„Gender Foto Gap“: Warum Mütter selten auf Familienfotos auftauchen

Eine Bloggerin beschwert sich auf Twitter, dass sie nie auf Familienfotos zu sehen ist. Vielen Müttern geht es offenbar ähnlich. Gibt es eine „Gender Foto Gap“?
Fotos fangen einen ganz besonderen Moment ein, so wie auch das „Eye Mama Project“, bei dem eine Fotografin bewegende Bilder ukrainischer Mütter teilt. Kinder werden schnell erwachsen und die Zeit verfliegt – ein Grund, warum viele Mütter ständig zum Handy greifen, um ihren Nachwuchs zu fotografieren. Väter hingegen sind dann oft die, die auf den Bildern mit den Kindern zu sehen sind. Das ist unfair – findet zumindest eine französische Bloggerin und macht ihrem Ärger auf Twitter Luft.
Schon im Januar dieses Jahres hatte die Französin Laura Vallet auf Twitter geschrieben: „Mères de famille: on vous prend en photo, vous?“ (Frei übersetzt: „Mütter: macht irgendjemand jemals ein Foto von euch?“). Darüber berichtete unter anderem der NewYorker aber auch die französische Zeitung LeMonde. Vallet ist Bibliothekarin in Paris und postet gerne und viel zu Kinderliteratur – aber aus einer feministischen Perspektive heraus. Eines Tages habe sie im Familienalbum geblättert und gemerkt: „Hey, das ist seltsam. Auf vielen Bildern bin ich ja gar nicht drauf.“ Als sie zählte, stellte sie fest: Sie selbst ist auf etwa zehn Prozent der Fotos zu sehen – ihr Mann auf gut 20.
Vor allem auf „ritualisierten Bildern“, so nennt es Vallet, sei sie zu sehen. Also dann, wenn sie eine Geburtstagstorte halte, vor dem Weihnachtsbaum stehe oder irgendetwas anderes mache. Auf spontanen Alltagsaufnahmen sei sie dagegen nie. „Ich habe mich sehr darüber geärgert, dass ich auf keinem Foto des täglichen Lebens zu sehen bin, wo ich doch ein gleichwertiger Teil davon bin“, sagte sie gegenüber LeMonde.
„Gender Foto Gap“: Mütter sind seltener auf Familienfotos zu sehen als Väter
Vallet ist nicht allein: Laut Informationen des NewYorker, melden sich auf ihren Tweet unzählige andere Mütter, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Eine Userin schreibt: „Ich erinnere mich, dass ich meinen beiden Kindern mehrmals gesagt habe: ‚Vergesst nicht, dass ich hinter der Kamera stand, wenn ihr drei mit eurem Vater auf dem Foto zu sehen seid‘“. Vor allem Mütter, die in heterosexuellen Beziehungen sind, fühlen sich von Laura Vallets Tweet abgeholt. Eine schreibt: „Bei [unseren] Fotos könnte man meinen, dass es mein Mann war, der meine Tochter jeden Tag badete. Falsch. Weil es so selten passierte, habe ich eben ein Foto gemacht.“
Es scheint bei vielen Paaren, zumindest denen, die unter Vallets Post kommentieren, ein „Gender Foto Gap“ zwischen Müttern und Vätern zu geben: Mütter sind seltener auf Familienfotos zu sehen. Genauso, wie es ein „Gender Pay Gap“ gibt, oder ein „Gender Care Gap“, zu dem wir in diesem Artikel ein Expert:innen-Paar befragen, warum Care-Arbeit noch immer Frauensache ist. Auch Frauen, die mehr verdienen als Männer, scheinen im Haushalt mehr zu arbeiten. Hierzu zählt auch der „Mental Load“, also das alleinige Wissen um Aufgaben, die im Haushalt und in der Familie erledigt werden müssen. Das Fotos-Machen fürs Erinnerungsalbum der Kinder, scheint eine dieser Aufgaben zu sein.
Mütter und Fotografien im viktorianischen Zeitalter (1837-1900)
Als private Fotografie noch eine brandneue Erfindung war (1839 erfand Daguerre einen Weg, Fotografie erstmals für Portraits zu nutzen) ließen einige Familien ihre Kinder fotografieren. Die Mütter sollten auf diesen Aufnahmen jedenfalls nicht sichtbar sein. Sie mussten ihre Kinder trotzdem festhalten, denn die Belichtungszeit der damaligen Kameras erforderte das. Die Lösung: Mütter wurden zu Stützen und wurden mit Bettlaken und Vorhängen „getarnt“. Manche Fotografen kratzen im Nachhinein auch deren Gesicht vom Foto oder übermalten es schwarz.
Die Fotografin und Wissenschaftlerin Laura Larson sammelte viele dieser Fotografien in ihrem Buch „Hidden Mother“ (2017). Sie schreibt über die „versteckte Mutter“: „Sie erscheint in vielen Formen und spielt eine strukturelle, aber visuell periphere Rolle in diesen Porträts. Ihre Form wird ununterscheidbar von der Verabredung der Szene.“ Auch hier tauchen Mütter also in den Hintergrund und sind im Fotoalbum am Ende nicht mehr sichtbar.
„Familienfotos vermitteln ein bestimmtes Familienbild, das wir fördern und verbreiten wollen.“
Die Psychologin Claudine Veuillet-Combier hat ein Buch über Familienfotografie geschrieben. Sie begründet das „Gender Foto Gap“ in einem Interview mit FranceInter so: „Bei unseren Untersuchungen stellen wir fest, dass es oft Frauen sind, die das Familienerbe verwalten, die Fotos machen, sie einordnen, kommentieren und teilen.“ Eine Mutterschaft verändere das Verhältnis zur Familienfotografie sehr stark, erklärt sie. Wenn man Mutter werde, neige man dazu, seinen Status als Frau auszulöschen – dann gäbe es nur noch Fotos der Kinder im Familienalbum oder Fotos, die über Social Media geteilt würden.
Ist das der Grund, warum Mütter gefühlt mehr Fotos machen? Die Wissenschaftlerin Marianne Hirsch hat eine andere Theorie: Sie denkt, Mütter fotografieren ihre Partner und Kinder so oft, um zu zeigen, dass sich Geschlechterrollen verändern. „Es geht darum, zu zeigen, dass dies wirklich geschieht, dass Väter sich um die Kinder kümmern und dass sich die Familienstrukturen verändern - oder dass sie den Anschein erwecken wollen, dass dies der Fall ist“, sagte sie gegenüber dem NewYorker. „Familienfotos vermitteln ein bestimmtes Familienbild, das wir fördern und verbreiten wollen.“
Kaum ein Trost für viele Mütter, die sich im Familienalbum nicht wiederfinden, weil sie die Fotos selbst geknipst haben: Viel zu fotografieren beeinflusst unsere Erinnerungen negativ – besonders Instagram und Snapchat sind toxisch.