„Maxwell ist heute dieselbe Frau, die ich vor fast 20 Jahren kennengelernt habe – unfähig zu Mitgefühl oder allgemeinem menschlichen Anstand“, äußerte eine der Frauen, Sarah Ransome. „Aufgrund ihres Reichtums, ihres sozialen Status und ihrer Beziehungen glaubt sie, dass sie über jeden Vorwurf erhaben ist und über dem Gesetz steht. Die Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe wird sie nicht ändern, aber sie wird den Überlebenden ein kleines Gefühl von Gerechtigkeit geben und uns dabei helfen, uns von der Hölle des Menschenhandels, an dem sie beteiligt war, zu erholen.“
Annie Farmer – die während des Prozesses aussagte, wie sowohl sie als auch ihre Schwester von Ghislaine Maxwell und Jeffrey Epstein missbraucht wurden – beschrieb, dass ihr Trauma „einen Verlust des Vertrauens in mich selbst, meine Wahrnehmungen und meine Instinkte“ verursacht habe.
„Wenn eine Grenze überschritten oder eine Erwartung nicht erfüllt wird, sagt man sich: ‚Jemand, der sich so sehr um mich sorgt, dass er all diese netten Dinge tut, würde sicher nicht auch versuchen, mir zu schaden‘“, so Farmer. „Dieses Denkmuster ist heimtückisch und so keimten diese Selbstzweifel auf, als ich erfuhr, dass auch meine Schwester von ihnen missbraucht worden war. Auch dann als ich Jahre später erfuhr, dass noch viele weiteren ausgenutzt worden waren.“
Maxwell selbst wandte sich vor der Urteilsverkündung an das Gericht, entschuldigte sich bei den Opfern „für den Schmerz, den sie erfahren haben“ und sagte, sie hoffe, dass ihre „Verurteilung und lange Inhaftierung ihnen Frieden und Endgültigkeit bringt. Meine [Verbindung] mit Epstein wird mich dauerhaft beflecken. Es ist das größte Bedauern meines Lebens, dass ich ihn jemals getroffen habe“, sagte sie nach Angaben von Reporter:innen im Gerichtssaal.
In einem Memorandum zur Strafhöhe, das vergangene Woche veröffentlicht wurde, empfahl die Bundesstaatsanwaltschaft, Maxwell zu mindestens 30 Jahren Gefängnis zu verurteilen. Grund sei, dass sie „eine entscheidende Rolle bei dem schrecklichen sexuellen Missbrauch mehrerer junger Mädchen im Teenageralter“ gespielt habe. „Als Teil eines beunruhigenden Abkommens mit Jeffrey Epstein identifizierte, pflegte und missbrauchte Maxwell mehrere Opfer, während sie ein Leben von außerordentlichem Luxus und Privilegien genoss“, heißt es im Memorandum.
„In ihrem Vermächtnis hinterließ Maxwell bei ihren Opfern dauerhafte emotionale und psychologische Narben. Dieser Schaden kann niemals ungeschehen gemacht werden, aber er kann bei der Ausarbeitung einer gerechten Strafe für Maxwells Verbrechen berücksichtigt werden.“
Bevor sie ihr Urteil verkündete, sagte Richterin Alison J. Nathan, dass eine „beträchtliche Strafe“ aufgrund von Maxwells „zentraler Rolle“ in dem „schrecklichen Plan“ notwendig sei, berichtete die New York Times. Doch trotz der „abscheulichen und räuberischen Tat“ verurteilte Nathan sie zu weit weniger Jahren als von der Regierung empfohlen. „Es ist wichtig zu betonen, dass, obwohl Epstein eine zentrale Rolle in diesem kriminellen System spielte, Frau Maxwell nicht anstelle von Epstein oder als Stellvertreterin für Epstein bestraft wird“, sagte Nathan.
Es gab eine Reihe von Artikeln im Miami Herald, die die Aufmerksamkeit erneut auf Epsteins jahrzehntelangen Missbrauch lenkten und aufzeigten, wie das Justizsystem es versäumt hatte, ihn zur Verantwortung zu ziehen. Aufgrund derer wurde Epstein schließlich im Juli 2019 unter dem Vorwurf des Menschenhandels verhaftet. Sein Tod im Gefängnis, etwas mehr als einen Monat später, wurde als Selbstmord eingestuft. Seine Vertraute Maxwell wurde im Juli 2020 verhaftet.
Maxwell, 60 Jahre alt, die Tochter eines britischen Medienmagnaten, war mindestens seit den frühen 1990er Jahren mit Epstein vertraut. Zunächst als seine Freundin und später als seine engste Mitarbeiterin. Die beiden pflegten und missbrauchten systematisch junge Mädchen, vor allem solche, die verletzlich waren, solche mit alleinerziehenden Müttern, schwierigen Familienverhältnissen und Geldnot. Sie gaben den Mädchen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, luden sie zu Kinobesuchen und Einkaufstouren ein und boten ihnen sogar an, die Schule zu bezahlen.
Maxwell diente während der Verbrechen als alltägliche Präsenz, indem sie oftmals über sexuelle Themen mit den Opfern sprach, sich nackt oder oben ohne in ihrer Nähe aufhielt und sie ermutigte, Epstein Massagen zu geben. Epstein nutzte diese Massagen in der Regel als Vorwand, um sexuelle Kontakte mit den Mädchen aufzunehmen, wobei Maxwell oft noch im Raum war und ihnen zeigte, wie sie ihn anfassen sollten.
Dies war jedoch nur der Anfang. Die Opfer wurden über Jahre hinweg mehrmals wöchentlich missbraucht und manchmal mit Epsteins Privatjet zu seinen zahlreichen Wohnungen geflogen. Maxwell war oft bei den sexuellen Begegnungen anwesend und nahm manchmal selbst daran teil. Drei Zeuginnen sagten aus, sie habe ihre Brüste berührt und eine sagte, sie sei von dem Pärchen gezwungen worden an Gruppensex teilzunehmen. Maxwell war „der Schlüssel zu der ganzen Operation“, sagte die stellvertretende US-Staatsanwältin Alison Moe in ihrem Schlussplädoyer.
Auch Verbrecher wie der Tindler-Schwindler nutzen die alltägliche Präsenz, um seine Opfer zu betrügen. Hier teilen zwei Frauen, wie sie von deutschen Tinder-Schwindlern betrogen und abgezockt wurden.
„Epstein hätte das nicht allein tun können“, sagte Staatsanwältin Moe. „Ein alleinstehender Mann mittleren Alters, der ein Mädchen im Teenageralter einlädt, seine Ranch zu besuchen, in sein Haus zu kommen oder nach New York zu fliegen, ist unheimlich. Da schrillen die Alarmglocken. Aber wenn dieser Mann von einer schicken, lächelnden, respektablen, altersgemäßen Frau begleitet wird, dann erscheint alles legitim“, fuhr sie fort.
„Und wenn diese Frau die Mädchen ermutigt, den Mann zu massieren, wenn sie so tut, als sei es völlig normal, dass der Mann die Mädchen anfasst, dann lockt sie diese in eine Falle. Es erlaubt dem Mann, die Alarmglocken seiner Opfer zum Schweigen zu bringen und mit der Belästigung der Mädchen davonzukommen.“ Virginia Roberts Giuffre wiederholte diesen Gedanken in einer von ihrem Anwalt vorgetragenen Erklärung. Dort sagte sie, Ghislaine „verdiene es, den Rest ihres Lebens in einer Gefängniszelle zu verbringen.. Also für immer in einem Käfig gefangen zu sein, so wie sie ihre Opfer gefangen hielt“.
„Ich möchte eine Sache klarstellen: Jeffrey Epstein war ohne Frage ein schrecklicher Pädophiler“, schrieb Giuffre. „Aber ich hätte Jeffrey Epstein nie kennengelernt, wenn Sie nicht gewesen wären. Für mich und für so viele andere haben Sie die Tür zur Hölle geöffnet. Und dann, Ghislaine, haben Sie, wie ein Wolf im Schafspelz, Ihre Weiblichkeit benutzt, um uns zu betrügen und uns allen das anzutun.“
Maxwell und Epstein waren sehr wohlhabend und mit vielen berühmten sowie mächtigen Menschen befreundet. Eines der Opfer sagte aus, dass sie ihr sowohl Donald Trump als auch Prinz Andrew vorstellten, als sie 14 Jahre alt war. Diese beiden beschuldigte sie aber keines Fehlverhaltens. Epsteins ehemaliger Pilot sagte, Trump und Prinz Andrew seien in Epsteins Privatjet geflogen, ebenso wie Bill Clinton, die Schauspieler Kevin Spacey, gegen den ebenfalls Missbrauchsvorwürfe vorliegen, und Chris Tucker, die US-Senatoren John Glenn und George Mitchell, sowie der Geiger Itzhak Perlman.
Einige Tage vor ihrer Verurteilung wurde Mawell von den Gefängnis-Beamt:innen auf Selbstmordbeobachtung gesetzt, wie aus einem Schreiben ihrer Anwältin Bobbi Sternheim an die Richterin hervorgeht. Maxwell wurde jedoch psychologisch untersucht und „ist nicht selbstmordgefährdet“, so Sternheim. In dem Brief sagte Sternheim, dass Maxwells juristische Papiere weggenommen wurden, als sie auf Selbstmordwache gesetzt wurde und forderte die Verschiebung ihrer Verurteilung, falls sie nicht in der Lage sei, die notwendigen Dokumente einzusehen.
Bundesstaatsanwält:innen sagten, Maxwell sei auf Selbstmordwache gesetzt worden, nachdem sie Gefängnisbeamten eine E-Mail geschickt hatte, in der sie erklärte, „sie befürchte, dass [Gefängnis-]Mitarbeiter:innen ihre Sicherheit bedrohten“. Danach wurde sie in Einzelhaft verlegt, damit ihr Vorwurf untersucht werden konnte. Ihre legalen Papiere wurden ihr schließlich zurückgegeben, fügte die Staatsanwaltschaft hinzu.
Wenn du selbst Suizidgedanken, dann wende dich bitte an die Telefonnummer für die deutsche Telefonseelsorge. Sie lautet „0800 1110111“ und ist 24 Stunden erreichbar.
Autorin ist Julia Reinstein. Der Artikel erschien am 28. Juni 2022 auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Mine Hacibekiroglu.