Hustle Culture auf TikTok gefährdet die Gesundheit von Jugendlichen, sagt Stress-Expertin

TikToker:innen arbeiten Nächte durch und versuchen, so leistungsfähig wie möglich zu sein. Eine Psychologin erklärt, warum Hustle Culture und #productivitytok so gefährlich sind.
Unter dem Hashtag #productivitytok zeigen sich Jugendliche auf TikTok, wie sie Nächte lang durcharbeiten. Sie posten To-dos, um produktiver und leistungsfähiger zu werden: zum Beispiel jeden Tag 100 Liegestütze machen und 1000 Wörter lesen. „Hustle Culture“ nennt man diese Kultur, die sich unter der Gen Z verbreitet. Ziel ist, in der Zukunft erfolgreich zu sein. Die Psychologin Gabriele Bringer arbeitet in einem Stresszentrum in Berlin mit Jugendlichen, die an Burnout erkranken. BuzzFeed News DE hat sie gefragt, was die Hustle Culture so gefährlich macht.
Hustle Culture bei Jugendlichen: Spaß oder Gefahr?
Gabriele Bringer sieht die Hustle Culture nicht ausschließlich als Gefahr für Jugendliche. Sie kann sich vorstellen, dass die Kultur auch einen „großen Spaßfaktor“ haben kann. „Wenn sich junge Menschen untereinander messen, kann das bedeuten, dass sie sich gegenseitig fördern“, sagt sie. „Was einige gut überstehen, kann bei anderen jedoch eine Gefahr darstellen.“
Junge Menschen sind laut Bringer noch auf Identitätssuche. „Sie sind deshalb schnell der Überzeugung, dass man etwas auf die eine Art machen muss und nicht anders.“ Wie bei dem TikTok-Trend #thatgirl gibt es deshalb das Problem, dass Jugendliche etwas nachahmen, was ihnen selbst nicht guttut.
In den TikTok-Videos unter #productivitytok zeigen Jugendliche, wie sie sehr gute Leistungen erreichen oder sich besser organisieren können. Im Gegenzug versprechen sie Erfolg. Wenn Jugendliche die Tipps ausprobieren, ist das laut Bringer noch kein Problem. Gefährlich werde es, wenn „Jugendliche ihre Grenzen nicht kennen oder überschreiten“, sagt die Psychologin zu BuzzFeed News DE.
Um Teil der Hustle Culture zu sein, könnten Jugendliche aufputschende Medikamente nehmen
Jugendliche könnten laut Bringer das Gefühl bekommen, dass sie den Anforderungen der Hustle Culture nicht entsprechen können. „Bei der Hustle Culture geht es darum, Leistungen zu zeigen. Es gibt keine Möglichkeit für Jugendliche zu sagen ‚Bis dahin mache ich mit, dann steige ich aus‘, ohne dass sie ihr Gesicht verlieren.“
Um leistungsfähiger zu werden, fangen Jugendliche laut Bringer nicht selten an, aufputschende Mittel zu konsumieren. Der Konsum reiche von „exzessivem Kaffeegenuss, über Nikotinpflaster bis hin zu Medikamenten, die Methylphenidat enthalten, und eigentlich für die Behandlung von ADHS eingesetzt werden“. Dieser Missbrauch könne bei Jugendlichen zu einer Abhängigkeit führen, aber auch gesundheitsschädliche Folgen haben.
Stress-Erkrankung und Burnout können Folgen der Hustle Culture sein
Hustle Culture kann also im schlimmsten Fall zu einer Stress-Erkrankung oder einem Burnout führen. Ein Kennzeichen von Burnout sei, dass junge Menschen „lange Zeit ihre eigenen Überlastungssignale ignorieren oder nicht wahrnehmen. Sie merken zu spät, dass der eigene Körper nicht mehr kann.“ Die Hustle Culture zielt fast schon darauf ab, diese körperlichen Signale zu ignorieren. Ein Leitsatz der TikTok-Kultur lautet „Für Erfolg muss ich an meine Grenzen gehen“, wie es in einem Video heißt.
Neben „Burnout“ ist unter Gen Z auch das Phänomen „Burn-on“ verbreitet. Statt irgendwann Überlastungssymptome zu zeigen, funktionieren die Betroffenen nach außen hin immer weiter.
Anzeichen, an denen du merkst, dass die Hustle Culture dir zu viel wird
Bringer nennt zunächst einen einfachen Test: Lege einen Nachmittag dein Handy weg. Wenn du bemerkst, dass du unruhig wirst oder deine Gedanken nicht mehr davon lösen kannst, ist das ein Zeichen von Stress.
Überarbeitung zeigt sich laut Bringer auch durch folgende körperliche Symptome:
1. Deine Konzentration lässt nach oder du kannst nicht mehr gut zuhören.
2. Du bist vermehrt müde.
3. Bei jungen Erwachsenen kommt häufig körperliche Verspannung hinzu.
4. Starke Belastungssymptome sind außerdem Bauchkrämpfe und/ oder Übelkeit.
Wenn du davon betroffen bist, solltest du einen Termin bei einer Psychotherapeutin machen oder ein Stresszentrum in deiner Nähe aufsuchen.
Auszeiten sind für die mentale Gesundheit wichtiger, als zu „hustlen“
Bei der Hustle Culture sehen Jugendliche es als etwas Positives an, durchzuarbeiten und keine Pause zu machen. Dabei sind Auszeiten laut Bringer besonders wichtig für die mentale Gesundheit. Bei ihrer Arbeit mit Jugendlichen geht sie auch direkt an Schulen. Bei einer Entspannungsmethode müssen sie sich auf den Boden legen. „Ich habe nicht selten erlebt, dass Jugendliche länger liegen geblieben sind, als sie sollten. Das zeigt das tiefere Bedürfnis danach, sich Auszeiten zu nehmen.“
Aber was ist eine Auszeit? Gehört dazu auch schon, sich ein Video anzusehen? „Sich von einem Video berieseln zu lassen, kann durchaus etwas Entspannendes sein. Wenn das Video einen emotional mitnimmt, kann das aber auch stressig sein. Dann verspannt sich auch der Körper und signalisiert, dass es ihm nicht guttut.“ Bringer empfiehlt Jugendlichen deshalb einen handyfreien Tag oder immerhin einen Nachmittag. Hier berichtet eine BuzzFeed-Autorin, wie es war, die Zeit auf Instagram, Tiktok und Co. zu begrenzen.
„Wenn es bei Bewegung um Leistung geht, kann sie ein Stressfaktor sein“
Neben Auszeiten ist nach Angaben von Bringer auch Bewegung wichtig. Aber geht es darum nicht gerade bei der „Hustle Culture“? In den #productivitytok-Videos setzen sich die TikToker:innen etwa zum Ziel, eine bestimmte Schrittanzahl am Tag zu erreichen.
Laut Bringer wirkt Bewegung in diesem Fall jedoch nicht dem Stress entgegen. Im Gegenteil: „Wenn es bei Bewegung um Leistung geht, kann sie ein Stressfaktor sein“, sagt sie zu BuzzFeed News DE. Genauso wenig Sinn ergebe es, seinen Körper zu zwingen, zwei Liter Wasser am Tag zu trinken, wie es in einem der TikTok-Videos heißt. Stattdessen sollte man laut Bringer auf die Bedürfnisse des eigenen Körpers hören.
Zur Hustle Culture gehört auch, seinen Freundeskreis zu reduzieren und seine Hobbys einzuschränken. Die Karriere soll ganz im Vordergrund stehen. Dabei sind gerade diese Dinge laut Bringer wichtig für die mentale Gesundheit. Auf TikTok gibt es auch Gegenbewegungen zur Hustle Culture: Der Trend „Quiet Quitting“ setzt sich etwa dafür ein, die eigene Gesundheit und Lebensfreude in den Vordergrund zu stellen und sich auf der Arbeit nicht mehr anzustrengen.