Merz „Sozialtourismus“-Vorwurf gegen ukrainische Geflüchtete „zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhalt“

Dem CDU-Chef Friedrich Merz ist eine Äußerung über Geflüchtete aus der Ukraine um die Ohren geflogen. Nach einer Welle der Empörung gab er kleinlaut bei.
Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) hat am Montagabend bei BILD TV einen Satz gesagt, der ihm einen heftigen Shitstorm bescherte. Er spach von einem „Sozialtourismus“ ukrainischer Geflüchteter „nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.“ Von den laut BILD TV insgesamt 1,1 Millionen Ukraine-Geflüchteten mache sich laut Merz „mittlerweile eine größere Zahl dieses System zunutze“.
Der Hintergrund laut Merz: Anfangs hatten Geflüchtete aus der Ukraine Anspruch auf Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Seit Juni jedoch erhalten sie Grundsicherung, also die gleichen Leistungen wie etwa Hartz-IV-Empfänger, und sind damit etwas besser gestellt. Seine Rhetorik brachte ihm sehr schnell den Vorwurf ein, sich der „Sprache des Rechtspopulismus“ zu bedienen. Kein neuer Vorwurf. Schon mit der Behauptung, Cancel Culture sei die „größte Bedrohung für Meinungsfreiheit“, zog Friedrich Merz für viel Kritik auf sich.
Vorwurf des „Sozialtourismus“ sorgt parteiübergreifend für Entsetzen über Friedrich Merz
Merz‘ Aussage über Menschen, die vor einem brutalen Angriffskrieg Schutz suchen, hat für Entsetzen gesorgt. Auf Twitter trendeten zeitweise der Hashtag #Sozialtourismus sowie der Name Friedrich Merz. Die Empörung war dabei parteiübergreifend. Viele haben noch in Erinnerung, was für ein teures Luxus-Flugzeug Friedrich Merz besitzt.
Ricarda Lang, Bundesvorsitzende der Grünen, fragt, wie das Gerede des CDU-Vorsitzenden vom „Sozialtourismus“ „eigentlich mit der viel beschworenen Solidarität der Union mit der Ukraine“ zusammenpasse. Die Fraktionschefin ihrer Partei im Bundestag, Britta Haßelmann, nannte Merz‘ Äußerung laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) „anstandslos und schäbig“.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wies darauf hin, dass es „vielleicht einfach Sorge um die eigenen Angehörigen ist“, die Geflüchtete zwischen Deutschland und der Ukraine pendeln lässt. Christian Dürr, Fraktionschef der FDP im Bundestag, bezeichnete Merz‘ Vorwurf des „Sozialtourismus“ laut dpa als „absolut deplatziert“ und fügte hinzu: „Merz gefährdet mit solchen Narrativen die gesellschaftliche Unterstützung für die Ukraine.“
Twitter-Nutzerin über Friedrich Merz: „Empathielosigkeit wird übrigens in Merz gemessen“
Ähnlich äußerte sich auch der Außenpolitiker Michael Roth (SPD), der Merz vorwarf, „den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zu zerstören. Auch kritisierte er die mangelnde Empathie des CDU-Vorsitzenden. Dessen Unverständnis für das Leid von Menschen, die aus einem Kriegsgebiet flüchten, lässt eine Twitter-Nutzerin spontan eine neue Maßeinheit erfinden: Empathielosigkeit werde „in Merz gemessen“.
Auf die mangelnde Empathie macht auch eine andere Twitter-Nutzerin aufmerksam, die eine junge Geflüchtete aus der Ukraine bei sich beherbergt. Sie nennt Merz‘ Äußerungen „menschenverachtend, ekelhaft und verachtenswert.“ Ihr Thread ging am Dienstag viral.
Mit dem Wort „Sozialtourismus“ bedient Friedrich Merz sich eines NPD-Slogans
Auch das von Merz verwendete Wort „Sozialtourismus“ an sich sorgte für heftige Kritik. Es wurde bereits 2013 zum „Unwort des Jahres“ erklärt. Es „diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu“, hieß es damals laut dpa zur Begründung.
Im Jahr darauf machte die offen rechtsextreme NPD mit diesem Slogan Wahlkampf, wie der Journalist Robert Bongen in einem Tweet ausführt. Merz belebe diese NPD-Kampagne wieder, warf ihm der Publizist Stephan Anpalagan auf Twitter vor.
Nach Shitstorm wegen „Sozialtourismus“: Friedrich Merz löscht Tweet und entschuldigt sich
Die Empörung über seine problematische Äußerung war so groß, dass Friedrich Merz frühzeitig einen Rückzieher machte. Der am Dienstagmorgen abgesetzte Tweet, mit dem er den „Sozialtourismus nach Deutschland“ beklagte, wurde bereits nach einer Stunde wieder gelöscht.
Kurz darauf erschien auf seinem Twitter-Profil eine Entschuldigung. Merz ist sichtlich um Schadenbegrenzung bemüht: „Ich bedaure die Verwendung des Wortes ‚Sozialtourismus‘. Das war eine unzutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems“, ist in dem Tweet zu lesen. Sein Hinweis habe einer mangelnden Registrierung der Flüchtlinge gegolten. „Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung“, heißt es darn abschließend.
„Sozialtourismus“: Die Entschuldigung von Friedrich Merz kommt nicht überall an
Diese Entschuldigung überzeugt jedoch nicht alle. Kritiker:innen wie der EU-Parlamentarier Erik Marquardt werfen dem Oppositionsführer Friedrich Merz und der gesamten Union vor, „seit Jahren“ eine „rechte Strategie“ zu fahren. Der Spruch vom „Sozialtourismus“ sei kein Ausrutscher gewesen. Mit dieser Meinung ist er nicht allein.