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Heavy Metal-Fan und queer? „Den Leuten ist es egal“

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Von: Michael Schmucker

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Fans auf dem Wacken Festival 2022 (links) und der schwule Heavy Metal-Sänger Gaahl (rechts).
Der queere Metal-Star Gaahl (rechts) erzählt, er habe keine negativen Reaktionen erlebt. © Gonzales Photo/Dirk Jacobs/Imago

Heavy Metal ist sensibel, viel toleranter, als man denken würde und die queere Metal-Szene wird von Jahr zu Jahr immer größer.

Wenn ein Musikstil für „echte harte Kerle“ steht, die mit einem Übermaß an Testosteron durch die Welt laufen, dann ist es Heavy Metal. Wie kaum eine andere Musikrichtung verkörpern die Held:innen der Szene seit den 1970er Jahren ein patriarchalisches Männerbild, in dem queere Menschen scheinbar nicht hineinpassen.

Doch wie so oft trügt auch hier der erste Eindruck, denn seit vielen Jahren hat sich eine queere Community innerhalb der Heavy Metal-Szene etabliert – und das ganz offen und selbstverständlich. Wie das?

Lederlook, lange Haare und androgyne Männlichkeit

LGBTQIA+-Menschen feiern unter dem Begriff „Queer Metal“ nicht nur sich selbst, sondern auch eine besondere Form von Freiheitswillen jenseits festgesetzter Normen, die alle Metal-Fans miteinander verbindet. Die Dokumentarfilmer:innen Mariska Lief und Andreas Krieger tauchten ein Jahr lang weltweit in diese besondere Community ein und erlebten die Musikfreunde als äußerst feinfühlige, sensible und emphatische Menschen. Sie feiern sogar queere Symbolik wie den klassischen Lederlook der schwulen Fetisch-Community. Der britische Judas-Priest-Sänger Robert Halford, outete sich 1998 selbst als schwul und ging oftmals direkt nach einem Besuch eines Gay-Clubs im gleichen Outfit auf die Bühne.

„Lack und Leder wurde eine Zeit lang zum Inbegriff des harten, quasi ‚heterosexuell normierten´ Metal, der Inbegriff der Männlichkeit, geboren aus der queeren Community“, sagt Krieger gegenüber BuzzFeed News DE von Ippen.Media. Die Symbiose mit der queeren Welt zeigte sich auch früh anderenorts. Die Jungs von Iron Maiden vermittelten beispielsweise bezüglich ihrer langen Haarpracht gerne den Eindruck, sie wären lieber Mädchen als Punks und die Band „Kiss“ sorgte mit Schminke schon früh für eine sehr androgyne queere Interpretation von Männlichkeit.

„Da werden queere Codes genommen und einem Publikum vorgesetzt, das das voll und ganz akzeptiert“, so Krieger weiter. Die Verbindungen zur queeren Welt wurden mit den Jahren immer deutlicher und trotzdem zeigten sich die Musikfans davon im positiven Sinne unbeeindruckt. „Die grundsätzliche Idee ist klar: Jeder darf im Metal einfach so sein, wie er ist. Metal ist eine Selbstermächtigung, eine Selbst-Definition. Menschen sind so, wie sie sein möchten“, erklärt Krieger weiter. Ein Credo, das sich gerade auch queere Menschen zu eigen machen. 

LGBTQIA+-Stars im Heavy Metal machen queeren Menschen Mut

Vielleicht ist es genau auch dieses Spiel mit den Klischees, weswegen LGBTQIA+-Personen gerne in die Szene eintauchen, die ihnen ganz offensichtlich viel mehr menschliche Freiheit als der klassische Alltag auf deutschen Straßen gibt. Vielen jungen queeren Menschen machen die LGBTQIA+-Stars im Heavy Metal sogar Mut, wie der italienische trans* Mann Riccardo Quintaluce, kurz Rick, mit Blick auf Robert Halford von Judas Priest erzählt: „Ich las alles über ihn und verstand: Da ist auch ein Platz für mich. Sogar der größte Sänger des Heavy Metal kann schwul sein. Und den Leuten ist es egal. Sie feiern ihn. Also kann vielleicht auch ich trans sein und bin trotzdem in der Heavy Metal Gemeinschaft willkommen.“

Immer mehr reifte diese Erkenntnis in dem jungen trans* Mann, der sein ganzes Leben zuvor davon ausgegangen war, es wäre ihm verboten, frei zu sein. Ricks größter Wunsch war es, seinen Idolen beim Wacken-Musikfestival sehr nahe zu sein. Dokumentarfilmer Krieger war mit dabei und erlebte einen der emotionalsten Momente während der Dreharbeiten – mitten während eines Konzertes kämpfte sich das Filmteam zwischen den Besucher:innen nach vorne in Richtung Bühne, um trans* Mann Rick zu filmen.

„Plötzlich kamen vier große, grimmig guckende Metal-Fans auf uns zu und fragten, was wir hier wollten. Wir haben ihnen dann kurz Rick vorgestellt und gesagt, dass er ein trans* Mann ist und dass wir seine Geschichte in Wacken erzählen wollen. Die Grimmigkeit wich sofort aus den Gesichtern und wir wurden von den vier Metal-Jungs von dieser Minute an von wild tanzenden Fans abgeschirmt. Immer mehr Metal-Fans halfen uns schlussendlich, weil alle es so schön und wichtig fanden, dass wir die Geschichte von trans* Mann Rick erzählen.“

Homofeindliche Trolle? – „es ist wirklich kein großes Problem.“

In der Tat klingt das nicht nach dem bösen homofeindlichen Metal-Macker, den einige von uns noch immer vielleicht im Kopf haben. Auch in den Gesprächen mit anderen queeren Metal-Stars wie dem schwulen Sänger Gaahl zeigt sich, dass wir umdenken sollten. Gaahl wurde 2010 in seiner Heimat Norwegen auch zur „Homosexuellen Person des Jahres“ gewählt, vereinzelt stieß das bei rechtsradikalen Personen in der Dark-Metal-Szene auf Widerstand. „Gaahl lebt trotzdem offen sein Schwulsein. Sein Freund Robin wurde sogar mit Mord bedroht. All diese Protagonisten haben immens viel riskiert für ihr Outing. Dafürzustehen, wer sie wirklich sind“, so Krieger.

Gaahl selbst erklärt dazu: „Im Großen und Ganzen habe ich keine persönliche negative Reaktion darauf erlebt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Trolle gibt, die versuchen, etwas Großes daraus zu machen. Aber es ist wirklich kein großes Problem.“ Auch das, der Kampf mit Hasstriaden und Internet-Trollen, ist für viele queere Menschen bis heute Alltag. Für echte Metal-Fans ist dabei allerdings klar, dass dieser Hass, den es mancherorts noch gibt, nicht für den klassischen und schon gar nicht den wahren Heavy Metal stehen. Immer mehr Fans stellen sich dabei auch öffentlich gegen rechtsradikale Personen, die versuchen, das Musikgenre zu unterwandern und Stimmung gegen LGBTQIA+ zu machen.

So wächst im Gegenzug die queere Metal-Szene von Jahr zu Jahr immer weiter an, in einigen Teilen Deutschlands gibt es auch bereits queere Metal-Partys. Krieger dazu: „Auf Metal-Konzerten ist es total egal, welche sexuelle Orientierung man hat. Metal ist einfach eine große Familie und viel toleranter, als man das erstmal denken würde.“ Mittlerweile gründeten sich sogar queere Bands wie „Man On Man“, die bewusst queere Geschichten erzählen und damit ein immer größeres Publikum finden.

Trans* Mann beim Wacken-Festival: „Ich habe gemerkt, dass es ein Fest der Stärke ist.“

Jungen Menschen wie trans* Mann Rick hat die Musik den Mut gegeben, offen zu seinem queeren Leben zu stehen. Auch vor seiner eher konservativen Familie, denen er klarmachte, er gehe seinen Weg und es sei ihre Entscheidung, ob sie dabei sein wollen oder nicht – schlussendlich entschied sich seine Familie für ihn. Die Feuertaufe erlebte er dann tatsächlich auch beim Wacken-Festival. Anfangs hatte er sich noch gefragt, ob er nicht doch fehl am Platz sei, doch dann:

Ich habe gemerkt, dass es ein Fest der Stärke ist. Es ist eine Feier der Stärke aller Menschen. Ich glaube, dass die jüngere, ängstliche Version von mir, sich diese Musik unbewusst ausgewählt hat. Das war mein Weg, jemand anderes zu werden, jemand, der glücklich ist und kraftvoll und beeindruckend.

Heavy Metal-Fan Rick

Dieses Wesen der Musik verbindet offensichtlich die Fans und alle sind dabei gleich, egal ob Bänker:in oder Fabrikarbeiter:in, egal ob hetero oder queer.

Queer-Metal verdient Aufmerksamkeit, „obwohl sie eine Minderheit sind“

Ist es dann überhaupt noch wichtig, den sogenannten Queer-Metal so hervorzugeben? Ja, findet die nicht-binäre Heavy Metal-Redakteur:in Addison Herron-Wheeler: „Oft heißt es: Warum sollen wir überhaupt Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass es Frauen gibt, People of Color, queere Menschen? Können die nicht einfach nur so dabei sein? Aber mein Gefühl war und ist immer noch, dass wenn Menschen so sehr in der Minderheit sind, es wichtig ist, Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, auf alles, was sie geschafft haben, obwohl sie eine Minderheit sind.” Der schwule Sänger Rob Halford bringt es so auf den Punkt: „Jeder sollte seiner eigenen Menschlichkeit folgen und einfach sein, wer er sein möchte!“

Zuletzt bleibt nur noch ein Klischee übrig, und zwar jenes, dass Heavy Metal einfach nur „extrem lauter Lärm“ sei. Dokumentarfilmer Krieger dazu gegenüber BuzzFeed News DE abschließend: „Es ist sehr sensible Musik. Metal ist wohl die einzige Musikrichtung, bei der es um alles geht. Ganz oder gar nicht. Man lässt sich auf diese fantastische Welt ein oder nicht. Ein bisschen Metal geht nicht. Metal ist auch eine der wenigen Musikrichtungen, die Menschen in ihrer Härte und Verletzbarkeit vollumfänglich abbildet.“ Da zeigt sich, Metal ist also tatsächlich richtig queer. Die Dokumentationsreihe „Heavy Metal Saved My Life“ von Andreas Krieger und Mariska Lief gibt es ab sofort in der ARD-Mediathek.

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