Gericht entscheidet über Gendern – Trans Person erklärt die richtige Anrede

Ein Gericht setzt transphoben Ausdrucksweisen Grenzen. Julian Reichelt reagiert mit großem Getöse. Dabei ist respektvoller Umgang gar nicht so schwer, zeigen Betroffene auf.
Die Nachricht sorgt für Empörung in rechten Kreisen: Das von Ex-“Bild“-Chef geführte Unternehmen Rome Medien GmbH darf die Journalistin Janka Kluge nicht mehr als „Mann“ bezeichnen. Das so genannte Misgendern wird somit wohl erstmals in Deutschland juristisch untersagt.
Dabei geht es um einen Blogartikel der Reichelt-Redaktion. Kluge wird darin als „biologischer Mann“, später nur noch als „Mann“ beschrieben. Die Pressekammer des Landgerichts Frankfurt gibt Kluges Antrag per einstweiliger Verfügung Recht. Der Anwalt der trans Frau sieht das Misgendern als „schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht“ und eine „Entscheidung mit Signalwirkung“.
„Das ist sprachliche Gewalt, extrem unhöflich und unverschämt“, kommentiert Io Kassandra Görz bei Buzzfeed den prominenten Misgender-Fall. Die Journalistin definiert sich selbst als nicht-binär trans. Diese Menschen haben eine Geschlechtsidentität, die weder komplett weiblich noch männlich ist. Die meisten nicht-binären Personen verstehen sich als trans Mensch.
Die Autorin des Blogartikels Judith Sevinç Basad hat wie Reichelt eine „Bild“-Vergangenheit, verließ das Boulevardmedium wegen - laut eigener Aussage - zu transfreundlicher Berichterstattung. Ihr alter und neuer Chef betreibt neben dem Blog einen rechtspopulistischen YouTube-Kanal und greift den deutschen Rechtsstaat nach der Gerichtsentscheidung in gewohnt scharfem Ton an:
Auch andere rechtspopulistische Kommentatoren wittern zukünftig Strafen bei jeder falschen Anrede von betroffenen Personen. Doch das Selbstbestimmungsgesetz sieht ein Bußgeld nur dann vor, wenn jemand absichtlich oder fahrlässig mit falscher Geschlechtsbezeichnung angesprochen wird.
Ob wissentlich oder nicht: Der Umgang im Alltag ist gar nicht so schwer, finden Betroffene. „Die Anrede ist eine recht persönliche Sache und das ist wahrscheinlich für viele auch die Schwierigkeit“, erklärt Io Görz bei Buzzfeed. Es gebe eben nicht die eine oder zwei feststehende Varianten. Görz wendet das scheinbare Problem zum Positiven: „Das Schöne ist: Die deutsche Sprache kennt trotz ihrer binären Ausrichtung viele Möglichkeiten, Geschlechtszuschreibungen zu umgehen.“
Das funktioniere mit einem „Guten Tag“ genauso gut wie mit dem Aufruf in der Arztpraxis per Vor- und Nachname. Das Beispiel vermeide darüber hinaus Verwechslungen, sollten zwei Müllers im Wartezimmer sitzen, so Görz. „Selbst bei unbekannten Personen ist es also meistens nicht notwendig, die korrekte Anrede abzufragen. Jede Person, die man als trans Person vermutet, nach ihrer gewünschten Anrede und ihren Pronomen zu fragen, aber andere als cisgeschlechtlich wahrgenommene Menschen nicht, kann übrigens auch ziemlich exkludierend wirken, als wollte man sagen: ‚Ich sehe, dass du trans bist und weise dich darauf hin‘“.
Auch, wenn das für manche Menschen kompliziert klinge, wirbt Io Görz für Realismus und Ruhe in der Sache: Niemand werde künftig abgemahnt für einen Fehler, „nicht jetzt und nicht in Zukunft“. Wenn man aber wie im vorliegenden Fall über eine öffentlich agierende Person spreche, „deren Geschlecht und Anrede hinlänglich bekannt sind, und sie dann bewusst und mit voller Absicht misgendert, ist das etwas völlig anderes.“
Die Ampelregierung verfolgt eine liberale Gesellschaftspolitik. Zuletzt einigte sich die Koalition im Zuge des Selbstbestimmungsgesetzes auf eine vereinfachte Änderung des Geschlechtseintrags.