„Die PrEP kann erheblich zum sexuellen Wohlbefinden beitragen“

Es gibt ein wirksames Mittel zur Vorbeugung einer Infektion mit dem HI-Virus. Die Kosten übernehmen teilweise Krankenkassen, doch es gibt weitere Hürden.
HIV und AIDS haben seit einigen Jahren ihren Schrecken verloren – zumindest in Deutschland, wo die Versorgungslage mit Therapien und Präventivmedikamenten wie der PrEP sehr gut ist. Obwohl, ist die Lage wirklich so gut?
Die Deutsche Aidshilfe und HIV-Expert:innen schlugen unlängst Alarm, denn noch immer gäbe es gerade auf dem Land in ganz Deutschland massive Versorgungslücken. Zudem ist vielerorts der Wissensstand über die PrEP eher gering und gerade heterosexuelle Menschen können mit dem Präventivmedikament zum Schutz vor einer HIV-Infektion nach wie vor so gar nichts anfangen – warum eigentlich?
Zu wenig HIV-Praxen auf dem Land
Die Deutsche Aidshilfe (DAH) fordert kurz und knapp: „Barrieren im System und in den Köpfen beseitigen, Lücken schließen, Zugänge schaffen!“ Holger Wicht von der DAH sagt BuzzFeed News Deutschland: „Abseits der Metropolen gibt es viel zu wenige HIV-Praxen und -Ambulanzen, die PrEP verschreiben, auf dem Land sogar richtige weiße Flecken auf der Versorgungslandkarte. Die Folge sind lange Wege und Wartezeiten. Manche Menschen kommen da gar nicht erst in einer geeigneten Praxis an.“
Doch warum verschreiben nicht mehr Ärzt:innen ihren Patient:innen mit einem risikohaften Sexualverhalten die PrEP? Immerhin zählen dazu alle Menschen mit einem sogenannten „substanziellem Risiko“, vereinfacht gesagt betrifft das jeden, der wechselnde Sexualpartner:innen hat. Genau deswegen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen seit September 2019 die Kosten für die PrEP. Bis heute wird sie trotzdem beinahe ausschließlich von schwulen und bisexuellen Männern in Anspruch genommen.
Mindestens 30.000 Menschen schützen sich aktuell in Deutschland nach Angaben des Robert Koch-Instituts mit der PrEP. „Sie schützt zuverlässig, etwa wenn ein durchgängiger Kondomgebrauch nicht möglich ist oder wenn Menschen auf Kondome verzichten wollen. Sie kann Ängste vor einer HIV-Infektion nehmen. Die PrEP kann also auch erheblich zum sexuellen Wohlbefinden beitragen“, so Wicht weiter.
„Warum nehmen die Patienten nicht einfach ein Kondom?“
Einer jener Ärzte, der die PrEP verschreibt, ist der HIV-Facharzt Kevin Ummard-Berger von der UBN-Praxis in Berlin. Immer wieder ist er in der Bundesrepublik unterwegs, um Kolleg:innen bei Fachtagungen über die PrEP zu informieren. Manchmal stößt er dabei tatsächlich auf reges Interesse, anderenorts stellt sich die grundsätzliche Frage, warum das Medikament überhaupt sinnvoll ist. „Wie und warum nimmt man das Medikament? Wie funktioniert es? Warum nehmen die Patienten nicht einfach ein Kondom? Diese Fragen kommen immer wieder“, sagt Ummard-Berger BuzzFeed News Deutschland. Seine Antwort darauf ist stets gleich: „Weil die Sexualität Befreiung erleben muss!“
Nebst der manchmal vorhandenen Unwissenheit gibt es aber noch weitere Hürden, denn für viele Ärzt:innen gerade im ländlichen Raum stellt sich tatsächlich die Frage, wie sinnvoll es ist, das Präventivmedikament überhaupt in der eigenen Praxis anzubieten. Damit Ärzt:innen dies überhaupt tun dürfen, müssen sie zuvor mehrere PrEP-Fortbildungen absolvieren und in einer HIV-Schwerpunktpraxis hospitieren – je nach Bundesland werden im Durchschnitt 40 Stunden oder mehr verlangt.
Ärzt:innen müssen 40 Stunden in einer Schwerpunktpraxis hospitieren – das ginge auch anders
Dazu kommen weitere besondere Antragskriterien, die jede Krankenkasse für jedes Bundesland gesondert regelt. „Ich glaube, dass wir durch die hohen Hürden, die wir hier haben, wenige Kollegen gewinnen, die daran teilnehmen wollen, weil es einfach nicht in den Alltag integrierbar ist, plötzlich 40 Stunden von seiner eigenen Praxis fernzubleiben, um bei einem anderen Kollegen zu hospitieren“, so Ummard-Berger.
Wicht dazu: „Diese Fortbildungen ließen sich viel einfacher gestalten, etwa über E-Learning. Dass diese Fortbildungen für Ärzt:innen leichter werden, muss das Medizinsystem, insbesondere die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen, einfädeln, die Politik kann es befördern.“ Ummard-Bergers Vorschlag: „Ich würde das zum Beispiel über einen gebündelten Zwei-Tages-Kurs mit einer Lernerfolgskontrolle am Ende machen, dazu noch ein Tag in einer Schwerpunktpraxis.“
Versorgungslage hindert Andreas daran, die PrEP zu nehmen
Für viele Betroffene stellt sich dabei eine ganz andere Frage – wie kann ich die regelmäßige Einnahme überhaupt zeitlich schaffen? Andreas aus einer kleinen Stadt in Oberbayern erzählt BuzzFeed News Deutschland: „Ich würde sehr gerne die PrEP nehmen, weil ich gerne Sex habe, aber für mich ist das zeitlich fast nicht machbar. Für einen entsprechenden Arzt müsste ich eine Stunde unter der Woche nach München fahren. Dazu kämen alle drei Monate die vorgeschriebenen Folgeuntersuchungen. Ich bin berufstätig, sprich, ich müsste jedes Mal einen Tag Urlaub nehmen. Und selbst wenn ich auch das in Kauf nehmen würde, gibt es bei den meisten HIV-Ärzten lange Wartezeiten. Am Ende ist das für mich einfach nicht praktikabel, auch wenn es echt sinnvoll wäre!“
Andreas ist nicht der Einzige, der so eher unfreiwillig auf die PrEP verzichtet oder sie sich anderweitig besorgt. Ummard-Berger dazu: „Ich erlebe, wie sich Patienten über Privatrezepte die PrEP besorgen, allerdings eben ohne Kontrollen und Check-Ups. Es wäre dabei durchaus wichtig und sinnvoll, dass Patienten das Medikament regelkonform einnehmen. Dazu gehören auch regelmäßige Kontrollen, Beratung und ein Check der Nierenfunktion.“ Über die grundsätzliche Tatsache, dass die PrEP effektiv wirkt, sind sich dabei die Fachstellen wie die DAH oder auch das Robert Koch-Institut einig.
Ängste vor möglichen Nebenwirkungen und Vorurteile
Ein weiterer Aspekt, weswegen der Einsatz der PrEP in Deutschland noch weit hinter den Möglichkeiten zurückbleibt, sind diffuse Ängste über mögliche Nebenwirkungen und Vorurteile. „Natürlich kann es grundsätzlich zu Nebenwirkungen kommen, der Beipackzettel ist lang. Darüber muss man den Patienten auch aufklären. In der Praxis sehe ich aber so gut wie keinen Menschen mit unerwünschten Nebenwirkungen. Die Patienten vertragen das Medikament sehr gut“, so Ummard-Berger weiter. Und Wicht ergänzt mit Blick auf die Vorurteile: „Die Stigmatisierung von PrEP-Nutzer:innen oder bestimmten sexuellen Bedürfnissen, etwa Sex ohne Kondom oder Sex mit wechselnden Partner:innen, muss endlich aufhören!“
Und schon sind wir mittendrin im Klischee – die PrEP sei eben nur etwas für schwule sexpositive Männer sei.
Viele wissen noch überhaupt nicht, dass die PrEP auch für sie eine gute Möglichkeit sein könnte. Wir müssen wegkommen von diesem Denken, dass PrEP nur etwas für schwule Männer mit extrem hohem Risiko ist, hin zu der individuellen Frage: Könnte PrEP für mich hilfreich sein?!
Auch für Menschen, die während einer Urlaubsreise sexuell aktiv sind, wäre die PrEP sehr sinnvoll, so der Experte der Aidshilfe weiter.
„Es muss in den Köpfen ankommen, dass die PrEP nicht nur etwas für hochspezielle Zielgruppen ist.“
Am Ende steht bei Ärzt:innen und Patient:innen noch eine allerletzte Hürde im Raum – der Umgang mit dem Thema Sexualität selbst. „Wir HIV-Ärzte sind schon ein besonderes Klientel, wir reden ja mit unseren Patienten viel und gerade auch über Sexualität. Das macht der Standard-Hausarzt in der Regel ja nicht so sehr. Die Sexualität findet dabei trotzdem überall statt, aber sie bekommt oftmals nicht die Bedeutung, die ihr zusteht, weil sie überall mit Scham und Ängsten besetzt ist und weder Ärzte noch Patienten offen darüber reden“, so Ummard-Berger.
Und Wicht bekräftigt: „Wir hoffen, dass die PrEP mehr und mehr auch Teil hausärztlicher und anderer fachärztlicher Versorgung wird. Es muss die Botschaft in den Köpfen ankommen, dass die PrEP nicht nur etwas für hochspezielle Zielgruppen ist.“ Es bedarf also dringend mehr Aufklärung, einer breiteren und freien Thematisierung von Sexualität, auch bei den Fachärzt:innen, und mehr direkten PrEP-Angeboten für alle Teile der Gesellschaft. Am Ende ist eines klar, so Ummard-Berger abschließend: „Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen im Bereich der HIV-Prävention, sollte künftig jeder niedrigschwellig die Möglichkeit für den Zugang zur PrEP haben!“