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„Ich wusste, dass es so weit kommen würde“: Frauen verfolgen weltweit mit Stolz und Angst die Proteste im Iran

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Demonstrant:innen halten Bilder der verstorbenen iranischen Kurdin Mahsa Amini und Collagen, auf denen blutige Hände abgebildet sind, hoch
Die 22-jährigen Mahsa Amini starb in Polizeigewahrsam, seitdem häufen sich die weltweiten Proteste gegen die iranische Sittenpolizei. © Ervin Shulku/ZUMA Wire/IMAGO/Sayed Najafizada/NurPhoto/IMAGO

Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini  demonstrieren Tausende Menschen gegen die Diskriminierung von Frauen. Die iranische Regierung greift durch, es gibt Festnahmen und Tote auf beiden Seiten.

In der Woche, seit Mahsa Amini, eine 22-jährige iranische Kurdin, in Teheran in Polizeigewahrsam starb, verfolgte Pegah die Proteste in ihrem Heimatland mit Ehrfurcht, Hoffnung, Angst und einem Anflug von Scham. Pegah, 39, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, weil sie Angst um ihre in den Iran reisenden Familienangehörigen hatte, sah die Videos von Frauen, die sich nach dem Tod von Mahsa Amini die Haare schneiden und ihre Hijabs in der Öffentlichkeit verbrennen.

Sie sah, wie Menschenmassen den „Tod des Diktators“ forderten, und beobachtete, wie Menschen aus dem Iran ihr Leben riskierten, um sich bewaffneten Sicherheitskräften entgegenzustellen. „Ich schäme mich sehr dafür, dass ich nicht dabei war. Gleichzeitig finde ich es sehr mutig, und ich glaube nicht, dass ich den Mut hätte, das zu tun“, sagt sie BuzzFeed News US.

Als sie erfuhr, dass Amini (die auch unter ihrem kurdischen Namen „Jina“ bekannt war) gestorben war, nachdem sie von der Sittenpolizei verhaftet worden war, da sie ein Kopftuch „unangemessen“ getragen hatte, war Pegah schockiert. Sie hatte den Iran mit 23 Jahren in Richtung Edmonton, Alberta, verlassen. Die Behörden erklärten, Amini sei an einem Herzinfarkt gestorben und ins Koma gefallen. Sie bestritten, dass sie in der Haft geschlagen worden war. Die Darstellung von Aminis Tod durch die Polizei, wurde von ihrer Familie und der Öffentlichkeit weitgehend nicht akzeptiert.

Demonstration in Kopenhagen zur Unterstützung der iranischen Proteste für Freiheit und gegen Gewalt nach der Ermordung der jungen Mahsa Amini durch iranische Sittenpolizisten.
Demonstration in Kopenhagen zur Unterstützung der iranischen Proteste für Freiheit und gegen Gewalt nach dem Tod der jungen Mahsa Amini. © IMAGO/Thibault Savary / Le Pictorium

Weltweite Proteste nach Mahsa Aminis Tod: „Jede:r erinnert sich an eigene negative Erfahrungen mit der Sittenpolizei“

Aminis Tod und die Umstände ihres Todes brachten Pegahs eigene traumatische Erlebnisse im Zusammenhang mit der Sittenpolizei zurück, deren Aufgabe es ist, islamische Kleidungsvorschriften und Moralvorstellungen durchzusetzen, wie Reuters berichtet. Dabei haben sie es oft auf Frauen abgesehen. Pegah erzählt, dass sie zweimal von der Sittenpolizei angehalten worden sei, als sie mit ihrem Bruder in Teheran unterwegs war. Sie wurden voneinander getrennt befragt, um festzustellen, ob sie als unverheiratetes Paar in der Öffentlichkeit unterwegs waren.

„Jede:r erinnert sich an eigene negative Erfahrungen mit der Sittenpolizei, an der es übrigens nichts Moralisches gibt“, sagt sie. Pegah verwies auch auf den Fall von Sepideh Rashno, einer 28-jährigen Frau, die im Juli verhaftet worden war, weil sie keinen Hidschab getragen hatte. Sie zeigte sich daraufhin blass und mit blauen Flecken im staatlichen Fernsehen, um sich öffentlich zu entschuldigen. Aktivist:innen und Menschenrechtsgruppen bezeichneten nach Berichten der Human Right Activists News Agency ihr öffentliches Auftreten als ein „erzwungenes Geständnis“.

Vorfälle wie dieser hatten Pegah und ihre Familie in ihrer Überzeugung bestärkt, dass es zu gefährlich für sie sei, im Iran zu bleiben. „Ich bin in einer sehr traurigen Situation gegangen, da ich wusste, dass es so weit kommen würde. Ich habe den Tag vorausgesehen, an dem sie ganz offen Menschen töten werden“, sagt sie. „Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde. Deswegen bin ich gegangen.“

Iranische Frauen in Kanada halten Porträts von der verstorbenen Mahsa Amini während eines Protestes in Toronto, Kanada am 22. September 2022
Iranische Frauen halten Porträts von der verstorbenen Mahsa Amini während eines Protestes in Toronto, Kanada am 22. September 2022. © Sayed Najafizada/NurPhoto/IMAGO

Systematische Unterdrückung von Frauen durch iranische Regierung: „Angst, Zwang und Einschränkungen“

Nach Berichten von The Guardian, sind Iraner:innen seit der Wahl von Präsident Ebrahim Raisi im August 2021 stärkeren Einschränkungen und Kontrollen ausgesetzt. Aminis Tod sorgte in der vergangenen Woche für eine Welle der Empörung über das Regime. Die 23-jährige Tara, deren Eltern vor der Revolution von 1979 aus dem Iran nach Deutschland gekommen waren, sagt, sie empfinde „Trauer“ über Aminis Tod, sei aber nicht überrascht. (Um ihre Privatsphäre zu schützen, wollte sie ihren Nachnamen nicht nennen.)

„Die iranische Regierung übt ihre Macht auf die Menschen durch Angst, Zwang und Einschränkungen aus, sei es durch den obligatorischen Hidschab oder die Einschränkung von Namen ethnischer Minderheiten“, erzählte Tara und verwies auf Aminis kurdischen Namen. Die iranische Regierung verfügt nach Berichten von VOA News über eine Liste mit genehmigten Namen, die Familien verwenden dürfen, unter dem Vorwand, dass verbotene Namen wie „Jina“ – die oft Namen ethnischer Minderheiten sind – das Land spalten könnten. Auch in Afghanistan unterdrückt das Regime der Taliban Frauen systematisch und verwehrt ihnen Zugang zu Bildung.

Heftige Kritik am iranischen Regime nach Aminis Tod: „Zwang, Korruption, Patriarchat“

Laut Tara, die jetzt in Griechenland lebt und sich für Flüchtende, Asylsuchende und Migrant:innen einsetzt, liege das Problem darin, wie die iranische Regierung Religion als Instrument der Unterdrückung benutze. „Der Hidschab ist nicht das Problem, die Religion des Islam ist nicht das Problem. Die Probleme sind, um nur einige zu nennen, Zwang, Korruption, Patriarchat und ein Regime, das bereit ist, seine eigenen Leute, seine eigene Jugend, zu töten, bevor sie überhaupt die Chance zum Leben haben“, sagt sie.

Es ist nicht nur so, dass die Regierung systematisch jedes Anzeichen von Opposition unterdrückt, so Pegah. Das Regime habe auch den Umgang mit Krisen wie der Coronavirus-Pandemie verpatzt, bei der nach offiziellen Angaben mehr als 144.000 Menschen im Iran gestorben sind. Im Januar 2021 verbot Ayatollah Ali Khamenei, Irans oberster Führer, in Großbritannien und den USA hergestellte Impfstoffe nach Berichten von Human Rights Watch und bezeichnete sie als „völlig unglaubwürdig“. Zuvor hatte er laut Al Jazeera auch eine Verschwörungstheorie über das Coronavirus geäußert und behauptet, es sei „speziell für den Iran entwickelt worden, wobei die genetischen Daten von Iraner:innen verwendet wurden, die sie auf verschiedenen Wegen erhalten haben.“

In Afghanistan protestieren Frauen gegen die frauenverachtende Politik in Taliban: Diese junge Afghanin musste deswegen sogar ins Gefängnis.

25. September 2022, Mailand, Italien: Fast zweitausend Menschen aus der iranischen Gemeinde in Mailand und darüber hinaus versammelten sich, um gegen den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini zu protestieren, die in der Obhut der iranischen Behörden starb.
25. September 2022, Mailand, Italien: Fast zweitausend Menschen aus der iranischen Gemeinde in Mailand und darüber hinaus versammelten sich, um gegen den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini zu protestieren, die in der Obhut iranischer Behörden starb. © IMAGO/Ervin Shulku

Weltweit protestieren Frauen nach Mahsa Aminis Tod: „Wünschte, ich hätte nur halb so viel Mut“

Die einwöchigen Proteste sind die größten, die der Iran seit Jahren erlebt hat. Auch die iranische Diaspora hat in Städten auf der ganzen Welt gegen Aminis Tod und das Regime protestiert, von Istanbul bis Washington DC., Kopenhagen und Santiago de Chile.

Tara sagt, dass die Frauen, die sich öffentlich gegen die Hidschab-Pflicht im Iran wehren, besonders inspirierend seien. Gleichzeitig fürchte sie jedoch um die Protestierenden. „Ich wünschte, ich hätte nur halb so viel Mut und Tapferkeit wie sie“, sagt Tara. „Gleichzeitig ist es, wenn ich ehrlich bin, extrem beängstigend. Mehrere Frauen wurden von den iranischen Behörden bei diesen Protesten getötet – auch viele junge Männer. Niemand sollte mit einer solchen Angst leben müssen.“

Die Sicherheitskräfte gingen im Iran gewaltsam gegen die Bevölkerung vor. Zwar ist unklar, wie viele Menschen bisher ums Leben gekommen sind, doch Amnesty International berichtete am Samstagmorgen (24. September 2022), dass mindestens 30 Menschen getötet wurden, darunter vier Kinder. Ein staatlicher Rundfunksender bezifferte die Zahl der Toten nach Berichten von Reuters auf 41. Der Internetzugang wurde ebenfalls stark eingeschränkt, und Plattformen wie WhatsApp, Instagram, Skype und LinkedIn sind nach Angaben von NetBlocks, das die Netzbeschränkungen verfolgt, nicht erreichbar.

Die EU verurteilt die Gewalt des iranischen Regimes gegen Protestierende scharf: „Ungerechtfertigt und inakzeptabel“

Berichten von Middle East Eye zufolge, habe Raisi die Proteste als „Unruhen“ abgetan und die Demonstranten gewarnt, dass „chaotische Handlungen“ inakzeptabel seien. Reuters berichtete von Raisis Behauptung, die Regierung müsse „entschlossen gegen diejenigen vorgehen, die sich der Sicherheit und Ruhe des Landes widersetzen“. Die EU gab als Reaktion auf die Gewalt gegen die Demonstrant:innen am Sonntag eine Erklärung ab, in der es hieß: „Die weit verbreitete und unverhältnismäßige Ausübung von Gewalt gegen gewaltlose Demonstrant:innen ist ungerechtfertigt und inakzeptabel.“

Pegah, die in Edmonton an Kundgebungen teilnahm, um die Proteste zu unterstützen, sagt, sie bewundere die Tapferkeit der Menschen in ihrer Heimat. „Ich habe das Gefühl, dass es zu dem Punkt gekommen ist, an dem sie, wenn sie nicht mutig sind, getötet werden, egal was passiert“, so Pegah. „Wie kann man etwas anderes tun, als zu protestieren, Schals zu verbrennen und sich vor die Polizei zu stellen?“

Autorin ist Clarissa-Jan Lim. Dieser Artikel erschien am 25. September 2022 zunächst auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Aranza Maier.

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