Gericht weist Klage gegen Gendersprache an Schulen ab – Experte positioniert sich klar

Schadet Gendern in der Schule? Darüber streiten Eltern und Bundesländer. Ein Experte erklärt, was er sinnvoll findet und was nicht.
Das Berliner Verwaltungsgericht hat den Eilantrag eines Vaters zweier Gymnasiastinnen gegen die Nutzung genderneutraler Sprache in der Schule zurückgewiesen. Das Gericht konnte keine Gründe erkennen, die für ein Verbot sprechen würden. In einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen könne die Schule zudem offen für ein breites Spektrum von Meinungen und Ansichten sein.
Das Gebot der politischen Neutralität im Schuldienst werde nach Meinung des Gerichts durch das Gendern nicht verletzt, da damit keine politische Meinungsäußerung einhergehe. Auch sei eine genderneutrale Kommunikation mit Eltern und Schülerinnen nicht zu beanstanden, „da diese angesichts der breiten öffentlichen Diskussion selbst bei Verwendung von Sonderzeichen hinreichend verständlich“ bleibe. Der klagende Vater habe außerdem keine unzumutbaren Nachteile für seine Kinder nachweisen können.
Ist Gendern an Schulen sinnvoll? Schadet es möglicherweise der Bildung von Kindern? Auch die Bundesländer sind gespalten.
In Hamburg will die Volksinitiative „Schluss mit der Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ die Verwendung von geschlechtersensibler Sprache an Schulen verbieten. Die Stadt Berlin wiederum gendert ab dem Ende dieses Schuljahres seine Schulzeugnisse. Derweil will der Landesschülerbeirat in Baden-Württemberg, dass die Akzeptanz für geschlechtergerechte Sprache an Schulen steigt, wovon Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen) nichts hält.
Wir haben den Germanisten Thomas Kronschläger gefragt, inwiefern Gendern an Schulen Sinn ergibt. Kronschläger forscht an der Technischen Universität Braunschweig zu geschlechtergerechter Sprache.
Eine Schule, die in Zeugnissen gendert, „signalisiert damit Offenheit“
Statt „Sie/ Er“ oder „Schülerin/ Schüler“ gibt es in Berliner Zeugnissen laut BZ bald nur eine Lücke mit einem Strich. An der Stelle können Personalpronomen, der Vorname oder bei älteren Schüler:innen auch der Nachname geschrieben werden. Relevant sei die Bezeichnung zum Beispiel in Sätzen wie „… wird nicht* versetzt in die Jahrgangsstufe …“. Kronschläger befürwortet es, wenn Schulen in Zeugnissen geschlechtergerechte Sprache verwenden. „Die Schule signalisiert damit Offenheit“, sagt er BuzzFeed News DE.
Aber auch für Schüler:innen habe das Gendern in Zeugnissen ein Vorteil. „Wenn im Zeugnis nur steht ‚der Schüler‘ schließt das Schülerinnen, nonbinäre Personen und auch jene Personen, die sich keinen traditionellen Geschlechterbildern zuordnen können, aus.“ Das gelte nicht nur für das Zeugnis. Als schulische Behörde ist es laut Kronschläger sinnvoll, in allen Dokumenten zu gendern. Statt „liebe Schülerinnen und Schüler“ könnten sie Briefe etwa an „Schüler:innen“, „SchülerInnen“ oder „Schülys“ addressieren- „Schüler:innen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen, fühlen sich dann wohler, weil sie sich angesprochen und gesehen werden.“
Nobinären Schüler:innen fällt es laut Gender-Experten leichter, sich zu outen, wenn Schulen gendern
Die Volksinitiative „Schluss mit der Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ bezeichnet geschlechtergerechte Sprache als „integrationsfeindlich“. Wenn es darum geht, nonbinäre Schüler:innen besser zu integrieren, kann Gendern laut Kronschläger im Gegenteil, sogar hilfreich sein: „Wenn in den Dokumenten nur steht ‚liebe Schülerinnen und Schüler‘ traue ich mich zum Beispiel nicht, mich als nonbinär zu outen. Ich habe dann immer das Gefühl: Ich bin hier nicht erwünscht. Wenn sie in ihren Dokumenten gendert, zeigt die Schule: ‚Ihr seid hier willkommen‘“, sagt der Gender-Experte BuzzFeed News DE. Diese bürokratische Umstrukturierung bringe den Schüler:innen also sehr viel, während sie der Schule wenig koste.
Wenn schulische Behörden gendern, sende das nicht nur ein Signal an die Schüler:innen, sondern auch an die Gesellschaft im Allgemeinen. Nach außen hin habe die Schule eine gewisse Vorbildfunktion. „Die Schule als Institution hat eine gewisse Macht. Vor allem, wenn ich schulpflichtig bin, bin ich dieser Institution auf eine Art ausgeliefert. Wenn die Schule in ihren Dokumenten gendert, akzeptiert sie, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt.“ Für nonbinäre Schüler:innen sei das ein wichtiges Zeichen. „Sie fühlen sich dann sicherer, weil sie nicht das Gefühl haben, dass sie die ganze Zeit um ihre bloße Existenzberechtigung kämpfen müssen.“
Wenn in den Dokumenten nur steht ‚liebe Schülerinnen und Schüler‘ traue ich mich zum Beispiel nicht, mich als nonbinär zu outen.
Kretschmanns Sorge, dass Kinder durch Gendern weniger gut lesen können, sei unbegründet
Winfried Kretschmann lehnt das Gendern im Klassenzimmer ab: „Es ist schon schlimm genug, dass so viele unserer Grundschüler nicht lesen können. Man muss es denen nicht noch erschweren, indem man in der Schule Dinge schreibt, die man gar nicht spricht.“ Nach dem IQB-Bildungstrend 2021 können Grundschulkinder tatsächlich immer schlechter lesen. Die Gefahr, dass sich dieser Zustand noch verschlimmern könnte, sieht Gender-Experte Kronschläger jedoch nicht. „Es gibt keine belastbaren Studien, die besagen, dass sich der Lernprozess durch Gendern verzögert.“ Was Studien zufolge wiederum tatsächlich dem Wortschatz von Kindern schadet, ist das Lesen am Tablet.
Der baden-württembergische Ministerpräsident lehnt das Gendern an der Schule noch aus einem weiteren Grund ab: „Die Schulen müssen sich an das halten, was der Rat für deutsche Rechtschreibung vorgibt. Sonst haben wir am Ende keine einheitliche Rechtschreibung mehr.“ Der deutsche Rechtschreibrat bewahrt in Deutschland die Einheitlichkeit der Rechtschreibung und klärt Zweifelsfälle.
Der Rat hat sich laut Kronschläger 2021 zu dem Thema geschlechtergerechter Sprache geäußert und diese als sinnvoll bezeichnet. Genaue Reglungen, wie das zu geschehen habe, habe der Rat aber nicht erlassen. Seit 2018 gebe es Aufrufe an den Rat, konkrete Regeln zum Gendern aufzustellen. Bisher sei dies aber nicht passiert.
Gendern ist insofern bislang leider immer noch eine Grauzone, wenn es um Sprachrichtigkeit geht.
Gender-Experte: „Sprachverbote- und gebote sind schwierig zu kontrollieren“
Kronschläger plädiert dafür, dass es Lehrer:innen im Unterricht freigestellt wird, ob sie gendern oder nicht. Der Experte lehnt also ab, dass Lehrer:innen verpflichtet werden, geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Bisher sei ihm keine Schule bekannt, an der es eine solche Verpflichtung zum Gendern gäbe. Sollten Lehrer:innen doch zum Gendern gezwungen werden, sei das ein „immenser Eingriff in die Freiheit der individuellen Person.“ Dasselbe gelte, wenn eine Schule das Gendern verbietet.
Der Kanton Argau in der Schweiz hat Lehrer:innen bereits verboten, im Unterricht zu gendern, wie die Schweizer Zeitung Der Blick berichtete. Das Problem: Die „Sprachverbote und -gebote sind vor allem im mündlichen Bereich schwierig zu kontrollieren und auch nicht sinnvoll“, sagt Kronschläger. Am Beispiel von Argau überwachten Schüler:innen laut Kronschläger plötzlich die Lehrer:innen. Sie meldeten es an die Schulleitung, wenn eine Lehrerin zum Beispiel „Schüler:innen“ sagte.
Mehr zu Gender-Verboten: Im Thüringer Landtag ist gendergerechte Sprache seit einem Antrag der CDU nicht erlaubt.
Wenn Lehrer:innen gendern, habe das Vor- und Nachteile
Wenn Lehrer:innen sich entscheiden, im Unterricht zu gendern, könne das laut Kronschläger Vor- und Nachteile haben. „Lehrer:innen haben positive und negative Vorbildfunktionen. Ist ein:e Lehrer:in beliebt, werden sich Schüler:innen nach ihr richten. Ist ein:e Lehrer:in unbeliebt, nicht“, sagte er BuzzFeed News DE.
Egal ob die Lehrer:in gendert oder nicht, hält Kronschläger es für wichtig, Gendern im Unterricht als Thema zu behandeln. „In dem Moment, wenn ich mich mit Gendern auseinandersetze, kann ich dazu eine begründete Haltung entwickeln“, sagt der Gender-Experte. Auch hier soll die Schüler:in nicht dazu verpflichtet werden, zu gendern. „Es ist nicht das Ziel, Schüler:innen zu einer bestimmten Position zu erziehen, sondern zu freien und mündigen Bürger:innen.“
Schüler:innen sollten laut Gender-Experten in Arbeiten gendern dürfen, wenn sie wollen
Der Landesschülerbeirat in Baden-Württemberg hat vor kurzem gefordert, dass die Akzeptanz für das Gendern an Schulen steigen müsse. Die Verwendung geschlechtergerechter Sprache in schriftlichen Prüfungen dürfe nicht mehr als Fehler gewertet werden. Es sei nicht mehr zeitgemäß, wenn Lehrkräfte Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt negativ markierten, so die Schülervertreter. Auch Kronschläger spricht sich dafür aus, dass Schüler:innen freiwillig in ihren Arbeiten gendern dürfen, ohne dass es von Lehrer:innen geahndet wird. Wenn Lehrer:innen in ihren Diktaten gendern oder nicht-gendern wollen, gäbe es dann zwar ein Richtig und Falsch – in freien Aufsätzen nicht.
Laut Kultusministerium enthalten die Beurteilungs- und Korrekturrichtlinien für die Abschlussprüfungen an baden-württembergischen Schulen bisher keine Aussagen zum Gendern. Das Ministerium wusste auch von keinen konkreten Fällen, in denen genderneutrale Sprache in Klausuren angestrichen wurde. Kronschläger sagt, dass es in Deutschland und der Schweiz höchstens Einzelfälle geben könne.
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