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Welt-Aids-Tag: 3 Menschen erzählen, wie sich ein Leben mit HIV wirklich anfühlt

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Von: Michael Schmucker

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2021 kam es in Deutschland zu 1800 Neuinfektionen mit HIV.
2021 kam es in Deutschland zu 1800 Neuinfektionen mit HIV. © agefotostock/Imago

Am 1. Dezember sollen zum Welt-Aids-Tag die Rechte von Menschen mit HIV gestärkt werden. Drei von ihnen erzählen hier von ihrem Alltag und Problemen im deutschen Gesundheitssystem.

Am Welt-Aids-Tag erinnern wir uns zum einen an die vielen Menschen, die seit Ausbruch der weltweiten Viruserkrankung gestorben sind (rund 40 Millionen), aber fragen uns gleichzeitig auch: Wie leben Menschen mit HIV heute tatsächlich?

Anfangs kam die Diagnose HIV in den 1980er Jahren einem Todesurteil gleich, heute ist HIV eine chronische Erkrankung mit einer langen Lebenserwartung bei einer rechtzeitigen Diagnose und einer guten medizinischen Behandlung. Mit der Zeit setzte sich in der Gesellschaft auch die Erkenntnis durch, dass die vermeintliche „Schwulenseuche“ alle Menschen betreffen kann.

Drei Menschen mit HIV sprechen über Rassismus, Vorurteile und Diskriminierung im Alltag

Laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) kam es zuletzt im Jahr 2021 insgesamt zu 1.800 Neu-Infektionen in Deutschland, nur rund 1.000 davon betrafen schwule und bisexuelle Männer (MSM). Doch gerade die Tatsache, dass es jeden treffen kann, scheinen viele auch heute noch nicht so richtig wahrhaben zu wollen, wie die Heilerzieherin Julia (31) gegenüber BuzzFeed News DE von Ippen Media erklärt: „Das Vorurteil, dass HIV nur schwule Männer betrifft, ist stigmatisierend und einfach falsch. Wichtig ist zu wissen, dass man einer HIV-Infektion vorbeugen kann, indem man, sofern man ungeschützten Geschlechtsverkehr haben möchte, mit dem Partner zusammen einen Test macht.“

Julia hat sich bei ihrem ehemaligen Partner angesteckt, sie hatte vorab einen Test gemacht, er nicht. „Aus Naivität und durch das Verliebtsein habe ich seitens meines damaligen Partners keinen Test eingefordert. Ich möchte einen Appell an alle Menschen richten: Testet euch!“ Julia lebt heute einen normalen Alltag, zehn Jahre nach der Diagnose.

Man sieht mir das Virus nicht an und es bestimmt nicht meinen Alltag. Das war natürlich nicht immer so. Die Akzeptanz musste ich mir hart erarbeiten. Als ich damals von meiner Infektion erfuhr, brach eine Welt für mich zusammen, ich habe lange ein Doppelleben geführt, da ich nicht in der Lage war, offen über diesen Einschnitt zu rede

Julia

Durch eine Psychotherapie und den offenen Umgang mit Freund:innen fand sie einen Weg, zu ihrer Erkrankung zu stehen. Inzwischen hat sie auch wieder einen Partner, für den der HIV-Status von Julia kein Problem darstellt. „All diese schönen Erfahrungen haben mich darin bestärkt, eventuell andere Menschen mit dieser Diagnose zu stärken, ihnen Mut zu machen. Niemals hätte ich gedacht, dass es mir irgendwann möglich ist, all das so offen zu kommunizieren“, so Julia, die in diesem Jahr deswegen auch bei der gemeinsamen Welt-Aids-Kampagne von Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der Deutschen Aidshilfe und der Deutschen AIDS-Stiftung mitmacht. 

Die Aids Hilfe Wien hat vier Forderungen aufgestellt, die wichtige Mittel im Kampf gegen HIV und Aids sein sollen.

95 Prozent der Menschen mit HIV erleben Diskriminierung

Genau dieser Aspekt, das Mut machen, ist dabei ein zentraler Punkt, um sich gegen die Stigmatisierung zu stellen, die für viele Betroffene bis heute die größte Problematik darstellt. Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe (DAH) gegenüber BuzzFeed News: „Menschen mit HIV müssen immer noch mit Diskriminierung rechnen. 95 Prozent berichteten in unserer Befragung, dass sie in den zwölf Monaten zuvor Diskriminierung erlebt hatten. Mehr als die Hälfte gibt an, dass Vorurteile sie in ihrem Leben beeinträchtigen. Menschen mit HIV können heute bei rechtzeitiger Therapie leben wie alle anderen, aber Diskriminierung, Zurückweisung, Ausgrenzungen, Schuldzuweisungen und moralische Bewertungen machen ihnen das Leben schwer.“ 

Besonders dramatisch zeigt sich diese Stigmatisierung in Deutschland gerade auch bei Menschen, die ursprünglich aus einem anderen Land kommen, wie Lillian gegenüber BuzzFeed News bekräftigt: „Wenn Menschen nicht aus Deutschland kommen, dann leiden sie unter mehrfacher Diskriminierung und manche Leute ohne Aufenthalt haben gar keinen Zugang zu einer Therapie oder zum Gesundheitssystem im Allgemeinen. Für mich als afrikanische Frau ist der schwierigste Punkt bis heute, mit HIV-bezogenem Rassismus in der Alltagssprache, in Strukturen, in den Gesetzestexten, im Gesundheitswesen und in der Zivilgesellschaft umzugehen.“

Die 52-jährige Aktivistin floh vor vielen Jahren aus Uganda, einem der am schlimmsten von HIV betroffenen Länder. Heute lebt sie in Saarbücken und beschreibt ihr Leben mit HIV als erfolgreich, wenngleich ihr klar ist: „Für andere Betroffene sieht es meist nicht so positiv aus, viele können nicht offen damit umgehen, Ausgrenzung und Diskriminierung sind ihre ständigen Begleiter. Mein Motto ist: I am not okay until we are all okay!”

Menschen mit HIV nennen Probleme im deutschen Gesundheitssystem

Die Probleme im Bereich Gesundheitssystem kommen bei allen Betroffenen immer wieder zur Sprache, zuletzt erklärte auch die Bundesärztekammer, dass es hier noch massiven Schulungsbedarf gerade für medizinisches Personal gäbe. „Da werden etwa Gesundheitsleistungen verweigert, es wird Menschen mit HIV nur der letzte Termin am Tag gegeben, beispielsweise bei einer zahnärztlichen Behandlung, oder es gibt Verletzungen des Datenschutzes, zum Beispiel, indem Patient:innenakten sichtbar markiert werden“, so Wicht von der DAH weiter.

Ähnlich sieht das auch die HIV-positive Trans*-Frau Anika (50) aus Hanau gegenüber BuzzFeed News: „Im ländlichen Raum wird es ganz schwierig, eine Grundversorgung zu bekommen. Und wenn das Einkommen kaum zum Leben reicht, dann haben diese Menschen ein ganz großes Problem.“ Für Anika ist daher klar, dass es gerade im ländlichen Raum noch deutlich mehr Einsatz braucht: „Nicht die Gelder bei jenen kürzen, die keine Lobby haben, wo alles ein wenig ‚anrüchig´ ist. Institutionen wie die Aids-Hilfe sind bei jenen Menschen vor Ort, die sehr oft alleine sind, keine Lebensperspektive mehr sehen und von einem Virus gekennzeichnet sind. Und manchmal sind wir das einzige Licht in der Dunkelheit.“ 

Diskriminierung im Berufsleben: „Einige Arbeitgeber verlangen sogar noch HIV-Tests“

Auch in der beruflichen Welt erfahren viele immer wieder Diskriminierung, so Wicht: „Einige Arbeitgeber verlangen sogar noch HIV-Tests. Auch wenn sie sich bei der Polizei bewerben, werden Menschen mit HIV noch zurückgewiesen. Nicht zuletzt wissen Menschen mit HIV im Alltag nie, wie ihr Gegenüber reagiert. Das alles ist eine psychische Belastung und kann krank machen.“ Die Deutsche Aidshilfe fordert deswegen aktuell ein Test-Verbot im gesamten Arbeitsleben. 

Mehr Bildung und mehr Wissen über HIV sind die lebenswichtigen Schlagworte, da sind sich alle Befragten einig. „Die für mich größte Problematik im Umgang mit HIV liegt immer noch an der schlechten Aufklärung und der daraus folgenden Berührungsangst gegenüber Menschen mit HIV. Schwierig ist für mich bis heute die Angst vor Zurückweisung. HIV ist für betroffene Personen immer noch sehr schambehaftet, was den offenen Umgang damit erschwert“, so Erzieherin Julia.

Immer noch ist in Teilen der Gesellschaft ein gefährliches Halbwissen vorhanden, findet auch Trans*-Frau Anika: „Die Menschen verstehen oft nicht, dass es einen Unterschied zwischen HIV und AIDS gibt. Es bedarf viel mehr Aufklärung!“ Und Julia ergänzt im Gespräch mit BuzzFeed News: „Wichtig ist für mich, dass an Schulen und Universitäten mehr aufgeklärt wird. Ich habe doch stark das Gefühl, dass wir gerade diese Gruppe von jungen Menschen erreichen sollten, da ein offener Umgang zu mehr Akzeptanz führt und sensibilisiert.“ Mehr Wissen über HIV in die Bevölkerung zu tragen, ist auch deswegen wichtig, weil bis heute viele HIV-Diagnosen laut dem RKI zu spät erfolgen, also zu einem Zeitpunkt,  wenn bereits ein Immuninfekt (33 Prozent) oder das Vollbild AIDS (18 Prozent) vorhanden ist.

Deutsche Aidshilfe fordert mehr Informationen über Schutzmöglichkeiten gegen HIV und Tests

Die Deutsche Aidshilfe fordert von der Politik dabei auch ganz praktisch mehr Einsatz.

Wir brauchen eine Ausweitung der PrEP-Versorgung, indem wir Versorgungslücken schließen und noch stärker über diese Schutzmöglichkeit informieren. Wir brauchen eine bessere Finanzierung der kommunalen Drogenhilfe, denn vor Ort fehlt es mittlerweile oft an Geld, um sterile Spritzen und Konsumutensilien zu verteilen.

Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe

Seit dem Jahr 2010 ist der Anstieg der Neu-Infektionen bei Menschen, die intravenös Drogen konsumieren, angestiegen, zuletzt infizierten sich im Jahr 2021 insgesamt 320 Personen dadurch mit HIV.

HIV-Testangebote leiden, weil Forschung sich auf Corona konzentrierte

Dringend notwendig wäre aus Sicht der DAH so auch eine Spritzenvergabe in Haftanstalten. Zudem, so Wicht: „Wir brauchen noch mehr leicht erreichbare, communitynahe Testangebote, um mehr HIV-Infektionen früh festzustellen und behandeln zu können.“

Gerade das Thema Testangebote litt in den vergangenen Jahren massiv, seitdem sich sowohl die Gesundheitssysteme weltweit und die Forschung immer mehr auf Corona ausgerichtet hatten. Es gibt also noch viel zu tun – machbare Ziele, die aber nur gelingen können, wenn Politik und Gesellschaft das Thema HIV verstärkt in den Fokus rücken und das nicht nur einmal im Jahr.  

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