Grüne leiden darunter, dass Reformen in der Bevölkerung „negativ besetzt“ sind
In einem neuen Meinungstrend überholt die AfD das Bündnis 90 sogar. Ein Politikwissenschaftler erklärt BuzzFeed News, woran das liegen könnte.
Immer wieder trendet in den vergangenen Wochen #Wärmepumpe auf Twitter. Einige User:innen lassen sich unter diesem Hashtag darüber aus, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ihnen mit dem Verbot für Öl- und Gasheizungen eine „Wärmepumpe aufzwingen“ wolle. Gleichzeitig wollten die Grünen ihnen „das Auto wegnehmen und das Eigenheim entwerten“, schreibt der in rechten Kreisen bekannte Nutzer @_donalphonso. Aber woher kommt diese Wut auf die geplanten Änderungen der Ampelkoalition, fragt BuzzFeed News DE den Parteienforscher Gero Neugebauer.
Grüne im Tiefflug: „Alles, was kostet, gerät zum Nachteil der Initiatoren“
Die Wut gegen die Grünen sieht man nicht nur in den sozialen Medien: Laut einem neuen INSA-Meinungstrend, über den zuerst die Bild-Zeitung berichtete, bekommen die Grünen immer weniger Zustimmung von der Bevölkerung und verloren im Vergleich zur Vorwoche 0,5 Prozentpunkte. Sie stehen noch bei 15,5 Prozent. Die AfD hingegen lege momentan weiter zu, so die Bild, der die neuen Insa-Umfragen vorliegen. Laut denen kommt die Rechtsaußen-Partei auf 16 Prozent – ihr höchster Wert seit Erhebung des Meinungstrends.
Wir fragen den Politikwissenschaftler Gero Neugebauer, wie er die von der Bild prophezeiten sinkenden Umfrage-Werte der Grünen einschätzt. Sollten die INSA-Umfragewerte repräsentativ sein, was der Politikexperte mal außen vor lässt, so könne man sagen: „Alles, was kostet, gerät zum Nachteil der Initiatoren.“ Die SPD sei 2009 aus der Koalition geflogen, die Umfragewerte der CDU und ihr Wahlergebnis seien 2017 gesunken und „nun sind die Grünen dran, die
allerdings bei Wahlen kaum Verluste erleiden“, mutmaßt Neugebauer.
Momentan gehe den Grünen ein Licht auf, „dass Maßnahmen nicht nur schön klingen und Zustimmung erzeugen, sondern auch akzeptiert und deshalb in geeigneter Form kommuniziert werden“ müssten. „Denn der Reformbegriff ist in der Bevölkerung primär negativ, weil mit Kosten verbunden, besetzt.“ Das habe sich in der Vergangenheit mehrfach gezeigt (Stichwort Flüchtlings- und Coronapolitik). „Jetzt trifft es die Grünen, demnächst vielleicht die SPD als Koalitionsführerin – oder die FDP, wenn sie eine als positiv betrachtete Maßnahme wie die Kindergrundsicherung verhindert.“

AfD nutzt „Missbilligung von Maßnahmen der Regierung für ihre Propaganda“
Frühere Zugewinne der AfD sind nach Ansicht des Politikwissenschaftlers auf zwei Dinge zurückzuführen: Der erste sei die Erzählung, eine Gruppe „nehme ‚uns‘ weg, was ‚uns‘ zusteht“, die zweite, dass die Gruppe „nicht hierher und zu ‚uns‘ gehöre“, eine Erzählung, die sich in Xenophobie (zu Deutsch „Angst vor dem Fremden“) begründe. „Inzwischen ist die AfD jedoch eine System-oppositionelle Partei geworden, das heißt, sie nutzt die Missbilligung von Maßnahmen der Regierung für ihre Propaganda gegen das ‚System‘ aus“.
Deutlich wird das zum Beispiel, wenn die AfD droht, nicht zu regieren, bis das „Heizungsverbot“ zurückgenommen wird. „Da wird dann die Grenze ihrer ‚Wirkungsmacht‘ deutlich“, so Neugebauer. „Ich teile die Einschätzung, dass das Potenzial der AfD bis zu 15 Prozent der Wählerschaft umfasst.“ Etwa acht bis zehn Prozent wählen die Partei seiner Ansicht nach aus programmatischen Gründen, der Rest aus funktionalen Gründen, also um gegen die Regierungspolitik zu protestieren.
„Ob das Potenzial der mit der Ampel Unzufriedenen zunimmt, hängt von diversen Entwicklungen ab. Zum Beispiel der Frage, wie lange Olaf Scholz es sich noch leisten kann, die FDP zu hätscheln. Oder der, ob die Grünen die Koalition irgendwann platzen lassen, um in eine Koalition mit der nicht mehr von Merz (und Söder!) geführten Union einzutreten.“
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