„Nur zwei biologische Geschlechter“: Warum Marie-Luise Vollbrechts Vortrag Hass in unserer Gesellschaft befeuert

Viele verstehen nicht, warum um den Vortrag der Berliner Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht so ein Wirbel entsteht. Eine Antwort: Er befeuert Transhass. Wir erklären, warum.
Seit bald zwei Monaten kommt die Diskussion um die umstrittene Biologiedoktorandin Marie-Luise Vollbrecht nicht zur Ruhe. Nachdem die Humboldt Universität Berlin (HU) ihren, für den 2. Juli 2022 geplanten Vortrag abgesagt hatte, ging eine breite Debatte über die Natur des biologischen Geschlechts beim Menschen los. Sie ist mittlerweile genauso politisiert, wie das Gendern, über das seltsamerweise am ehesten Gender-Gegner:innen reden wollen.
Viele Medien übernahmen Vollbrechts Darstellung, die HU sei damals vor „radikalen gewaltbereiten Aktivisten“ eingeknickt und habe ihren Vortrag „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“ „aus Angst vor Gewalt“ abgesagt. So zitierte die Bild sie bereits am 2. Juli 2022. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) sprach daraufhin gar vom „Gesinnungsterror linker Aktivisten“.
Dieser Tenor prägt bis heute die Berichterstattung vieler Medien: Vollbrechts harmloser Biologie-Vortrag sei der angeblichen „Cancel Culture“, über die sich auch Friedrich Merz auf Twitter ausließ, zum Opfer gefallen. Doch stimmt das? BuzzFeed News DE hat sich genauer angeschaut, warum die Wahrheit für reißerische Schlagzeilen wohl weniger geeignet ist und warum die Kernaussage des Vortrags „Es gibt in der Biologie nur zwei Geschlechter!“ eben doch problematisch ist.
Vollbrechts These „Es gibt nur zwei biologische Geschlechter!“ – was soll sie bewirken?
Richtig ist: Der Arbeitskreis kritischer Jurist:innen (akj) hatte am 1. Juli 2022 eine kritische Einordnung der Person Marie-Luise Vollbrecht von der HU gefordert. In einem Statement bemängelte er ihre „überkommene biologistische und starr zweigeschlechtliche Sichtweise“, die nicht unwidersprochen bleiben könne. Aus diesem Grund machten die Aktivist:innen des akj von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch und kündigten einen Protest an, sollte der Vortrag stattfinden. In ihrem zweiten Statement vom 4. Juli begründeten sie dies damit, dass Marie-Luise Vollbrecht selbstverständlich Meinungsfreiheit genieße, aber keine Widerspruchsfreiheit.
Genau das ist der springende Punkt: Vollbrechts Meinung, die Komplexität biologischer Geschlechtlichkeit ließe sich auf eine simple Binarität von männlich und weiblich reduzieren, ist natürlich eine legitime Meinung, der viele Menschen wohl auch intuitiv zustimmen würden. Doch es stellt sich die Frage: Welche Botschaft soll diese Meinung transportieren? (Mal ganz davon, abgesehen, dass es auch andere wissenschaftliche Meinungen gibt, wie die des Evolutionsbiologen Diethard Tautz, der im ZDF-Interview von einem Geschlechter-Spektrum spricht.)
Vollbrecht holt den Vortrag nach – lässt sich aber nicht auf eine Podiumsdiskussion ein
Genau hier wird es spannend, denn als Vollbrechts Vortrag „Zwei Geschlechter in der Biologie“ am 14. Juli nachgeholt wurde, lehnte die Biologin es schon im Vorfeld ab, an der anschließenden Podiumsdiskussion teilzunehmen. Warum? Sie sei dort die einzige Vertreterin ihres Standpunktes, weshalb die Podiumsrunde nicht „ausgewogen“ sei. Ihr Vortrag sei „korrekt“ und müsse nicht „kontextualisiert“ werden, twitterte sie am 14. Juli 2022. Nachfragen zum Gegenstand ihres Referats nahm sie laut Medienberichten ebenfalls nicht entgegen.

Stattdessen nahm sie an einer Diskussion auf dem YouTube-Kanal einer befreundeten feministischen Aktivistin aus Wien teil. Dort diskutierte sie mit dem Politologen Uwe Steinhoff und dem Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte, mit denen zusammen sie einen hochumstrittenen Gastbeitrag über Transsexualität für die Welt verfasste – inwiefern diese Runde ausgewogener gewesen sein soll, bleibt fraglich.
Vollbrecht schickt Abmahnungen an verschiedene trans* aktivistische Vereine
Es macht den Anschein, als sei die Biologiedoktorandin Marie-Luise Vollbrecht nie wirklich an einer Diskussion ihres Standpunktes interessiert gewesen. Immer wieder wiederholt die 32-Jährige die Aussage „Zwei Geschlechter!“ (siehe unten) und fragt in einem Tweet von ihrem neuen wissenschaftlichen Twitter-Account @LuiseVollbrecht am 14. August, warum „das Aussprechen eines Fakts nur so eine Wut und einen Zerstörungswillen“ erzeuge.

Mit Zerstörungswillen scheint sie auf die anzuspielen, die ihren Vortrag kritisieren oder ihn gar abgesagt haben. Sie berichtet auf ihrem mittlerweile geschützten Account @Frollein_VogelV in einem Thread vom 22. August ausführlich darüber, dass sie drei Abmahnungen wegen einer „massiv rufschädigenden Veröffentlichung“ an Vereine geschickt habe, die angeblich hinter Transmedienwatch (Initiative gegen trans*feindliche Berichterstattung) steckten. Gegen die HU laufe wegen Verletzung der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht.
Auch unserem BuzzFeed News-Volontär Robert Wagner schrieb Vollbrecht jüngst, dass „wir zwei ein Problem bekommen könnten“. Mittlerweile hat Vollbrecht über eine Gofundme-Seite schon über 50.000 Euro gesammelt, um sich gegen angebliche „Verleumdungen“ zu wehren. Rechtlich vertreten lässt sich die Biologin von der bekannten Kanzlei Höcker, die auf Medienrecht spezialisiert und für ein aggressives Vorgehen gegen Journalist:innen bekannt ist.
Schon in der Vergangenheit schrieb sie Kritiker:innen sie sollten aufhören „sie anzugehen“. Der trans* Person Marek (auf Twitter unterwegs als @pommes_und_wahn) soll sie in einer uns vorliegenden Instagramnachricht geschrieben haben, sie wisse, wo Marek studiere. Marek solle aufhören, ihre Aussagen auf Twitter und Instagram auseinanderzunehmen. Außerdem drohte sie Marek mit rechtlichen Schritten, wenn die Nachricht veröffentlicht werden würde. Dies habe auf ihn eine einschüchternde Wirkung gehabt, erzählt er uns.
„Meinst du mit ‚Männern’ trans* Frauen, denen du das Existenzrecht absprichst?“
Immer wieder macht Vollbrecht darauf aufmerksam, wie schlimm es sei, dass sie so viel negatives Feedback auf ihren rein wissenschaftlichen Vortrag erhalte. Und ja: natürlich erntet sie das zur Genüge. Natürlich ist es nicht in Ordnung, dass sich die Biologin, wie sie es in einem Tweet vom 4. August schreibt, „nicht mehr sicher fühlt“. Gegenüber Zeit Campus sagte sie: „Ich habe nichts gegen Transsexualität. Aber ist es transfeindlich, wenn man sich auf Fakten bezieht?“
Vielleicht, wenn man diese Fakten immer wieder wiederholt. Wichtig ist, zu verstehen, dass es vor allem Menschen aus der LGBTQIA+-Community, die Vollbrecht kritisieren, nicht um die reinen Worte „Es gibt nur zwei Geschlechter in der Biologie“ geht. Es geht ihnen vor allem um den Kontext der Worte, den Vollbrecht nicht diskutieren will. Und um die Botschaft, die in ihrer Aussage mitschwingt. Deutlich wird das an einem Tweet vom 4. Juli, in dem Vollbrecht sagt, sie werde „von einer Handvoll fanatischer Männer seit Monaten terrorisiert“ (siehe unten).

Die Twitter-Userin Salomè Balthus, die in einem Artikel für die Berliner Zeitung davon spricht, dass Vollbrecht sie seit Jahren angeht, fragt sie daraufhin: „Meinst du mit ‚Männern’ trans* Frauen, denen du das Existenzrecht absprichst?“. Ihre Frage kann als so etwas wie der springende Punkt in dieser hochkomplexen Debatte gesehen werden. Warum? Weil sie und viele andere Vollbrecht den TERFs („Trans Exclusionary Radical Feminists“) zuordnen, einer Strömung radikaler Feminist:innen, die trans* Personen nicht nur die Existenz absprechen, sondern in ihnen auch eine Gefahr für Frauenrechte sehen.
„Es gibt nur zwei Geschlechter“ – eine Aussage des Biologismus
Der Vortrag von Marie-Luise Vollbrecht mag harmlos erscheinen: Es gibt nun mal nur zwei klar voneinander getrennte biologische Geschlechter, so ihre Kernaussage. In ihrem Vortrag macht sie sogar ganz deutlich, dass man zwischen Sex und Gender begrifflich trennen müsse, und dass es ihr nur um die Biologie gehe. Die entscheidende Frage ist jedoch: Welche Auswirkungen hat dieses „rein biologische“ Argumentieren? Es sorgt dafür, dass die Gameten, also die Keimdrüsen, zum alles entscheidenden Faktor in der Frage werden, ob jemand eine Frau oder ein Mann ist. Trans* Menschen, die biologisch vielleicht ein anderes Geschlecht haben, als das, dem sie sich zugehörig fühlen, wird schlicht ihre Identität abgesprochen.
Diese Absolut-Setzung biologischer Gegebenheiten – auch für das gesellschaftliche Miteinander – wird Biologismus genannt. Man könnte dieses Denken auf eine Formel herunterbrechen: Biologie als verbindliche Welterklärung. Vollbrechts Kernaussage „Es gibt nur zwei biologische Geschlechter“ ist vor diesem Hintergrund mehr als ein bloßer biologischer Fakt. Sie wird zu einem Dogma menschlichen Miteinanders, der sich perfekt dafür eignet, trans* Menschen zu marginalisieren und ihre Existenz zu delegitimieren. Sie sind ja nur eine skurrile Minderheit, eine Abweichung vom natürlicherweise vorgesehenen Schema der Zweigeschlechtlichkeit.
Wie sich Rechte und Rechtsextreme Biologismus zunutze machen
Diesen Biologismus, den Vollbrecht zu vertreten scheint und der trans* Menschen letztlich ihre Existenzberechtigung abstreitet, teilen auch extrem rechte Ideologien. Diese streben danach, zu möglichst „natürlichen“ Zuständen zurückzukehren, die die Moderne mit ihrer „Degeneration“ verlassen habe. Dieses Denken ist grundlegend – etwa für die Neue Rechte, die maßgeblichen Einfluss in der AfD ausübt und europaweit agiert.
Hass gegen Trans* Menschen, deren bloße Existenz der „Normalität“ widerspricht, zu schüren, wird zu einem neuen Schlachtfeld im Kulturkampf gegen die liberale Demokratie. Sie werden als das „Absonderliche“ geframt, das „Wissenschaft und Normalität“ zersetzen wolle. So drückte es erst Anfang Juli 2022 die Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst von der AfD aus.
Weil sie so wenige sind und die allermeisten Menschen keinen Bezug zu ihnen haben, sind gerade inter- und transsexuelle Menschen als Projektionsfläche für Hass und Ressentiments auch so gut geeignet. Sie sind sozusagen das ideale Hassobjekt für extrem rechte Propaganda, wenn Ausländer:innen und Geflüchtete nicht mehr ziehen (was aktuell ja der Fall ist).
Vollbrecht findet Zuspruch bei den extremen Rechten
Vor diesem Hintergrund ist es bezeichnend, dass der populärwissenschaftliche Vortrag von Marie-Luise Vollbrecht sehr viel Zuspruch von rechts erfährt. Schon dessen Absage und spätere Verschiebung hat für viel Aufsehen in rechten Alternativmedien gesorgt. Der neurechte Blog Achse des Guten warf der HU vor, sich „eindeutig gegen die Wissenschaft und auf die Seite der von ihr vorgeblich bekämpften Fake News gestellt“ zu haben. Auch die österreichische Tagesstimme, eine Kreatur der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, widmete sich Vollbrechts Vortrag und „dokumentierte“ ihn für ihre Leserschaft.

Über den am 14. Juli nachgeholten Vortrag berichteten weitere einschlägige rechte Medien, wie die Junge Freiheit und das verschwörungsaffine Compact-Magazin, das vom Verfassungsschutz als „gesichert extremistisch“ eingestuft wird. Der Reporter, den Compact an die HU schickte, um über Vollbrechts Referat zu berichten, ist kein Unbekannter. Es handelt sich dabei um einen Sympathisanten der militanten Neonaziszene, wie der Rechtsextremismusexperte Robert Claus zu berichten weiß.
Dieser Umstand verdeutlicht gut, welche Milieus sich von Vollbrechts Aussagen zur binären Zweigeschlechtlichkeit angezogen fühlen. Die extreme Rechte hat aus Vollbrecht, ob sie nun wollte oder nicht, eine Identifikationsfigur in einem Kulturkampf gemacht. Ein Kulturkampf, der sich zunächst auf trans* Menschen fokussiert, da sich Hass und Ressentiments gegen diese Gruppe am leichtesten schüren lassen. Dass Marie-Luise Vollbrecht diesen Umstand nicht erkennt und stattdessen weiterhin darauf beharrt, es müsse nichts „kontextualisiert“ werden, ist das Mindeste, was man ihr vorwerfen kann.

Auf Twitter wird die Kiwi zum Symbol für Biologismus
Was Biologismus noch bewirkt, sieht man auf Social Media. Die Aussage „Es gibt nur zwei (biologische) Geschlechter“ ist auf Twitter mittlerweile zu einem politischen Bekenntnis geworden. Wer „an die Biologie glaubt“, der packt ein Kiwi-Emoji in die eigene Twitter-Bio – laut Belltower News deswegen, weil Kiwis getrennte männliche und weibliche Blütenstände haben. Unter den Hashtags #MariehatRecht, #WirSindMarie #TeamBiologie und #TeamWissenschaft äußern sich Menschen zur Transsexualität – und wettern gegen trans* Menschen. Ein User schreibt: „Ich folge Frau Vollbrecht, weil sie recht hat: Es gibt beim Menschen nur zwei Geschlechter und man kann nicht von einem Geschlecht zu einem anderen wechseln“.

Ein anderer schreibt schon im Oktober 2021 in einem Tweet an Vollbrecht: „Trans* Frauen sind Männer, auch wenn sie es nicht sein wollen, Ende der Debatte“.

Genderismus: Trans* Menschen als Gefahr für die heteronormative Mehrheit
Immer wieder sprechen Trans-Gegner:innen auch davon, dass trans* Frauen eine Gefahr für Kinder oder „normale Frauen“ darstellen würden. Das erinnert an Verschwörungstheoretiker:innen, denn die glauben oft an den „Genderismus“, also an eine Gefahr, die von queeren Menschen ausgeht. Sie akzeptieren nicht, dass Menschen sich nicht ihrem biologischen Geschlecht zugehörig fühlen.
Deswegen vollziehen sie laut der Bildungsstätte Anne Frank einer Täter-Opfer-Umkehr: Gleichberechtigungsbestrebungen werden zum großen Bedrohungsszenario, während die weiße, homogene und heteronormative Mehrheit als vulnerable Gruppe dargestellt wird. In einem Interview spricht Tessa Ganserer (Grüne) davon, dass aktuelle Debatte über Transsexualität sie an die 80er-Jahre erinnere.

Wozu die subtile transfeindliche Hetze führt
Wozu diese mehr oder weniger subtile transfeindliche Hetze führen kann, erfahren betroffene trans* Menschen am eigenen Leib. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) gab kürzlich bekannt, dass die Hetze gegen queere Menschen im Netz drastisch zugenommen hat. Eine davon ist die Twitter-Nutzerin Joelina, die seit Jahren angefeindet wird. Sie hat bereits Anfang 2021 Bekanntschaft mit der Bubble um Vollbrecht gemacht: „Nach jedem Outcall durch Vollbrecht wurden wir angegriffen, auch körperlich“, und auch auf offener Straße, wie sie BuzzFeed News DE erzählt.
Joelina erreichen immer wieder Hassnachrichten. In der Vergangenheit besonders dann, wenn Vollbrecht, die trans* Menschen in Joelinas Worten „die Existenz absprechen“ wolle, über sie twitterte. Ein besonders extremes Beispiel ist diese private Nachricht von Januar 2021 (siehe unten), in der ein User die Gameten, die für Vollbrechts Argumentation so zentral sind, als Berechtigung anführt, Joelina in die „Fresse zu schlagen“. Er beendet die „nette“ Botschaft mit: „Ich liebe die Biologie“.

Auch diese Nachricht hat es in sich: Ein User spricht in einer privaten Nachricht an Joelina davon, wie sehr es ihn freuen würde, wenn sie sich „mit Benzin übergießen und abfackeln“ würde. „Auch wenn du dich weggezündelt hast, wird man an deinem Skelett wissenschaftlich nachweisen können, dass du ein Mann bist und niemals eine Frau warst“, schreibt er. Seine Nachricht zeigt sehr eindrücklich, wie Wissenschaft und Biologie missbraucht werden, um Hass und Hetze gegen trans* Menschen noch zu befeuern.

Adressen und Klarnamen von trans* Personen werden öffentlich geteilt
Immer wieder wird Vollbrechts Name von Betroffenen genannt, die im Gespräch mit BuzzFeed News DE über ihre teils traumatisierenden Erfahrungen mit transfeindlicher Gewalt berichten. So auch die Twitter-Userin @juli_unruly. Sie wurde von einem Account gedoxt [Anm. der Red.: Doxing bedeutet, dass die eigene Adresse, Klarname und persönliche Daten öffentlich geteilt werden, damit andere die Person im echten Leben aufsuchen können]. Hasstrolle wünschten sich auf Twitter ihren Selbstmord und posteten entsprechende Andeutungen, die es zu entschlüsseln gilt. Ein übliches Vorgehen, um trans* Menschen in die Verzweiflung zu treiben.

Trans* Menschen als neue Feindbilder
Auch Jenny Wilken, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) nimmt Vollbrecht auf Twitter schon seit Jahren als transfeindlich wahr. Sie wurde von Aktivistinnen wie Julia Beck, die Vollbrecht in manchen Tweets explizit erwähnt, mit Absicht als „Mann“ bezeichnet und misgendert. „Wenn man permanent sagt, trans* Frauen sind Männer, ist das einfach erniedrigend und menschenverachtend.“ Genauso auch, wenn nicht binäre Personen bei medizinischen Kampagnen einfach ausgeschlossen werden – unsere BuzzFeed-Kollegin findet deswegen: Wir sollten häufiger „Menschen mit Uterus“ anstatt „Frauen“ sagen.
Wilken zeigt uns Screenshots von Veranstaltungsbeschreibungen, in denen Bezeichnungen wie „Transkrake“ benutzt werden (erinnert an eine Metapher des „Kraken“ im Antisemitismus) und in denen es heißt, der aktuelle Transaktivismus sei aggressiver Aktivismus gegen Frauen. „Seitdem Vollbrecht über Biologie aufklärt, tun sich neue Feindbilder auf. Sie hat ein klares Ziel und das ist, gegen trans* Menschen vorzugehen. Damit ist sie nicht alleine. Auch das evangelikale Netzwerk in den USA, Russland, Rechtsextreme, Citizen Go in Spanien und viele weitere Organisationen fahren Kampagnen gegen trans* Menschen“, so Wilken gegenüber BuzzFeed News DE.
Trans-Gegner:innen: „Sie triggern gezielt Angst, anstatt die Vernunft zu bedienen“
Julia Monro beobachtet Transfeindlichkeit im Netz ebenfalls schon eine Weile – musste selbst sogar ein Zwangsouting erleben. Sie hat das Gefühl, umso näher das neue Selbstbestimmungsgesetz, das 2023 kommen soll, rückt, umso radikaler werden Trans-Gegner:innen. „Aus den USA und Großbritannien schwappt die Erzählung zu uns nach Deutschland rüber, dass trans* Personen gefährlich sind. Solche Leute wollen bewusst spalten. Homosexualität ist mittlerweile so sehr akzeptiert, dass es einen neuen Feind braucht. Und wer wäre dafür besser geeignet, als trans* Personen?“
„Diesen Menschen geht es oft gar nicht um eine sachliche Debatte. Sie wollen lediglich den gesellschaftlichen Diskurs in die von ihnen gewünschte Richtung anstoßen. Dazu nutzen sie das Prinzip der Aufmerksamkeitsökonomie, das heißt, sie triggern gezielt Angst, anstatt die Vernunft zu bedienen“, sagt die trans* Aktivistin zu BuzzFeed News DE.
Problematisch sei hier vor allem die Täter-Opfer-Umkehr, der sich auch Personen wie Vollbrecht bedienten. Auch an der Begründung der Humboldt-Universität (HU) sehe man, wie verlässlich diese wirke: Die Universität hätte in ihrer Absage ganz klar sagen sollen, dass Vollbrechts Vortrag einen fragwürdigen Hintergrund habe und hätte nicht die Gegenproteste vorschieben sollen, findet Monro. Sie habe Sorge, was dieser ganze Hass mit der Gesellschaft mache, sagt sie BuzzFeed News DE.
„Es gibt nur zwei Geschlechter”: Das schleichende „Gift des Verbalradikalismus“,
Über Hass in unserer Gesellschaft und vor allem auch über dessen Ausprägung im Netz denkt auch der Sprachphilosoph Paul Sailer-Wlasits schon eine Weile nach. Er hat einen Gastbeitrag mit dem Titel „Die Metastasen des Hasses“ in der Zeit geschrieben, in dem er kritisch anmerkt, dass im 21. Jahrhundert alles „unter dem Deckmantel der freien Rede zu ‚Diskussionsbeiträgen‘ und ‚Meinungen‘ emporgehoben werden“ könne. Er bezeichnet dies als „Gift des Verbalradikalismus“, das schleichend wirkt und nicht erst dann, wenn es offen diskriminierend oder herabwürdigend wird.
„Überall dort, wo Sprache den Modus des Allgemeinen verlässt und in einen ‚Modus der Anrede‘ (Judith Butler) wechselt, kann Hasssprache entstehen“, schreibt Sailer-Wlasits. Sobald der Sprechende beginne, sein Gegenüber zu bestimmen und auf bestimmte Identitäten festzulegen, übertrete er eine bedeutsame Grenze. Diese Grenzüberschreitung ist dann gegeben, wenn sich Menschen explizit Vollbrechts Aussagen über Zweigeschlechtlichkeit bedienen und trans* Personen nicht nur ihre Geschlechtsidentität absprechen, sondern sie auch mit Verweis auf den Kinder- und Frauenschutz als „gefährlich“ bezeichnen.
Hochproblematisch bei Hassrede im Netz: Die Gegenrede sei gegenüber der kurzen, schneidenden Hassrede (zum Beispiel der Aussage „Zwei Geschlechter!“), egal wie unterschwellig sie auch sein mag, „rhetorisch-wirkungspsychologisch“ immer im Nachteil – denn sie erzeuge weniger Aufmerksamkeit. Der „latente Hass“, wie ihn Sailer-Wlasits nennt, werde also immer weiter gesteigert, bis er sich anschließend im echten Leben entlade – so wie eben bei Joelina.
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