

Die traditionellen Rollenmuster und Selbstbilder von Männern sind in die Krise geraten. Das, woraus die ehemals „starke Männlichkeit“ ihre Daseinsberechtigung zieht, also die lebenslange Erwerbstätigkeit als Familienernährer – die gibt es nicht mehr. Damit ist der Mann in eine Legitimationskrise geraten. Wie soll er heute noch den „starken Macker“ markieren? Antifeminismus verstärkt diese Frauenfeindlichkeit, indem „die“ Frauen für diese gefühlte Krise verantwortlich gemacht werden.

Dass die Männlichkeit in eine Krise geraten ist, könnte man an diesen toxischen Bootcamps sehen, in denen Männer „zur Bestie werden“ wollen.

Soziologe Rolf Pohl von der Leibniz Universität Hannover.
Soziologe Rolf Pohl lehrte bis 2017 an der Leibniz Universität Hannover. Seine Schwerpunkte: Politische Psychologie, Geschlechter- und Männlichkeitsforschung. © Isabelle Hannemann

Nutzen Influencer wie Andrew Tate, die ja mittlerweile schon auf vielen Plattformen gesperrt wurden, diese „Krise der Männlichkeit“ als Geschäftsmodell?

Die Mischung aus Lifestyle und Männlichkeit, also dieses „Wie bin ich als Mann erfolgreich“ – genau das scheint bei vielen jungen, heterosexuellen Männern einen Nerv zu treffen. Gerade bei denen, die vielleicht unsicher sind und sich fragen, wie sie sowohl in der Berufswelt als auch bei Frauen erfolgreich sein können. Genau denen spielt Tate ja etwas vor. Eigentlich ist es erbärmlich, was er sagt, aber er ist nun mal ein Kind dieser Zeit: Die traditionelle Vorstellung von Männlichkeit gerät in die Krise und Männer wie Andrew Tate, Pick-Up-Artists oder gar gewalttätige Incels (Abkürzung für „involuntary celibate men“, also für unfreiwillig im Zölibat lebende Männer, Anm. d. Red.) versuchen, die alte, dominante Form der Alpha-Männlichkeit wiederherzustellen. Dabei hat es diese nie wirklich gegeben.

Können Männer ihre Identität nicht einfach wieder neu definieren?

Es gibt viele interessante Ansätze, die genau das versuchen. Gerade Diskussionen über Diversität und Bewegungen, die eben nicht so toxisch und gefährlich sind, wie die Alpha-Männlichkeit, beweisen das. Aber die Diversität in unserer Gesellschaft muss von der breiten Masse noch mehr angenommen werden. Dass das nicht der Fall ist, sieht man daran, dass queere Menschen aktuell so stark angegriffen werden. Eine Grenzverschiebung zwischen den Geschlechtern wird vonseiten mancher Männer einfach nicht akzeptiert. Wir als Gesellschaft müssen lernen, fließende Grenzen und Unsicherheiten zuzulassen. Wir müssen annehmen, dass Geschlechterrollen eben auch nur künstliche Konstrukte sind.

Männer müssen also eine neue Art der Männlichkeit entwickeln.

Ja, das ist das Entscheidende: Wie kann eine neue Männlichkeit entwickelt werden, die eben nicht überlegen, besser und stärker sein muss als Weiblichkeit. Selbst heute noch wachsen Jungen in dem Glauben auf, besser und wichtiger als Mädchen sein zu müssen. Und genau hier lauert die Gefahr, denn hier entsteht dann Gewalt gegen Frauen. Und diese Gewalt ist heute nicht weniger stark als noch vor 50 Jahren. Die Zahl der Femizide, Vergewaltigungen und sexualisierter Gewalttaten ist weiterhin ungebrochen hoch.

Warum ist das so?

Wir haben nicht zu viel Macht von Frauen, sondern zu wenig. Es braucht noch eine ganze Weile, bis Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt sind. Das zeigen das Gender Pay Gap genauso wie der immer noch geringe Anteil von Frauen in Führungspositionen. Alle Gleichstellungsbemühungen, die wir heute haben, sind zwar ein Schritt in die richtige Richtung – sie verändern aber nichts an der Dominanz des Männlichen als Prinzip. Wenn sich an der nichts ändert, verunsichern Gleichstellungsbemühungen viele Männer noch mehr, denn sie fühlen sich von der Macht, die Frauen heute haben, geradezu bedroht. Das zeigt sich übrigens nirgends so sehr, wie auf dem Feld der Sexualität.

Wundert es Sie vor diesem Hintergrund, dass einige Menschen in Deutschland googeln, ab wann Flirten übergriffig ist?

Wenn man mal davon ausgeht, dass es Männer sind, die das googeln, dann unterstreicht das, wie viel Verunsicherung herrscht und wie stark Sexualität mit der „Krise der Männlichkeit“ zusammenhängt. Das Seltsame ist: Fragt man Männer in Umfragen, dann wissen die meisten, wo Flirten aufhört und wo Sexismus anfängt. Zwischen Sexismus und Flirten gibt es keinen fließenden Übergang. Flirten ist dann übergriffig, wenn sich der Mann eine Ebene über die Frau stellt, sie auf ihr Frau-Sein reduziert und ihr gegenüber sexuell aggressives Verhalten zeigt. Flirten muss immer auf Augenhöhe geschehen – tut es das nicht, ist es Sexismus.

Glauben Sie, unsere Gesellschaft schafft es irgendwann aus der „Krise der Männlichkeit“ und besiegt Frauenfeindlichkeit?

Obwohl das natürlich ein Ideal in der Fantasie bleibt, müssen wir uns als Gesellschaft schon das Ziel setzen, es zu erreichen. Wie schaffen wir das: Zum Großteil sicher durch Erziehung! Wir müssen versuchen, ein Männlichkeitsbild zu entwickeln, das die eigene Männlichkeit immer wieder hinterfragt, aber nicht ständig unter Beweis stellen muss. Ziel ist es, dass wir Unterschiede zwischen den Geschlechtern irgendwann nur noch wahrnehmen und nicht mehr ab- oder aufwerten, wie wir es heute unbewusst noch immer tun.

Beim toxischen Beziehungstrend „Negging“ muss sich ein:e Partner:in (meistens die Frau) verletzende Komplimente anhören – ihr Selbstwertgefühl rauscht in den Keller.

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