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„Welle des Hasses“: Hetze gegen queere Menschen nimmt im Netz drastisch zu

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Von: Michael Schmucker

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Ein Mann hält die Hände über den Kopf um sich gegen einen Angreifer zu wehren.
Hassverbrechen gegen queere Menschen nehmen in Deutschland zu. © dpa/Collage Buzzfeed

Die Zahlen sind erschreckend: Innerhalb eines halben Jahres hat sich der Hass gegen queere Menschen auf Social Media laut einer Studie vervierfacht.

Es sind in der Tat dramatische und erschreckende Zahlen, die in diesen Tagen publik gemacht wurden: Der Hass auf den Social-Media-Kanälen vor allem in den USA ist gegenüber der LGBTQIA+-Community im letzten halben Jahr um rund 400 Prozent angestiegen – das zeigt eine neue Studie der Human Rights Campaign in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Center for Countering Digital Hate. Auslöser in den Vereinigten Staaten von Amerika war das sogenannte „Don‘t Say Gay“-Gesetz, welches im Juli dieses Jahres im Bundesstaat Florida in Kraft getreten ist und Gespräche, Symbole sowie jedwede Themen oder Unterrichtsinhalte über die LGBTQIA+-Community an allen Grundschulen verbietet.

Aktuell versuchen Eltern und Aktivist:innen mit einer Sammelklage gegen das Sprechverbot vorzugehen – Ausgang ungewiss. Nach Angaben der Studienleiter:innen bewirkte das Inkrafttreten des neuen Gesetzes eine fatale Form von Legitimation, die homophobe und queer-feindliche Fanatiker:innen dazu ermutigte, ungehemmt queere Menschen auf den Social-Media-Plattformen anzugreifen – und das bis heute. Dabei bleibt der Hass nicht in den USA, denn Plattformen wie Instagram, TikTok oder Twitter werden auch millionenfach jeden Tag von deutschen LGBTQIA+-Menschen genutzt. Der Hass und die Hetze kennen keine Staatsgrenzen und verbreiten sich aktuell weltweit mit rasender Geschwindigkeit. 

„Die Gefahr von Hass und Hetze im Netz steigt“

Das registriert auch der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD), wie René Mertens gegenüber Buzzfeed News Deutschland bestätigte: „Besonders wenn es um trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen geht, steigt die Gefahr von Hass und Hetze im Netz. Das zeigt sich derzeit auch in der Diskussion um das neue Selbstbestimmungsgesetz. Das Selbstbestimmungsrecht von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen wird massiv angegriffen. Aber auch beim Thema ´Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schule und Unterricht´ hetzt immer wieder ein Bündnis aus besorgniserregenden Eltern, christlich-fundamentalistischen Gruppierungen, flankiert von rechtspopulistischen Parteien, mit faktenfreien Kampagnen gegen die unaufgeregte Thematisierung im Unterricht.“

Ähnlich sieht das auch die Human Rights Campaign (HRC), die ganz direkt in ihrem Bericht vor dem wachsenden Einfluss von Extremisten im Internet warnt: „Die durchschnittliche Anzahl der Tweets pro Tag, in denen Verunglimpfungen wie ,Kinderschänder‘ und ,Pädophiler‘ in Bezug auf LGBTQ+-Menschen verwendet wurden, ist um 406 Prozent gestiegen.“ Das US-Center for Countering Digital Hate wertete im letzten halben Jahr rund eine Million Tweets aus, manche Hasskommentare wurden dabei bis zu 48 Millionen Mal aufgerufen. Forschungsleiter Imran Ahmed dazu: „Wir befinden uns mitten in einer wachsenden Welle des Hasses und der Dämonisierung, die sich gegen LGBTQ+-Menschen richtet!“ Die Zahlen decken sich dabei auch mit Studienergebnisse der letzten Jahre aus Deutschland, beispielsweise einer Forsa-Studie im Auftrag der Landesmedienanstalt NRW, demnach zwei Drittel aller Online-User:innen in der Bundesrepublik bereits Hetze im Netz erlebt haben. 

LSVD: „Queere Jugend im Zentrum der Anfeindungen“

Aber warum ist das so? Ein wesentlicher Aspekt könnte die größere Sichtbarkeit der Community in der Gesellschaft sein, so Mertens vom LSVD: „LSBTI haben sich viel an persönlicher und gesellschaftlicher Freiheit erkämpft. Sichtbarkeit braucht jedoch auch Sicherheit. Allein der Anblick einer Drag Queen, einer trans* Person oder eines lesbischen oder schwulen Paares kann auch heute noch Gewalttäter:innen motivieren, brutal zuzuschlagen oder in virtuellen Räumen gegen LSBTI zu hetzen. Virtuelle Räume gehören zu den häufigsten Orten, an denen LSBTI Diskriminierung, soziale Exklusion und LSBTI-Feindlichkeit erleben.“

Dabei sieht der LSVD-Fachmann auch und gerade die queere Jugend im Zentrum der Anfeindungen: „Trans* und genderdiverse Jugendliche sind insgesamt häufiger Diskriminierungen ausgesetzt. Jede*r zweite von ihnen berichtet, dass sie online beleidigt, beschimpft oder lächerlich gemacht wurden. Von den jungen cisgeschlechtlichen Lesben, Schwulen und Bisexuellen sagen das 28 Prozent. Hass im Netz wirkt hier wie ein Brandbeschleuniger auf LSBTI-feindliche Hassgewalt im analogen Raum. Daher ist es so wichtig, diesem frühzeitig und nachhaltig zu begegnen.“

Politik soll aktiv werden, fordern Expert:innen

Für Mertens ist daher klar, dass das Problem nur bewältigt werden kann, wenn man von mehreren Seiten aktiv eingreift – so muss auf der einen Seite die Medienkompetenz von Jugendlichen verbessert werden. Zudem müsse auf der anderen Seite auch die Politik verstärkt aktiv werden, beispielsweise durch schnelle und leicht zugängliche Meldeverfahren und einer Sensibilisierung bei Ansprechpartner:innen von Polizei und Justiz. Ein schnelles Handeln ist auch deswegen dringend geboten, weil mit Blick auf die weiteren Pläne der Ampelkoalition wie dem Selbstbestimmungsgesetz, dem Nationalen Aktionsplan oder auch der Änderung des Abstammungsgesetzes erneut eine Welle von digitalem Hass gerade auch in Deutschland zu erwarten ist.

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