In den vergangenen Monaten spielte „Top Gun: Maverick“ in den Kinos an – ein Sequel, das 36 Jahre später als der Originalfilm herauskam. Das Sequel brach laut Vanity alle Rekorde und verzeichnete laut Hollywoodreporter den kleinsten Einbruch von Besucher:innenzahlen zwischen der Veröffentlichungswoche und der zweiten Woche. „Maverick“ wurde aber von diesem Posten von der 386. Fortsetzung von „Jurassic Park“ abgelöst: „Jurassic World: ein neues Zeitalter“.
Derweil kam am 16. Juni auch „Lightyear“ in den deutschen Kinos raus und trotzdem, dass sich, wie Cut berichtete, viele junge Leute auf die junge Darstellung des Toy-Story-Charakters Buzz gefreut hatten, bleibt unklar, wer genau eigentlich diesen Film angefordert hat. Zugegeben, es liefen auch eine Filmbiografie von Elvis und ein neuer Minions-Film an – „Minions“ ist ein Sequel zu der erfolgreichen „Ich – Einfach unverbesserlich“-Filmreihe. Zu diesem Film marschieren derzeit aufgrund eines TikTok-Trends junge Menschen als #Gentleminions im Anzug in die Kinos.
Der Barbie-Film wird der größte Vorstoß des Spielzeugherstellers Mattel in die Filmproduktion sein, aber er ist nur der Anfang einer neuen Phase für das Unternehmen. Die American-Girl-Puppe bekommt einen Live-Action-Film, ebenso wie Barney, der Dinosaurier aus „Barney und seine Freunde“. Vergangenes Jahr kündigte Mattel laut Variety an, dass der Rapper Lil Yachty die Entwicklung eines Raubüberfall-Films auf der Grundlage des Kartenspiels Uno überschauen wird, was nach „Mad Libs“ klingt. Außerdem drehe Emily V. Gordon, die Co-Drehbuchautorin bei „The Big Sick“ war, mit dem Regisseur von „Crazy Rich Asians“, Jon M. Chu, einen Play-Doh-Film.
Gleichzeitig ist die beliebteste Show im amerikanischen Fernsehen diese Woche „Ms. Marvel“, mit einer weniger bekannten Comicfigur, die in das Marvel Cinematic Universe – die vielleicht größte Unterhaltungsmaschine der Geschichte – integriert wurde. Die ersten Episoden von „Ms. Marvel“ sind charmant und warmherzig und wirken wie ein frischer Wind im Marvel Universum. Dennoch ist die Serie eine Fortsetzung eines größeren Trends: Manche Figuren mögen neu sein, aber der Reiz liegt in der Vertrautheit. Die erste Szene der Pilotfolge ist eine Machtdemonstration, wie auch eine Aufzählung der vielen Marvel-Figuren (bei denen manche Darsteller:innen keinen Bock mehr auf ihre Rolle haben), die wir alle auswendig kennen.
In keiner besonderen Reihenfolge mussten wir in diesem Jahr eine Serie über die Betrügerin Anna Sorokin (Delvey), einen Film über die Fernsehpredigerin Tammy Faye, eine Serie über den Uber-CEO Travis Kalanick und eine Serie über die Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes, die Anfang des Jahres wegen Betrugs verurteilt wurde, ertragen. Zusätzlich kam eine neue Star-Wars-Serie rund um Obi-Wan Kenobi und eine Serie über Pamela Anderson und Tommy Lee heraus. Und dann ist da noch Netflix, das aus dem durchschlagenden Erfolg des höchst originellen „Squid Game“ Kapital schlägt, indem es eine Squid-Game-Reality-Show startet, wie BBC berichtet, vermutlich aber ohne den Massenmord. Hier schreibt unser Autor davon, warum er keine zweite Staffel von Squid Game auf Netflix braucht.
Schon erschöpft? Wir scheinen am Tiefpunkt für originelle Geschichten angekommen zu sein, einem kulturellen Moment, in dem in vielen Fernsehsendungen und Filmen Namen und Figuren auftauchen, die wir bereits kennen. Dabei spielt es keine Rolle, wie gut wir sie kennen – wichtig ist nur, dass das Publikum mit der Welt bereits vertraut ist. Wir leben in dem Zeitalter mit viel geistigem Eigentum. Hollywood hat von einem sicheren Weg erfahren und ein zuverlässiges Muster gefunden: jedes Mal, wenn die Studios diesen Knopf drücken, kommen 13 Dollar heraus. Warum sollten sie ihn nicht weiter betätigen? Aber zu welchem Preis für die Originalität?
Iman Vellani, die Protagonistin in „Ms. Marvel“, ist 19 Jahre alt. Eine schnelle Kopfrechnung verrät, dass sie gerade in der Grundschule war, als „Iron Man“ in 2008 in die Kinos kam. Damals wurde etwas in Bewegung gesetzt, was später die gewinnbringendste Unterhaltungs-Machine der Welt werden würde. Jetzt sehen wir die erste Generation MCU Schauspieler:innen, die mit MCU Filmen aufgewachsen sind. Hier 17 MCU Filmtheorien, die dein ganzes Universum über den Haufen werfen.
Dieser Artikel ist keine dieser „Marvel Filme sind schlecht“-Panikmachen. Die Filme sind größtenteils in Ordnung. Ich habe die meisten davon gesehen und hatte eine gute Zeit dabei. Es ist aber wichtig zu erkennen, dass Marvel in der Zeitspanne von über eineinhalb Jahrzehnten die Messlatte für Erfolg zurückgesetzt hat. Wenn „Thor: Love and Thunder“ in ein paar Wochen in die Kinos kommt, wird dies der 29. Film im Marvel Cinematic Universe sein, zu dem wir dir hier 26 umwerfende Momente zeigen. Inzwischen ist auch „Ms. Marvel“ die siebte Fernsehserie von Marvels neuesten Serien, die neben den Filmen existieren – und die erste davon kam erst vor 18 Monaten raus.
Zu diesem Zeitpunkt stärkt sich die Marvel-Machine selbst den Rücken. Schlechte Kritiken für „The Eternals“? Wen kümmert‘s? Lauwarme Reaktionen zu dem neusten „Doctor Strange“, dessen Multiversum-Theorie sogar einen Funken Wahrheit enthalten könnte? Macht nichts. Die krönende Errungenschaft von Marvel ist nicht etwa ein Avengers-Film oder eine Thor-Fortsetzung, es ist die Verankerung der Marke Marvel tief in der Kultur. Und zwar auf so eine erfolgreiche Art und Weise, dass jede Figur mit ihr verbunden werden kann und garantiert Erfolg hat. Wer zum Teufel ist der „Moon Knight, bei dem Ethan Hawke die erste Rolle bekam? Spielt keine Rolle – es ist ein Hit.
Das Ergebnis davon ist, anderen Filmstudios zusehen und nachahmen. Es ist zu einer anerkannten Weisheit geworden, dass ein Film nur dann erfolgreich sein kann, wenn seine Figuren in irgendeiner Weise wiedererkennbar sind. Ein Weg dies zu erreichen besteht darin, die Produktion von Fortsetzungen am Laufen zu halten. Oder der parallele Weg wird genommen und die Hauptfiguren werden neu gestaltet: „Cruella“ im Jahr 2021, „Joker“ im Jahr 2019, „Maleficent“ im Jahr 2014. Diese Werke erfinden das Rad von „Wicked“ – das die Hintergrundgeschichte der bösen Hexe des Westens anders erzählte – nicht neu, aber sie beschleunigen es auf jeden Fall. Man nehme einen bekannten Bösewicht, verpasse ihm ein Kindheitstrauma und schon kann es losgehen.
Molly Fischer schreibt im New Yorker davon, dass auch im Fernsehen das geistige Eigentum ein beherrschendes Thema ist. Wir befinden uns inmitten einer Welle von Fernsehsendungen, die direkt aus den Schlagzeilen übernommen wurden. „Joe vs Carole“ greift die Geschichte von Joe Exotic und Carole Baskin auf, während „The Girl from Plainville“ die Geschichte um den Tod von Conrad Roy und seine Freundin Michelle Carter, die ihn per SMS zum Selbstmord ermutigte, nacherzählt. Es sind Dinge, die bereits bekannt sind, nur neu verpackt in Serien mit Schauspieler:innen, die beliebt sind.
„The Girl from Plainville“ kam weniger als vier Jahre nach Carters Verurteilung heraus. Es kann kaum als eine ‚alte Geschichte‘ zählen, die neu aufgerollt werden muss. Aber laut Fisher ist die Vertrautheit gerade „der Punkt“. Sie nennt es die „You‘re-Wrong-Aboutification“ der Popkultur. Der beliebte Podcast hat sich einen Namen gemacht, indem er bekannte Geschichten neu erzählt, um kulturelle Lücken zu füllen. Diese neuen Serien wollen dasselbe tun – reizvoll soll sein, dass man die Geschichte kennt. Das Versprechen ist, dass die Show etwas Neues enthüllt, wie Hulus „Pam and Tommy“, das als Kommentar dazu gedacht war, wie wir mit dem Zirkus um das Sexvideo von Pamela Anderson und Tommy Lee umgegangen sind.
Aber im Gegensatz zum Podcast „You‘re Wrong About“, in welchem über die falsche Darstellung von historischen Ereignissen oder kulturell wichtigen Momenten aufgeklärt wird, bieten die kommerziellen Serien dies nicht. „Pam and Tommy“ macht unglaublich viel Spaß, aber es hat keinen Standpunkt, es sagt nichts aus. Die Show gibt mit Freude eine Schlagzeile dramatisch wieder, die man irgendwo aufgeschnappt wurde, und setzt darauf, dass dies ausreicht, um die Zuschauer:innen bei der Stange zu halten. Das ist die goldene Eintrittskarte.
Es ist unfair, diese Werke der neu verpackten Geschichten als gleichzubehandeln. „Top Gun: Maverick“ ist ein aufregender Film, einer der besten des Jahres, während „Jurassic World: Ein neues Zeitalter“ das unglaubliche Kunststück gelingt, Dinosaurier langweilig zu machen. „Plainville“ hat nichts zu sagen, aber HBOs „The Staircase“ dramatisiert die Entstehung der legendären True-Crime-Dokumentation mit dem gleichen Namen und erforscht geschickt die Mitschuld des Publikums an der Anzugskraft des True-Crime-Genres. Auch bei „Ms. Marvel“ ist es unmöglich, gegen die Serie zu sein.
Das größere Problem ist, dass die Regie für solche Filme und Serien zur Belohnung für überzeugende Arbeit geworden sind. „Barbie“ ist der erste Film von Greta Gerwigs nach „Little Women“ (2019), für den Gerwig eine Oscar-Nominierung erhielt. Gerwigs „Lady Bird“ (2018) war für zwei Oscars nominiert, darunter die beste Regie. Die letztjährige Gewinnerin für die beste Regie und den besten Film, Chloe Zhao, die mit „Nomadland“ gewonnen hat, war für Marvel’s „The Eternals“ verantwortlich. Colin Trevorrow, der von Steven Spielberg ausgewählt wurde, um das „Jurassic World“-Franchise zu leiten, machte sich einen Namen, als sein Indie-Hit „Safety Not Guaranteed“ für seine Kreativität bekannt wurde. Der Regisseur von „Black Panther“, Ryan Coogler, wurde an die Seite von Marvel geholt, nachdem er sich mit seinem bahnbrechenden Debüt „Fruitvale Station“ die Glaubwürdigkeit erworben hatte, einen weiteren großen Film zu inszenieren, der auf einer bereits bestehenden Geschichte basiert: „Creed“ von 2015.
Mit anderen Worten: Wenn Filmemacher eine klare Regieanweisung und eine einzigartige Vision vorweisen können, werden sie schnell dabei eingesetzt, um vage erkennbare Namen in neue Werke zu verwandeln. Manchmal ist das ein Erfolg. Manchmal ist es eine Katastrophe. Aber es ist fast immer sicher.
Der größte Erfolg an den Kinokassen in diesem Jahr war vielleicht mit dem durchweg originellen „Everything Everywhere All at Once“, der zum laut Digital Spy zum bisher größten Hit des Indie-Studios A24 wurde. Doch bei fast jeder Erwähnung seiner phänomenalen Leistung wird erwähnt, wie überraschend er ist. Man hat das Gefühl, dass sich „Everything Everywhere“ durch einen Bereich geschlichen hat, in dem er nicht vorgesehen war, und zur Ausnahme wurde, die die Regel bestätigt. Ein weiterer Erfolg in der Filmbranche, der aber nichts mit Hollywood zu tun hat: „Stranger Things“ hat endlich seinen Groove wiedergefunden.
Es ist vielversprechend, dass das Regisseur-Duo Daniels, das uns „Everything Everywhere“ gebracht hat, Anerkennung für seine Kreativität bekommt. Es ist frustrierend zu wissen, dass von all den Möglichkeiten, wie diese Leistung belohnt werden könnte, der wahrscheinlichste Weg ist, dass sie einen Anruf von Marvel erhalten. Vielleicht wird man ihnen sogar die Verantwortung für einen eigenständigen Rocket-Racoon-Film übertragen.
Nicht verwunderlich ist, dass viele Zuschauer sehen wollten, wie geliebte Figuren in neue Situationen gebracht werden. Letztendlich dient es den Fans und Fan-Service ist ein wesentlicher Bestandteil, um Beziehungen zum Publikum aufzubauen. Was momentan auffällt ist, dass es nur um Fan-Service geht. Nur Füllmaterial mit wenig Ambitionen etwas Anspruchsvolles von der Idee bis zur Ausführung durchzuziehen. Auch hier schreiben wir darüber, dass Hollywood die Filmideen ausgehen –das beweisen die Filme, die 2022 bisher erschienen sind.
Werke mit für uns völlig neuen Charakteren kommen so selten auf den Markt, dass es sich wie ein besonderer Besuch anfühlt, wenn einer unseren Weg kreuzt. Wie lange wird es dauern, bis wir aufblicken und feststellen, dass eine ganze Generation von Kinobesucher:innen in einer Reboot-Schleife festhängt? Man fragt sich, ob die nächste Generation einfallsreicher Filmemacher:innen, die vorhaben, Filme in größerem Maßstab aufzuziehen, nur einen Haufen von Fortsetzungen und Neuverfilmungen als Inspirationsquelle haben werden. Wie lange sind wir dazu bestimmt, uns zu wiederholen?
Autorin ist Elamin Abdelmahmoud. Der Artikel erschien am 17. Juni 2022 auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Lea Samira Maier.