TikTok-Trend: Sexualpädagoginnen reden wegen strikterer Abtreibungsverbote über Verhütung und Schwangerschaft

Die neuen US-Abtreibungsgesetze rücken das Thema Verhütung in den Fokus. Sexualpädagoginnen teilen auf TikTok ihr Wissen, um junge Menschen aufzuklären.
„‚Ich habe Angst, dass ich schwanger sein könnte; was soll ich tun?‘ Diese Frage bekomme ich oft“, sagt Allison Rodgers, die 1,2 Millionen Follower:innen auf TikTok hat, gegenüber BuzzFeed News US. Rodgers, die seit 2004 als Gynäkologin arbeitet, begann 2019, die sozialen Medien zu nutzen, um Menschen über sexuelle Gesundheit aufzuklären.
„Zu dieser Zeit hatte ich eine 13-jährige Tochter, die Freund:innen zu Besuch hatte, die mir all diese Fragen stellten, die sie ihren Eltern nicht stellen wollten, wenn es um Pubertät und Sex ging“, sagt Rodgers. „Es war sehr, sehr deutlich, dass viele ihrer Freund:innen keine Ahnung von ihrem Körper hatten. „Also habe ich angefangen, die Fragen der Teenager auf TikTok zu beantworten.“
Da nun immer mehr Staaten den Zugang zur Abtreibung einschränken, nachdem der Oberste Gerichtshof Roe v. Wade gekippt hat, bemerkte Rodgers, dass sich die Fragen, die ihr gestellt werden, geändert haben. Sie und fünf weitere Expert:innen für sexuelle Gesundheit erklärten gegenüber BuzzFeed News US, dass die Angst vor ungeplanten Schwangerschaften viel größer sei und es viel mehr Fragen bezüglich Verhütung gäbe. Da der Bedarf an umfassender Sexualaufklärung vielleicht größer ist als je zuvor, helfen ihre TikTok- und Instagram-Videos Hunderttausenden junger Menschen, sich in dieser neuen Realität zurechtzufinden.
In vielen US-Bundesstaaten wird im Sexualkundeunterricht Abstinenz gepredigt
Eine umfangreiche Aufklärung umfasst, nach Berichten von Planned Parenthood, eine Vielzahl von Themen im Zusammenhang mit Sex und Sexualität, darunter sexuelle Gesundheit, persönliche Beziehungen und menschliche Entwicklung. Studien haben nicht nur gezeigt, dass eine umfassende Aufklärung an Schulen die Schwangerschaftsrate bei Jugendlichen und die Zahl der sexuell übertragbaren Infektionen senkt, sondern auch die psychische Gesundheit verbessert und zur Entwicklung einer gesunden Entscheidungsfähigkeit beiträgt, so Michelle Slaybaugh, Direktorin des Sexuality Information and Education Council of the United States, gegenüber BuzzFeed News US.
Nach Angaben des Guttmacher Institute, einer Organisation für Forschung und Politik im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, schreiben derzeit nur 17 US-Bundesstaaten vor, dass der Sexualkundeunterricht an öffentlichen Schulen medizinisch korrekt sein muss. In zwölf Staaten ist der Sexualkundeunterricht überhaupt nicht vorgeschrieben. „Wenn junge Menschen keinen Zugang zu umfassender Aufklärung in den Schulen haben, wenden sie sich natürlich anderen Quellen wie Gleichaltrigen oder dem Internet zu“, so Slaybaugh.
Aufklärung ohne Scham: Auf TikTok können alle möglichen Fragen anonym gestellt werden
Mariah Caudillo, die als @sexedfiles auf TikTok fast 400.000 Follower:innen hat, begann 2015, an kalifornischen Schulen Sexualkunde zu unterrichten. Ein paar Jahre später beschloss sie, ihren Unterricht auf die sozialen Medien auszuweiten. Eine der häufigsten Fragen, die sie von ihren Follower:innen erhält, lautet: „Bin ich normal?“ „Ich glaube, die Menschen sind hungrig nach dieser Art von Bildung“, sagt Caudillo, „und sie schätzen einen sicheren Ort, an dem sie etwas über Fakten lernen können, ohne dass sie verurteilt werden. TikTok ist dafür eine unglaubliche Plattform“.
Caudillo erzählte, dass sie, seitdem der Oberste Gerichtshof Roe gekippt habe, mehr Politik-spezifische Fragen gestellt bekomme – und die Menschen mehr Angst hätten. „Früher bekam ich Fragen wie ‚Wo bekomme ich Verhütungsmittel her?‘“, sagte sie. „Und jetzt heißt es: ‚Bist du sicher, dass Verhütung funktioniert? Zu 100 Prozent? Was kann ich sonst noch tun? Wo kann ich die Pille danach bekommen?‘“
Die Angst vor den neuen Abtreibungsgesetzen ist berechtigt: Einer 16-Jährigen wurde von einem US-Gericht eine Abtreibung verweigert, da sie „nicht erwachsen genug“ sei.
US-Abtreibungsgesetz: Die Angst vor ungewollten Schwangerschaften ist größer denn je
Die Online-Sexualpädagogin Tessy Vanderhaeghe, die auf TikTok als @Yes.Tess bekannt ist, stellte bei ihren US-amerikanischen Follower:innen ebenfalls ein verstärktes Gefühl der Angst fest. „Ich glaube, ich habe nirgendwo sonst so viel Angst vor einer ungeplanten Schwangerschaft gesehen“, sagte Vanderhaeghe, die im kanadischen Vancouver lebt, gegenüber BuzzFeed News US.
„Ich bekomme über Instagram ständig Nachrichten wie: ‚Ich habe X gemacht, werde ich schwanger werden? Ich habe meine Periode seit zwei Tagen nicht mehr bekommen, was soll ich tun? Ich flippe aus.‘“ Zu viele der Botschaften über ungeplante Schwangerschaften seien auf Angst zurückzuführen, ergänzte sie. „Es gibt nie Informationen darüber, wie man sowas vermeiden kann oder was man in einer solchen Situation tun sollte.“
Derzeit sind nach Angaben des Guttmacher Institutes öffentliche Schulen in 29 Bundesstaaten gesetzlich verpflichtet, im Sexualkundeunterricht den Schwerpunkt auf Abstinenz zu legen. Dabei zeigen Studien, dass dieser Abstinenz fokussierte Ansatz in Schulen für die Vermeidung von Teenagerschwangerschaften unwirksam ist. Nach Angaben des Guttmacher Institutes gibt es in Staaten, in denen reine Abstinenzprogramme im Vordergrund stehen, mehr Teenagerschwangerschaften.
Sexualpädagog:innen auf TikTok: „Ich hoffe, dass meine Follower:innen sich in ihrem Körper wohlfühlen“
Sriha Srinivasan, eine 19-jährige UCLA-Studentin, die auf TikTok als @sexedu bekannt ist, hofft, dass ihre Videos Zuschauer:innen, die nur abstinenten Sexualunterricht erhalten haben, über die andere Verhütungsmöglichkeiten informieren. „Ich hoffe, dass meine Follower:innen sich in ihrem Körper wohler fühlen“, sagte Srinivasan, die mehr als 200.000 Follower:innen hat.
Sie hat nicht nur ein Programm zur Aufklärung über sexuelle Gesundheit an der Universität von Kalifornien, San Francisco, absolviert, sondern auch ihr Wissen über Abtreibung aufgefrischt. So will sie sicherzustellen, dass sie möglichst genaue Informationen liefert, jetzt wo Roe gefallen ist, und Abtreibungen in vielen Bundesstaaten nun illegal sind. „Ich bleibe auch in Kontakt mit Freund:innen von mir, die vor Ort als Aktivist:innen aktiv sind, insbesondere in den Staaten, in denen die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch auf dem Spiel steht“, sagt sie. „Ich stelle einfach sicher, dass ich gut informiert bin.“
Aufklärungsvideos auf TikTok: So schützt man sich am besten vor Fehlinformationen
Für Menschen, die ihre Informationen zur sexuellen Gesundheit aus den sozialen Medien beziehen, sei es wichtig, zu überprüfen, wem sie folgen, so die in New York ansässige Gesundheits- und Sexualpädagogin Justine Ang Fonte gegenüber BuzzFeed News US. Nur TikTok als Informationsquelle zu benutzen, kann nämlich ganz schön gefährlich sein.
„Es gibt viele Influencer:innen, die glaubwürdig sind und wissen, wovon sie sprechen. Aber das gilt nicht für alle Influencer:innen da draußen“, sagte Fonte, die auf Instagram unter @imjustineaf über sexuelle Gesundheit und Aufklärung diskutiert, gegenüber BuzzFeed News US. „Es gibt so viele Fehlinformationen über Abtreibung und Geburtenkontrolle, die jungen Menschen schaden, wenn sie versuchen, genaue Informationen zu bekommen.“
Um dies zu vermeiden, ermutigt Fonte die Menschen, sich zu vergewissern, wer die Online-Sexualpädagog:innen sind und welchen Hintergrund sie tatsächlich haben. „Sind sie zertifiziert? Ist die Aufklärung umfassend und korrekt?“ Wenn die Informationen korrekt sind und von einer anerkannten Quelle stammen, können die sozialen Medien laut Fonte ein guter Ort für Aufklärung sein. „Es ist sehr zugänglich und sehr einfach“, sagte sie und ergänzte, dass die sozialen Medien den Menschen Anonymität bieten, wenn sie Fragen stellen, die sie vielleicht nicht persönlich oder vor einer Klasse stellen würden.
Die Aufklärungsvideos auf TikTok sind für jede:n User:in zugänglich
Die Zugänglichkeit von Informationen ist einer der Gründe, warum Ali Rodriguez, eine Gynäkologin aus Arizona, die auf TikTok unter dem Namen @alirodmd zu finden ist, anfing, Videos hochzuladen. „Wenn ich wenigstens einer anderen Person dabei helfe, sich empowered oder aufgeklärt zu fühlen, oder sie vielleicht dazu motiviere, einen Termin bei ihre:r Gynäkolog:in zu vereinbaren und sicherzustellen, dass sie bei ihren Vorsorgeuntersuchungen, Papp-Abstrichen und all dem auf dem Laufenden ist, dann habe ich meine Aufgabe erfüllt“, sagt Rodriguez.
In den letzten Monaten hat Rodriguez, die auf TikTok 1,5 Millionen Follower:innen hat, vorrangig Inhalte über reproduktive Gesundheit veröffentlicht. So hat Rodriguez zum Beispiel einige Videos gedreht, in denen sie Menstruierende darüber aufklärt, wie sie ihren Menstruationszyklus verstehen können, damit sie ihre Periode nicht mit digitalen Periodenmessgeräten verfolgen müssen, die ihre Privatsphäre gefährden könnten. Sie hat auch mehr Fragen von Menschen erhalten, die ihre Eileiter abklemmen lassen wollen, denn viele sehen in einer Sterilisation die sicherste Lösung angesichts der Abtreibungsgesetze.
Sexualkundeunterricht auf TikTok: Durch das gefallene Abtreibungsurteil ist Aufklärung wichtiger denn je
Die Sexualpädagogin Danielle Bezalel MPH, die auf TikTok unter dem Namen @sexedwithdb aktiv ist und den sexpositiven Podcast Sex Ed With DB (Aufklärung mit DB, Anm.d.R.) betreibt, bemerkte ebenfalls, dass ihr mehr Menschen folgen, wenn sie etwas über Abtreibung postet. „Ich denke, es gab einen klaren Trend, dass die Leute Abtreibung-Content sehen wollen. Sie wollen über Abtreibung aufgeklärt werden“, ergänzte Bezalel, deren Publikum zwischen 18 und 35 Jahre alt ist und zu 85 Prozent aus Frauen besteht.
Bezalel erwarb an der Columbia University einen Master of Public Health mit Schwerpunkt Sexualität und reproduktive Gesundheit. Sie erklärte gegenüber BuzzFeed News US, dass die Entscheidung Dobbs vs. Jackson Women‘s Health Organization auch die Wahrnehmung der Sexualerziehung und ihrer Arbeit verändert habe.
„Bevor Roe v. Wade gekippt wurde, sahen die Leute das, was ich mache, als Oh, das ist lustig, Danielle macht Aufklärungsvideos im Internet, das ist irgendwie cool“, so Bezalel. „Aber als sie merkten, wie viele Menschen ... von schädlichen Gesetze negativ beeinflusst werden, hieß es: Oh wow, das ist wirklich eine wichtige Arbeit, die du da machst. Das ist eine wichtige Information, die ihr den Menschen vermittelt.“
Autorin ist Anna Betts. Dieser Artikel erschien am 8. Oktober 2022 zunächst auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Aranza Maier.