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Warum es für die bekannte SPD-Politikerin bei einem Thema um Leben und Tod geht

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Von: Robert Wagner

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Sie kämpft gegen eine besonders perfide Form von Hass. BuzzFeed News Deutschland berichtet die Feministin von Detoxphasen und, weshalb sie nicht aufgibt.

Deutschland hat ein großes Problem mit digitaler Hassrede. Minderheiten sind besonders von diesem Internetphänomen betroffen, wie etwa queere und transgeschlechtliche Menschen zu berichten wissen. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass digitaler Hass im Internet genauso Gewaltcharakter hat wie unmittelbare körperliche Gewalt.

Expert:innen haben daher die Entscheidung der Bundesregierung begrüßt, ein „Gesetz gegen digitale Gewalt“ auf den Weg zu bringen. Ein entsprechendes Eckpunktepapier hat das Justizministerium Anfang April dem Kabinett vorgelegt.

Ein Fortschritt im Kampf gegen digitale Gewalt

Das neue Gesetz soll es Betroffenen einfacher machen, sich gegen Hasspostings in den Sozialen Medien zu wehren. So sollen entsprechende Accounts gesperrt werden können, allerdings nur vorübergehend und bei Wiederholungsgefahr. Die Plattformen sollen dazu verpflichtet werden, Nutzungsdaten wie die IP-Adresse herauszugeben, um die Identität der Täter:innen zu ermitteln. 

Mit dem 2017 verabschiedeten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) können rechtswidrige Inhalte von Plattformen gelöscht werden. Die Accounts selbst, also die Urheber:innen dieser Inhalte, bleiben allerdings unbehelligt. So gesehen ist der Entwurf für ein neues „Gesetz gegen digitale Gewalt“ ein Fortschritt, in einem Kampf, der heute dringlicher ist denn je. Von diesem Kampf berichtet auch trans* Journalistin Georgine Kellermann im Interview mit BuzzFeed News Deutschland.

Sawsan Chebli: Hass im Netz geht die gesamte Gesellschaft an

Eine Bevölkerungsgruppe bekommt neben trans* Menschen den digitalen Hass ebenfalls in voller Härte zu spüren: Feministinnen. Eine solche ist die ehemalige Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei Sawsan Chebli. Die 44-Jährige hat sich in den letzten Jahren insbesondere auf Twitter mit meinungsstarken Beiträgen einen Namen gemacht. Dort erreicht sie mittlerweile über 120.000 Follower:innen – und erfährt als Frau mit arabischem Migrationshintergrund eine Qualität an Hass, die viele nur schwer nachvollziehen können.

Ende März hat Chebli ihr erstes Buch veröffentlicht, in dem sie über genau dieses Thema schreibt. Es ist ein selbstbewusstes Plädoyer dafür, sich dem rechten Hass im Netz entschieden entgegenzustellen und nicht zu verstummen. Daher auch der knappe Titel ihres Buches: „Laut“. Im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland betont die gebürtige Berlinerin, dass der Kampf gegen digitale Gewalt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Dafür wolle sie mit ihrem sehr persönlichen Buch die Leser:innen sensibilisieren.

„Ich lasse mich nicht mundtot machen“

„Mein Ziel ist es, dass die Leute ihr Verhalten im Netz reflektieren, dass sie ihre Verantwortung erkennen und entsprechend Zivilcourage zeigen“, sagt die studierte Politikwissenschaftlerin. Ihre große Reichweite auf Twitter sehe sie als Verpflichtung, in ihrem Engagement nicht nachzulassen. „Ich kann Debatten anstoßen und ihnen eine Richtung geben, in konkreten Fällen einen positiven Einfluss ausüben. Ich bin nicht bereit, dieses Kapital aufzugeben, weil Hater meinen, ich gehörte abgeschoben oder vernichtet. Ich lasse mich nicht mundtot machen.“

Es komme auf jede Stimme an. Chebli könne jeden verstehen, der keine Lust mehr auf die hitzige Streitkultur in den sozialen Medien hat. Sie plädiert dafür, sich auch mal zurückzuziehen, aber dann auch wieder zurückzukommen. „Ich nenne das Social-Media-Detoxphase.“ Es sei wichtig, sich weiterhin einzumischen und mit Betroffenen Solidarität zu zeigen, um „das Netz nicht den Demokratiefeinden zu überlassen.“

Hass im Netz ist letztlich eine Frage von Leben und Tod

Letztlich gehe es in dieser Frage um Leben und Tod. „Wir gehen mit dem Problem digitaler Hassrede um, als wäre es ein Nischenthema. Dabei kann Hass im Netz im Extremfall töten, wie das Beispiel Lübcke zeigt“, sagt Chebli. Digitale Gewalt sei daher auch ein Problem der Politik. Hier bestehe aber noch Nachholbedarf.

Das geplante „Gesetz gegen digitale Gewalt“ begrüßt Chebli. Es sei „ein Schritt nach vorn“, dass Auskünfte zu den mutmaßlichen Täter:innen herausgegeben werden sollen. Dennoch gebe es auch berechtigte Kritik. Neben der immer noch hohen Hemmschwelle, bis es zur Löschung von Accounts kommen können soll, seien da etwa auch die Anwaltskosten, die von den Betroffenen übernommen werden sollen.

„Viele Opfer gehen den juristischen Weg schon deshalb nicht, weil sie die Kosten für den Anwalt nicht stemmen können. Denn die werden auch bei einem Erfolg nicht erlassen, anders als die Gerichtskosten.“ Sie selbst hat mittlerweile sehr viel schlechte Erfahrungen im Umgang mit der strafrechtlichen Verfolgung von Hassbotschaften gemacht. Viele Verfahren würden im Sande verlaufen. Davon lässt Chebli sich aber nicht unterkriegen. „Wenn wir alle den Kopf einstecken würden, weil wir den Hass nicht mehr ertragen, hätten diese Leute gewonnen.“

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